Günter Düriegl: Wien 1683. Die zweite Türkenbelagerung

Wolfgang Krisai: Wehrturm Perchtoldsdorf. Tuschestift. 2015.

Günter Düriegl, als Mitarbeiter des Historischen Museums der Stadt Wien (heute: WienMuseum) für die Bestände an türkischen Memorabilien verantwortlich, beschreibt in diesem gut zu lesenden Buch die Vorgeschichte und – wesentlich genauer – den Ablauf der Türkenbelagerung.

Zu Beginn betont er, man solle sich den Blick auf die türkische Kultur, die damals hoch entwickelt war, nicht dadurch trüben lassen, dass die Türken die Feinde waren.

Zwischen zwei Fronten

Das Heilige Römische Reich deutscher Nation und darin wiederum das Gebiet der Habsburger stand damals zwischen zwei Fronten: im Westen die Franzosen, die unter Ludwig XIV. um die Vorherrschaft in Europa rangen, und im Osten die Osmanen, die ihrerseits nach Europa drängten, indem sie Siebenbürgen, Ungarn und Teile Polens unter ihre Herrschaft bringen wollten.

Kaiser Leopold I. (-1706) brachte eine breite Allianz gegen die Türken zustande: Österreich, Sachsen, Bayern, Polen (unter König Johann III. Sobieski) und andere stellten Truppenkontingente, eine Reihe anderer Staaten steuerten Geldmittel bei (darunter als Hauptgeldgeber Papst Innozenz XI.!), sodass Leopold hoffte, die Türken aus Ungarn vertreiben zu können. Sein Heerführer war Herzog Karl V. von Lothringen, der in diesem Buch als der führende Stratege dargestellt wird.

Vordringen der Türken

Zunächst lief die Sache aber gar nicht so, wie Leopold es sich vorgestellt hatte. Die Türken unter dem ehrgeizigen Feldherrn Kara Mustafa drangen rasch bis weit nach Ungarn vor, die Österreicher mussten sich zurückziehen.

Obwohl Kara Mustafa gar nicht autorisiert war, eine Belagerung Wiens durchzuführen, marschierte er Anfang 1683 auf Wien. Hätte er gewonnen, wäre er hoch geehrt worden. Was ihm andernfalls blühte, hat er wohl gewusst: wenn nicht der Tod im Kampf, so die Hinrichtung durch den eigenen Herrn, vollzogen im September 1683 in Belgrad.

Als die Türken anrückten, flohen 60000 Wiener aus der Stadt, mit ihnen Leopold samt seinem Hofstaat. Er setzte sich nach Passau ab, wo er sich halbwegs sicher fühlen konnte.

Die Geflohenen wurden von einströmenden Flüchtlingen aus dem Osten, wo die Türken alles niederbrannten und jeden massakrierten, der ihnen vor den Krummsäbel kam, ersetzt.

Wien im Belagerungszustand

Klarer Weise stürzte Wien damals in ziemliches Chaos. Die Bürger selbst wären nicht in der Lage gewesen, die Stadt wirkungsvoll zu verteidigen. Das besorgten in erster Linie die Infanteristen des kaiserlichen Heeres. Der Militärkommandant der Stadt war Ernst Rüdiger Graf Starhemberg (Graz 1638 – Vösendorf 1701), ein äußerst fähiger Mann. Ihm zur Seite stand der Wiener Bürgermeister Johann Andreas von Liebenberg (1627-1683), der während der Belagerung von der Ruhr dahingerafft wurde. Die militärischen und die städtischen Behörden sorgten für die Belagerung vor, so gut es noch ging. Die für genau diesen Fall errichtete moderne Stadtmauer mit ihren Bastionen, Ravelins, Palisaden und Gräben wurde ausgebessert, Vorräte angehäuft, Truppen zusammengestellt. Neben den regulären Soldaten wurden Kontingente von Bürgern, Studenten, ja Geistlichen aufgeboten. Je nach militärischer Eignung mussten diese Mannschaften Schanzarbeiten verrichten oder militärische Operationen durchführen.

Um den Angreifern keine gute Deckung zu überlassen, wurden in den Tagen vor der Ankunft der Türken die Vorstädte niedergebrannt, samt allem, was an Vorräten und sonstigem Material noch dort war. Man darf sich die Vorstädte nicht als wie heute dicht bebautes Gebiet vorstellen, sondern nur als locker mit kleinen Bauten bestreutes Land dörflichen Charakters.

Riesiges türkisches Heerlager

Bald darauf bedeckte ein riesiges türkisches Heerlager das Gebiet der Vorstädte: 25000 Zelte für 250000 Leute, davon ca. 90000 Soldaten, von denen wieder rund 20000 eigentliche Belagerungstruppen waren, während die anderen die Gegend um Wien verwüsteten.

Gnadenlos niedergemetzelt

Diese gefährlichen Tataren-Horden wären für den geordneten Kampf unbrauchbar gewesen, sie eigneten sich aber hervorragend, die weitere Umgebung Wiens hinunter bis Wiener Neustadt (das energischen Widerstand leistete) und hinüber bis Ybbs in Schrecken zu versetzen. Diesen Tataren konnte man nicht trauen, wie die Bevölkerung des südlichen Vororts Perchtoldsdorf schmerzlich erfahren musste: Die Einwohner kapitulierten, als ihnen freies Geleit zugesichert wurde, und übergaben ihre Waffen. Kaum waren sie schutzlos, metzelten die Tataren sie gnadenlos nieder.

Fast in die Luft geflogen

Am 14. Juli, noch vor Beginn der eigentlichen Belagerung, wäre Wien fast in die Hände der Türken gefallen: Im Schottenkloster brach ein Brand aus, der auf ein daneben liegendes Pulvermagazin überzugreifen drohte. Die Türken schossen mit ihren Kanonen in das Inferno hinein, wo Guido von Starhemberg, der Neffe des Oberkommandierenden, Männer zwang, unter Lebensgefahr die Fenster des Pulvermagazins zu vermauern, während ihnen die Kugeln der Türken um die Ohren pfiffen.

Als der Brand gelöscht war, kümmerte man sich sofort um die sicherere Verwahrung der Munition und des Pulvers in tiefen Kellern, außerdem ließ Graf Starhemberg sämtliche mit Holzschindeln gedeckten Dächer der Stadt abdecken und exponierte Holzbauten wie das kaiserliche Opern-Freilichttheater (wo Leopold I. 1668 Marc Antonio Cestis Oper „Il pomo d’oro“ hatte aufführen lassen) abreißen.

Fähige türkische Mineure

Kara Mustafa errichtete seinen Zeltpalast auf der Schmelz, von wo aus er den gesamten Kampfplatz überblicken konnte.

Seine Angriffe richtete er vor allem auf die Basteien im Bereich der heutigen Hofburg. Das 300 Meter breite Glacis wurde mit Laufgräben durchzogen, durch die die Türken vorrückten.

Mineure bohrten Stollen unter die Stadtbefestigung und versuchten sie in die Luft zu sprengen. Die Türken waren auf diesem Sektor wahre Meister, während die Wiener nur schlecht ausgebildete Mineure zur Verfügung hatten, die den Türken nichts Wirkungsvolles entgegensetzen konnten.

Rund sechs Wochen dauerte die Belagerung. Die Türken kamen trotz zäher Abwehr der Wiener Meter für Meter näher an die Burgbastei heran. Schließlich gelang es ihnen, eine Bresche in die Stadtmauer zu sprengen, die die Wiener nur notdürftig schließen konnten.

Während der Belagerung schrumpfte die Zahl der Verteidiger stetig dahin, militärische Verluste und die Ruhr waren die Ursache, während die Versorgung mit Lebensmitteln noch relativ gut funktionierte, auch wenn die Nahrungsmittel von Tag zu Tag teurer wurden.

Das Entsatzheer

Währenddessen waren Kaiser Leopold und Herzog Karl von Lothringen nicht untätig. Mit seiner Kavallerie sicherte Karl das Gebiet nördlich der Donau, außerdem war er dabei, das Koalitionsheer für den Entsatz der Stadt zum Einsatz vorzubereiten. Das war nicht ganz einfach, da auch in dieser bedrohlichen Lage kleinliche Streitigkeiten um Rangordnungen und Belohnungen die Fürsten sehr beschäftigten. Der polnische König Johann Sobieski wollte überhaupt die Führungsrolle übernehmen. Pro forma wurde sie ihm auch überlassen, da man sein Heer unbedingt brauchte.

Entscheidungsschlacht am 12. September 1683

Das Entsatzheer überquerte bei Krems und Tulln die Donau. Erste Truppen tauchten am 9. September auf der Kuppe des Wienerwalds auf. Am 12. September kam es zur Entscheidungsschlacht, die im Buch ausführlich geschildert wird. Die beteiligten Heerführer mussten alle in dieser unübersichtlichen Schlacht auf eigene Faust und trotzdem kooperativ handeln. Was tatsächlich gelang, sodass am Abend die Türken in die Flucht geschlagen waren. Diese konnten nur mitnehmen, was man in aller Eile zusammenraffen konnte, doch das meiste ließen sie liegen.

Angeber Sobieski

Typisch für die Rangelei unter den Koalitionären ist die Reaktion der Polen: Obwohl Plünderungen des Türkenlagers in der Nacht verboten waren, hielten sie die Polen nicht daran und räumten schon mal kräftig ab. Das machte Sobieski nicht gerade beliebt unter seinen Partnern, die erst am nächsten Tag ihre Truppen ins türkische Lager ließen.

Sobieski bestand auch darauf, als erster triumphal in die Stadt einzuziehen, obwohl möglicherweise bekannt war, dass Leopold größten Wert darauf legte, dies selbst zu tun. Sobieski zog also am 13. Juli in die Stadt ein, von Soldaten und Wienern bejubelt, während der Kaiser erst am Tag darauf seinen Einzug halten konnte.

Zu einer frostigen Begegnung von Leopold und Sobieski kam es am 15. Juli, wo Leopold nur Sobieski selbst, nicht aber dessen Sohn und die polnischen Adeligen begrüßte. Ein Affront, mit dem Leopold es sich mit Sobieski verscherzte. Die Polen zogen bald ab, während Karl von Lothringen mit seinem Heer ab dem 18. September den Türken nachsetzte. Kaiser Leopold verließ Wien wieder und übersiedelte nach Linz.

Das Buch ist mit zahlreichen zeitgenössischen Abbildung illustriert, darunter zehn Kupferstiche des Holländers Romeyn de Hooghe (1645-1708).

Günter Düriegl: Wien 1683. Die zweite Türkenbelagerung. Böhlau, Wien u. a., 1981. 158 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Wehrturm Perchtoldsdorf. Tuschestift. 2015. – Die Perchtoldsdorfer Bevölkerung wurde 1683 von den Tataren ausradiert.

7 Kommentare

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7 Antworten zu “Günter Düriegl: Wien 1683. Die zweite Türkenbelagerung

  1. Danke für den interessanten Beitrag. Er erinnert mich an die Lektüre von James A. Michener, Mazurka, Roman, Knaur 1984 (Taschenbuch 1987; Original: Poland, 1983), der die Geschichte Polens schildert und im 5. Kapitel „Aus dem Süden“ die Belagerung Wiens und das Eingreifen der polnischen Truppe und Johann Sobieski gegen Kara Mustafas türkisches Heer schildert. Durch die polnische Brille liest sich die Geschichte ähnlich und doch anders. Wie liest sie sich durch Chronisten von Kara Mustafa? Wie wird Geschichte erzählt und gemacht, und wie befördert die Geschichtsschreibung friedliche und zivile Zusammenarbeit?

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    • Ein Band mit zeitgenössischen Texten osmanischer Chronisten zur Türkenbelagerung steht bei mir im Regal. Noch ungelesen. Und in Wien läuft derzeit eine Jan-Sobieski-Ausstellung, die ich mir ansehen will. Inwieweit da die wenig rühmliche Rolle Sobieskis bestätigt werden wird, bin ich gespannt. Was die „Brillen“ betrifft: Einem Historiker würde ich eine objektivere Sichtweise zutrauen als einem Romanautor oder gar einem Menschen des 17. Jh. Allerdings muss man bedenken, dass wissenschaftliche Erkenntnisse immer auch von neueren überholt werden können.
      Danke für den Kommentar und den Hinweis auf Michener!
      buchwolf

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      • Ja, die Brillen sind sehr verschieden – für Kurzsichtige, Weitsichtige, Gleitsichtige wie mich, Sonnenbrillen usw.
        Dass sich Österreich und Wien anlässlich des Flüchtlingszuzugs an die historischen Ereignisse erinnern, scheint mir sehr verständlich.
        Wie mag es in der Sobieski-Ausstellung gelingen?
        Viele Grüße

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  2. Anna

    Ich habe Ihren Beitrag mit großem Interesse gelesen. Ich bin mit einem ganz anderem Bild von Sobieski großgeworden. Für mich stellt sich die Frage , wie objektiv das Buch von Düriegl ist.
    Der Beitrag ist auf jeden Fall eine Anregung, sich mit diesem Thema näher zu beschäftigen.
    Danke und liebe Grüße
    Anna

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    • Liebe Frau Pöcksteiner!
      Ich hatte selbst eine andere, allerdings extrem vage, Vorstellung von Sobieski. Inwieweit Dürigls Sicht zutrifft oder von der Forschung vielleicht inzwischen überholt ist, kann ich leider nicht sagen. Zumal ich bedauerlicher Weise die Sobieski-Ausstellung im Winterpalais des Belvedere versäumt habe, wo ich mir aktuellere Informationen erhofft habe.
      Liebe Grüße,
      Buchwolf

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      • Anna

        Lieber Herr Krisai ,
        Ich lese Ihre Beiträge immer mit großem Interesse und warte gespannt auf den nächsten.
        Ich hoffe, ich darf weiterhin von Zeit zu Zeit eiinen Kommentar zu den Beiträgen schreiben…
        Liebe Grüße
        Anna Pöcksteiner

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      • Liebe Frau Pöcksteiner!
        Ich freue mich sehr über Ihre Kommentare und Ihr Interesse an meinem Blog!
        Liebe Grüße, buchwolf

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