In unserer Schulbibliothek fand dieses kleine, alte Bändchen keine Leser*innen und es wurde ausgeschieden. Einst hatte es ein ehemaliger Lateinlehrer gespendet, als er in seiner Bibliothek ausmisten musste. Ich nahm es mit und bewahrte es damit vor dem Altpapiercontainer. Wäre auch wirklich schade darum gewesen, aus mehreren Gründen.
Menschlich-Allzumenschliches aufs Korn genommen
Erstens der Gedichte wegen, die wirklich unterhaltsam sind und allerlei Menschlich-Allzumenschliches aus der römischen Kaiserzeit (Martial lebte von ca. 40-104 n. Chr.) aufs Korn nehmen. Viele der Laster und Schwächen von damals gibt es auch heute noch, Kleingeisterei aller Art, Schnorrertum, Egoismus, Herabsetzen des anderen, Kunst-Unverständnis zum Beispiel. Martial ärgert sich über den Rummel der Großstadt, wo man sich nicht ausschlafen kann, weil auf der Straße so ein Lärm ist; er verflucht die ihm verhasste Sitte des Abbusserlns unter miteinander kaum bekannten Männern, deren Lippen und Wangen nicht immer frisch gepflegt sind; er sehnt sich nach seinem heimatlichen Spanien (er wurde in Bilbilis, dem heutigen Bilbao, geboren), freut sich über sein kleines Landgut vor den Toren Roms, das ihm ein Mäzen geschenkt hat, andererseits ärgert er sich aber auch wieder über Mäzene, die alljährliche Zuwendungen plötzlich lieber einer neuen Geliebten zuwenden statt dem Dichter, der jedoch von solchen Wohltaten leben muss.
Das kurze Nachwort belehrt den Leser, Martial sei bis in die letzten Winkel des römischen Weltreichs bekannt gewesen, trotzdem aber nicht von seinen Dichtungen reich geworden. Seine letzten 6 Lebensjahre verbrachte er tatsächlich wieder im heimatlichen Spanien.
Witzige, sehr freie Übertragung
Zweitens der witzigen Übersetzung wegen: Übersetzer Hermann Swoboda erklärt seine Auffassung im Nachwort: Martials Epigramme hätten einst durch ihren sprühenden Witz und ihre Pointen gewirkt, aber auch durch ihre eingängige poetische Form. Wollte man nun diese Form getreu ins Deutsche übertragen, kämen umständliche Gedichte heraus und der Witz bliebe auf der Strecke. Daher erlaubte sich Swoboda eine von der ursprünglichen Form völlig unabhängige Umsetzung in eine moderne, flotte, witzige Gedichtform mit kurzen, gereimten Versen.
Hier ein Kostprobe: „An den Leser
Den ihr da lest, der Dichter eurer Wahl,
Das ist er, der gewisse Martial,
Den alle Welt, bis an das fernste End‘,
Als witz’gen Epigrammverfasser kennt.
Was er durch euch an Ruhm empfing im Leben,
Wird wenig Dichtern nach dem Tod gegeben.“
Nachforschungen im Internet ergaben, dass Hermann Swoboda, 1873-1963, ein Wiener Psychologe und Universitätsdozent war und zum Biorhythmus des Menschen forschte. Also kein Literat! Allerdings verfasste er untem Pseudonym Arminius Libertus (Swoboda heißt Freiheit auf Deutsch) eigene Epigramme, die er in einem Sammelband veröffentlichte.
Drittens der Provenienz wegen: Mein Bändchen hat Swoboda persönlich einer Frau Lucia Jirgal gewidmet und geschenkt, und zwar am 23. 12. 1950, also noch vor dem offiziellen Erscheinungsjahr, mit Dank für „die Mitwirkung“. Lucia Jirgal (1914-2007) war eine österreichische Malerin, die offenbar vor allem Glasfenster in Kirchen gestaltete.
Und nun ist dieses Bändchen bei mir gelandet. Habent sua fata libelli!
Martialis, Marcus Valerius: Römischer Witz. Ausgwählte Epigramme des M. V. Martialis. Übertragen von Hermann Swoboda. Margarete Friedrich Rohrer Verlag, Innsbruck – Wien, 1951. 143 Seiten.
Bild: Wolfgang Krisai nach Lucas Cranach d. Ä: „Ungleiches Paar“ von 1531, Gemäldegalerie der Akademie der Bildenden Künste, Wien; Tuschestift, 2017. – Das ist zwar keine Illustration zu einem Martial-Gedicht, aber ein Gemälde, das ebenfalls Menschlich-Allzumenschliches aufs Korn nimmt.
„Wunsch, was das Leben glücklich mache
Fruchtreiche Arbeit, Müh und Fleiß.
Ein wohlverdienend frommer Wandel,
Nicht köstlich doch gut Trank und Speis,
Errungner Reichtum ohn Rechtshandel.
Gesund- und freier Geist und Leib,
Behaus- und Kleidung, rein und tüchtig,
Ein freundlich, keusch und kluges Weib,
Ein Ehbett, fröhlich und doch züchtig.
Trostreicher Schlaf, sorglose Nacht
Lieb allen, niemand Leid zufügen,
Ein Herz und Mund, ohn Klag und Pracht,
Mit seinem Stande sich vergnügen.
Gedanken, Freund und Bücher gut,
Was Recht stets lernen oder lehren,
Der Stirn und Zunge gleicher Mut,
Den Tod nicht fürchten noch begehren.“
Martial, Übersetzung: Weckherlin, zitiert aus:
Lyrik des Abendlands, Hanser Verlag (1963) 1978, Seite 112
Danke und schönen Frühlingsanfang
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Vielen Dank für dieses Gedicht, Weckherlin als Übersetzer noch dazu! Das macht mir bewusst, dass ich gar kein Gedicht zitiert habe. Jetzt wird es nachgeholt!
Grüße nach Nürnberg! buchwolf
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Danke, der Zuspruch an den Leser passt prima – wie auch die eigene (!) reizende Zeichnung nach Cranach: Respekt. Ein schöner Buchschatz mit der Überlieferung.
Selber stehe ich vor der Hausaufgabe, die Bücherregale zu sortieren, auszuwählen, was ich behalten mag, entsorgen oder abgeben kann. Mal schauen.
Schöne Grüße
Bernd
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Hallo, Bernd! Viel Erfolg und nachher keine Reue wünsche ich dir für das Bücher-Aussortieren! Und eine schöne Woche! Wolfgang/buchwolf
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