Gestern gekauft, heute schon gelesen: Louise Labé: „Torheit und Liebe“. Das ist der erste Band der Reihe „Femmes de lettres“ aus dem Secession-Verlag.
Louise Labé war mir ein Begriff, da Rilke Sonette dieser Renaissance-Dichterin übertragen hat. Es ist interessant, diese Übertragungen mit den Übersetzungen des vorliegenden Bandes zu vergleichen: Rilke überträgt sehr frei und „rilkeisch“, dennoch trifft er den Sinn der Gedichte sehr gut, die Übersetzerin des neuen Bandes, Monika Fahrenbach-Wachendorff, orientiert sich bewusst nicht an Rilke, sondern übersetzt viel wörtlicher, schafft es aber trotzdem, Verse und Reime in überzeugender Form zustande zu bringen. Beide Versionen haben also etwas für sich.
Frauen, nützt die Möglichkeiten der neuen Zeit
Der Band beginnt mit einem „Widmungsbrief“, in dem die Autorin die Frauen dazu aufruft, die Möglichkeiten der neuen Zeit dazu zu nützen, in Wissenschaft und Kunst hervorzutreten und nicht nur die Rolle der Hausfrau und Mutter zu übernehmen.
Torheit und Liebe im Streit
Das erste Werk ist dann ein Streitgespräch zwischen Folie und Amor. Allerdings geht der Text weit darüber hinaus, da nur der Anfang ein Streitgespräch zwischen den beiden genannten Kontrahenten ist, an das sich dann ein ganzes Gerichtsverfahren vor Zeus anschließt.
Der französische Originaltitel heißt „Débat de Folie et d’Amour“. Für den Franzosen ist völlig klar, dass es hier um ein Streitgespräch zwischen „Torheit“ und „Liebe bzw. Amor“ geht. Während also im Französischen „Folie“ eindeutig ist (das nicht übersetzte Wort „Folie“ im Deutschen hingegen nur dem Französischkundigen etwas sagt), ist „Amour“ mehrdeutiger als die Übersetzung „Amor“.
Das ist aber auch das Einzige, was vielleicht nicht ganz gelungen ist. Der Text selbst liest sich dann sehr flüssig und lebendig.
Amor und Folie wollen durch die Tür in einen Festsaal eintreten, wohin sie als Gäste des Zeus geladen sind. Folie drängt sich vor, Amor stellt sie zur Rede, ja, schießt dann einen seiner Pfeile auf sie, die sich augenblicklich unsichtbar macht und sich dann an Amor rächt, indem die ihm die Augen auskratzt. Statt dass dieser sich vor Schmerzen krümmt, diskutiert er weiter mit Folie, die ihm daraufhin noch einen Verband über die Augen bindet, den man nie wieder abnehmen kann, weil es ein von den Parzen verzaubertes Band ist.
Da ruft der arme Amor Zeus an, damit ihm Gerechtigkeit widerfahre und Folie aus dem Götterhimmel verbannt werde. Auch seine Mutter Venus ist ganz auf seiner Seite.
Dann bleibt die Liebe spannend
Schließlich kommt es zum Gerichtsverfahren. Amor wird auf seinen Wunsch von Apoll verteidigt, der eine lange Rede hält, Folie lässt sich von Merkur verteidigen, der eine noch längere Rede hält. Apoll sagt: Wenn Amor seine Pfeile gezielt verschießen könne, dann werde durch die damit hergestellten Liebesbeziehungen im Endeffekt eine bessere Gesellschaft ermöglicht. Merkur hingegen plädiert für die Bedeutung der „Torheit“ in der Liebe: Liebe treffe nun einmal die ungleichsten Paare, doch gerade darin liege der Reiz, dass nicht immer alles glatt geht, sondern die Liebe spannend bleibt. Damit bewirke die „Torheit“ mehr als die noch so wohlgezielten Liebespfeile eines sehenden Amor.
Zeus kann sich nicht entscheiden und vertagt das Urteil auf den Sankt Nimmerleinstag. Bis dahin solle Folie dazu verpflichtet sein, den blinden Amor zu führen.
Beim Lesen ist mir sehr bald aufgefallen, dass man es hier mit einem Pendant zu Erasmus von Rotterdams „Lob der Torheit“ zu tun hat, denn auch hier wird der Torheit das Wort geredet.
24 Sonnette
Nach diesem Hauptwerk der Dichterin folgen drei Elegien und 24 Sonette (jene, die Rilke einst übertragen hat). In allen diesen Gedichten geht es um die Leiden einer vor Sehnsucht fast vergehenden Liebenden, deren Geliebter in der Fremde ist und sich nicht meldet. Die Situation kann man sich sehr gut vorstellen, auch wie man halb wahnsinnig wird, wenn sich der Geliebte nicht und nicht melden will. Ist er vielleicht schon untreu? Das kann nicht sein, wo die Liebende doch so viele Gebete für ihn zu Gott geschickt hat.
Man darf, betont das Nachwort von Labé-Expertin Elisabeth Schulze-Witzenrath, nicht auf den Irrtum verfallen, das „Ich“ der Gedichte für die Autorin selbst zu halten und die Gedichte damit autobiographisch aufzufassen. Louise Labé war mit einem eher prosaischen, deutlich älteren Mann verheiratet. Sehnsüchtige Liebesgedichte aber gehörten zur Konvention der Zeit, sie sind Rollenlyrik, nicht Ausdruck eigenen Unglücks.
Louise Labé wurde als Tochter eines Seilers 1520 oder 1522 in Lyon geboren, begann schon in jungen Jahren zu schreiben, veröffentlichte ihre Werke 1555 (Datum des Widmungsbriefs) und trat bis zu ihrem Tod 1566 nicht weiter literarisch hervor.
Reihe „Femmes de lettres“
Die Idee des Secession-Verlags, eine Reihe mit Werken von „Autorinnen im Europa des 16. bis 18. Jahrhunderts“ herauszubringen, finde ich sehr gut. Es wird ja Zeit, dass die Männerlastigkeit der Literaturgeschichte zumindest ein klein wenig ausgeglichen wird. Es gibt sie nämlich sogar in der Zeit von der Renaissance bis zur Aufklärung, die schreibenden Frauen, man hat sie nur bisher totgeschwiegen.
Die Reihe ist sehr ansprechend und gediegen gestaltet: dunkelblaue Leinenbändchen mit Fadenheftung und Lesebändchen im gewohnten Secession-Format.
Labé, Louise: Torheit und Liebe. Die Werke der Louise Labé. Aus dem Mittelfranzösischen übersetzt von Monika Fahrenbach-Wachendorff. Mit einem Nachwort von Elisabeth Schulze-Witzenrath. Secession-Verlag, Zürich, 2019. Bd. 1 der Reihe „Femmes de lettres“.
Bild: Wolfgang Krisai: Lesende Frau. Kohle. 2020.