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Margaux Motin et Pacco: Oui! 101 questions à se poser avant de se marier

Lesende mit Katze

Hätte ich diese Frau auch geheiratet, wenn ich vorher die 101 Fragen, die man sich vor der Hochzeit stellen sollte, beantwortet hätte? Zweifellos! Immerhin beantwortete sie meine erste und wichtigste Frage, als wir uns noch kaum kannten, mit „Ja!“: „Liest du gern?“

Kann man ein Cartoon-Buch, das „101 Fragen, die man sich vor der Hochzeit stellen sollte“ behandelt, auch mit Vergnügen lesen, wenn man schon an die 30 Jahre verheiratet ist? Man kann, insbesondere dann, wenn Margaux Motin es – in diesem Fall gemeinsam mit dem Comiczeichner Pacco – illustriert hat. Denn die Cartoons sind das Dominante in den Buch, obwohl den Texten genauso viel Platz eingeräumt ist – den sie aber nie ausfüllen.

1 Seite Text, 1 Seite Bild

Auf der jeweils linken Seite steht nämlich die Frage und ein kurzer Text, der sie näher erläutert (natürlich auf lustige Weise), und dabei bleibt mindestens die Hälfte der Seite leer, während jeweils rechts der dazugehörige Cartoon die ganze Seite füllt.

Matin oder Pacco?

Margaux Motin, die ich ja schon von drei anderen Comicbüchern kenne, hält auch in diesem Buch ihr Niveau. Allerdings ist es sehr schwer, ihre Cartoons von jenen ihres Co-Illustrators Pacco zu unterscheiden. Motin zeichnet mit einem etwas feineren Strich, Pacco mit einem dickeren. Die Unterschiede sind aber minimal. Die Figuren bewegen sich unglaublich wirklichkeitsnah, haben eine mehr als überzeugende Mimik, die Accessoirs, die im Bild zu sehen sind, passen hundertprozentig – und das alles in einem vereinfachenden Cartoon-Stil, der meine Frau – die mir das Buch übrigens aus Paris mitgebracht hat – an Uli Stein erinnert. Es gibt keine Schattierungen und keine Schatten, kaum ausgeführte Hintergründe – wozu auch? Es geht auch ohne.

Junge Leute von heute

Die dargestellten Menschen sind paradigmatische junge Leute „von heute“, die Frauen alle superschlank und in Shorts oder engen Kleidern, die Männer als oft bärtige „Dudes“, beide Geschlechter nach Bedarf mit Tattoos verziert. Sofern die Gestalten nicht „handlungsbedingt“ z. B. in Sado-Maso-Outfit, Oktoberfest-Dirndl und -Lederhose, Badekleidung oder, zum Schluss, in Brautkleid und Hochzeitsanzug in Erscheinung treten.

Durchaus brauchbare Fragen

Worum dreht es sich nun aber bei den 101 Fragen, die man sich vor der Hochzeit stellen sollte? Zum Beispiel:

  • um das Vorleben des Partners („Wie lange war er Junggeselle, bevor ihr euch kennenlerntet?“),
  • ist der Partner für eine Beziehung geeignet, auch wenn diese nicht immer paradiesisch ist („Akzeptiert er auch deine schlechten Seiten?“ / „Akzeptiert sie deine seltenen Momente von Schwäche?“),
  • um Alltagsfragen („Wie wirst du euer Geld sparen?“ (Sie hält ihm die Augen zu, als sie im Kaufhaus an der Apple-Abteilung vorbeigehen)), usw.

Im Grunde werden Fragen vorgeschlagen, die man sich wirklich vor einer Heirat stellen sollte.

Durchaus witzige Bilder

Der Witz des Buches besteht darin, dass die Bilder immer überraschende, zum Teil groteske Situationen zeigen, wo sich die jeweiligen Fragen stellen könnten.

Ein Beispiel: „Comment aimez-vous recevoir vos invités pour un moment convival et chaleureux?“ („Auf welche Weise wollen Sie gern Ihre Gäste zu einem warmherzigen und familiären Treffen empfangen?“). Sicher nicht gut, wenn man da allzu differierende Vorstellungen hat. Und das Bild? Zeigt einen Schwung lockere Freunde bei einer gemütlichen Gartenparty – alle nackt.

Noch ein Beispiel: „Qu’est-ce que vos amies pensent de lui?“ („Was halten Ihre Freundinnen von ihm?“) Bild: „Sie“ und ihr Freund „Ryan“ beim Sackhüpfen, Ryan führt und wird von ihren Freundinnen auch noch angefeuert. Das freut „sie“ denn doch weniger: „Non mais vous êtes SÉRIEUSES, bande de CONNASSES?!?“

Also: beste Unterhaltung über partnerschaftliche Fragen. Und für Spezialisten bietet der Band Seite für Seite Anlass zu Detektivarbeit: Motin oder Pacco?

Margaux Motin & Pacco: Oui! 101 questions à se poser avant de se marier. Èditions Delcourt, 2015. Ca. 200 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Lesende mit Katze.Tuschestift, Buntstift. 2015.

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Benjamin Lacombe / Paul Echegoyen: Leonardo & Salaï

Wolfgang Krisai: Skizze nach Andrea del Sartos Gemälde "S. Givanni Battista" im Palazzo Pitti, Florenz. Bleistift, 2011.Das jüngst erschienene Comic „Leonardo & Salaï“ behandelt die homoerotische Beziehung von Leonardo da Vinci und seinem Schüler Salaï, und zwar auf recht originelle Weise. Die Zeichnungen sind zum Teil unglaublich detailliert, vor allem die von Paul Echegoyen gezeichneten Hintergründe. Allerdings sind da auch ein paar historische Ungenauigkeiten unterlaufen, zum Beispiel steht in Venedig schon die Kirche „Santa Maria della Salute“, die erst im 17. Jh. gebaut wurde. Unklar, ob das den Zeichnern bewusst war oder nicht. Der Sache tut das aber keinen Abbruch.

Die Figuren sind wie Marionetten gezeichnet, Leonardo und Salaï sehen fast gleich alt aus, was bei 30 Jahren Altersunterschied auch nicht ganz „korrekt“ ist.

Die Botschaft jedenfalls ist klar: Leonardo hielt es so lange mit dem dubiosen Salaï aus, weil dieser eben sein Geliebter war – und nebenbei auch noch ein recht guter Maler.

Am Ende des ersten Bandes steht Konfliktstoff in Form des neuen Schülern Francesco Melzi vor der Tür. Man darf also auf den zweiten Teil gespannt sein.

Lesenswerte Beigaben

Sehr lesenswert das Gespräch mit den Künstlern am Ende des Bandes, wo auch Skizzen, Teile des Storyboards und Vergleiche zwischen den Originalgemälden Leonardos und den Comicversionen zu sehen sind.

Der deutsche Verlag ist mit Bildmaterial auf seiner Website etwas knausrig, beim französischen Originalverlag „Soleil Productions“ gibt es aber 6 Seiten Leseprobe.

Benjamin Lacombe (Szenario, Storyboard, Malerei, Zeichnung und Farben) / Paul Echegoyen (Mitwirkung am Storyboard, Zeichnung der Hintergründe): Leonardo & Salaï. Verlagshaus Jacoby & Stuart, Berlin, 2015. Frz. Original: Soleil, Toulon und Paris, 2014. 95 Seiten.

Unter meinen Zeichnungen fand ich ein zu Salaï passendes Lausbubengesicht aus Renaissance: 

Bild: Wolfgang Krisai: Skizze nach Andrea del Sartos Gemälde „San Givanni Battista“ (1521) im Palazzo Pitti, Florenz. Bleistift, 2011.

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Barbara Yelin: Irmina. Graphic Novel

Barbar Yelin: Irmina. Seite 192/193: Brennende Synagoge. (Copyright Reprodukt / Barbara Yelin)

Barbar Yelin: Irmina. Seite 192/193: Brennende Synagoge. (Copyright Reprodukt / Barbara Yelin)

Umfangreiche Graphic Novels üben auf mich eine besondere Anziehungskraft aus. Allein schon die immense zeichnerische Leistung, die hinter den Hunderten von Panels steckt, beeindruckt. Wenn so ein Werk dann auch noch stilistisch überzeugt, muss es in meine Sammlung. Barbara Yelins Comicroman „Irmina“ musste ich also kaufen, denn er ist wirklich ein Meisterwerk.

Souverän gezeichnet

Yelins vor einigen Jahren erschienene, wesentlich kürzere Graphic Novel „Gift“ hat mich ja schon begeistert. „Irmina“ ist noch besser gezeichnet, scheint mir: souverän vereinfachende und dennoch realistische Zeichnungen, großzügig mit Deckfarbe koloriert, und zwar vorwiegend in Grautönen, die durch blasse Hautfarbe und einzelne andere Farbakzente ergänzt werden. Die Panels sind ziemlich abwechslungsreich gestaltet, indem unterschiedliche Größen und Perspektiven einander abwechseln. Optische Höhepunkte sind die gelegentlichen doppelseitigen Bilder, so zum Beispiel jenes einer brennenden Synagoge mit zusehender Menschenmenge auf den Seiten 192-193.

Damit sind wir auch schon beim Inhalt:

Erzählt werden drei wesentliche Abschnitte aus der Lebensgeschichte der Deutschen Irmina.

In England 1934

Teil 1: Im Jahr 1934 versucht die junge Irmina, die in Deutschland die Schule abgebrochen hat, in England, wohin sie sich durchgeschlagen hat, als Fremdsprachensekretärin Fuß zu fassen. Sie will ein selbstbestimmtes Leben führen, und mit Politik, erst recht mit jener der gerade an die Macht gekommenen Nazis, hat sie wenig am Hut. Sie freundet sich mit einem „Schwarzen“ an, den sie bei einem Fest kennengelernt hat. Er stammt aus Barbados, studiert in Oxford und heißt Howard. Ihn beeindruckt, wie Irmina unerschrocken gegen jede Diskriminierung, etwa, wenn im Kino ein Engländer sich nicht neben einen „Darky“ setzen will, auftritt. Die beiden verlieben, ja verloben sich. Das Problem ist nur: Irmina verdient nicht genug, um sich eine eigene Wohnung in England leisten zu können. Da ihre großzügigen Quartiergeber keinen Platz mehr für sie haben, muss sie – schweren Herzens und mit dem Versprechen, so bald wie möglich zu Howard nach England zurückzukehren – nach Deutschland zurückkehren.

In Deutschland während NS-Zeit

Den größten Teil des Buches umfasst der nun folgende Teil 2, der in Deutschland spielt. Irmina muss sich an ihrem neuen Arbeitsplatz, der zu schlecht bezahlt ist, als dass sich ein England-Ticket ausginge, sexuelle Belästigungen gefallen lassen, hofft aber auf eine Versetzung an die deutsche Botschaft in London. Als daraus nichts wird, pumpt sie sich kurzerhand von einer Freundin das Geld für die Überfahrt. Schon hat sie die Fahrkarte in der Hand, da kommt ihr letzter Brief an Howard zurück: Adressat  verzogen, Adresse unbekannt. Irmina verzweifelt. Fährt nicht nach England. Stattdessen gibt sie dem Liebeswerben Gregors, eines jungen SS-Offiziers, nach, erliegt schrittweise der Nazi-Propaganda, zieht in ein arisiertes Haus ein, bekommt Kinder, führt das Leben einer braven deutschen Mutter und Hausfrau. Von den Nazi-Gräueln will sie nichts wissen. Ihr Mann schickt sie gegen Kriegsende aufs Land, wo es sicherer ist. Eines Tages radelt der Postbote mit einem Telegramm daher: Gregor ist gefallen.

Deutschland / Barbados 1983

Der dritte Teil spielt 1983: Irmina ist seit Jahrzehnten Sekretärin einer Gesamtschule, sie ist die rechte Hand des Direktors und führt das Leben einer alten Jungfer. Eines Tages erhält sie einen Brief aus Barbados. Vom Assistenten des Generalgouverneurs. Dieser habe ihn beauftragt, sie ausfindig zu machen. Wer ist der Gouverneur? Howard! Auch er inzwischen verheiratet, mit Frau und erwachsener Tochter. Und diese heißt Irmina und will zu ihrem Geburtstag jene legendäre Deutsche kenne lernen, nach der sie benannt ist und die einst so mutig gegen Rassendiskriminierung aufgetreten ist. Irmina wird nach Barbados eingeladen, fliegt hin, lebt zwei Wochen im Luxus und lernt beim Geburtstagsfest die schöne Sängerin Irmina kennen.

Am letzten Abend kommt es zur Aussprache mit Howard. Sie erinnern sie an die Vergangenheit. Irmina erzählt vom schon gekauften Ticket nach England und vom zurückgekommenen Brief. Howard sieht sie noch immer als die mutige Deutsche, und Irmina muss sich eingestehen, dass dieses Bild nicht stimmt. Voller Trauer schaut sie auf ihr Leben, in dem sie ihren Idealen, ja, sich selbst untreu geworden ist, zurück und sagt: „Howard, ich war nicht … ich WAR nicht die mutige Irmina … Kannst du mir das …“ (S. 266).

Überzeugende Darstellung

Barbara Yelin gelingt es, ein sehr authentisch wirkendes Bild der düsteren Vergangenheit zu zeichnen, im wörtlich wie im übertragenen Sinn. Denn nicht nur die Bilder mit ihren vielen atmosphärischen Details, auch die Handlung und der Text wirken unglaublich „echt“. Ich denke, dass dahinter viel Recherche-Arbeit steckt, die sich bezahlt gemacht hat.

Inspirierender Fund

Ein Nachwort von Alexander Kirb, Professor für Geschichte an der University of Leicester, beleuchtet die Situation der Mitläufer und Mitläuferinnen in der NS-Zeit, wie Irmina eine war. Barbara Yelin sagt in einer Vorbemerkung: „Vor einigen Jahren fand ich im Nachlass meiner Großmutter einen Karton mit Tagebüchern und Briefen. Dieser Fund hat mich zu dem vorliegenden Comicroman inspiriert.“

Maschinerie des Bösen

Ein erschütterndes Buch, weil es zeigt, wie Menschen, statt das Gute zu tun, der Maschinerie des Bösen unterliegen. Und man kann nicht mit dem verurteilenden Finger auf Irmina zeigen, sondern muss befürchten, dass es einem selbst in einer ähnlichen Lage vielleicht nicht anders ergangen wäre. Die Last des Versagens läge dann für den Rest des Lebens auf einem, und man ginge mit eingezogenem Kopf und gebeugtem Rücken – wie Irmina im letzten Bild – in den tristen Alltag hinein.

Barbara Yelin: Irmina. Reprodukt,, Berlin 2014. 283 Seiten.

Bild: Brennende Synagoge. Seite 192/193 aus Barbara Yelin: Irmina (mit freundlicher Genehmigung des Reprodukt Verlags).

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François Schuiten: La Douce. Graphic Novel

Wolfgang Krisai: Dampfloks im Eisenbahnmuseum Strasshof bei Wien. Federzeichnung, koloriert, auf farbigem Papier. 1. 9. 2002.Eine umfangreiche Graphic Novel über eine Dampflokomotive. Da musste ich, als ich sie im Shop der „Cité internationale de la bande dessinée“ in Angoulême entdeckte, natürlich zuschlagen.

„Hauptperson“: eine Damplok

„Hauptperson“ ist die stromlinien-verkleidete Dampflok 12.004 der belgischen Eisenbahnen. Ich-Erzähler der Novel ihr Lokführer, Léon Van Bel. Thema: der Untergang der Dampflok-Ära.

Schon auf den ersten Seiten wird man überrascht: Die Lok fährt an Arbeitern vorbei, die an so etwas wie einem Hochspannungsmast arbeiten. Kurz darauf kommt sie zu einer Stelle, wo die Schienen überschwemmt sind. Léon wagt sich dennoch durch. Es regnet.

Der Untergang des Dampflok-Zeitalters

Bald kommt man drauf, dass der „Untergang“ hier wörtlich genommen ist, und es sich daher in gewisser Weise um eine Science-Fiction-Graphic-Novel handelt: Die Welt wird langsam überflutet, und mit ihr die meisten Bahngleise. Die Eisenbahnverwaltung hat sich daher auf den Bau von Überland-Seilschwebebahnen verlegt, deren Seile an den riesigen Masten hängen. Die Dampfloks werden eingezogen und auf gigantischen Schrottplätzen zusammen mit Millionen von Autos abgestellt. Diese Plätze versinken ebenfalls nach und nach im Wasser.

Léon will seine 12er retten. Sie ist seine „Süße“, seine Geliebte. Nettes Wortspiel: 12 heißt auf Französisch douze, douce heißt süß. Zunächst will er sie gemeinsam mit befreundeten Eisenbahnern in einem großen Schuppen verstecken. Das funktioniert nicht lange. Man kommt ihm auf die Schliche, die Lok wird abtransportiert, er selbst für eine Weile eingesperrt.

Gemeinsame Sache mit einer schönen Diebin

Bereits zuvor erwischen die Eisenbahner eine der immer häufiger auftauchenden Metall-Diebinnen, ein fesches junges Mädchen namens Elya. Schon wollen sich die erbosten Männer an ihr vergreifen, da rettet sie Léon. Diese junge Frau spielt im zweiten Teil der Geschichte eine große Rolle, denn als Léon eine der Seilbahnkabinen kapert, um sich auf den Weg zum Eisenbahn-Schrottplatz zu machen, springt sie plötzlich ebenfalls in die Kabine. Nach einer kurzen Phase des Zusammenstreitens machen sie gemeinsame Sache: Beide wollen ja zum Schrottplatz.

Die Seilbahn fährt über Wälder und Städte. Lange. Unbemerkt. Léon träumt von der 12er und wie er sie rettet.

Schließlich erreichen sie eine Stadt in der Nähe des Schrottplatzes, machen einen Typ ausfindig, der weiß, wie man hinkommt. Gemeinsam gehen sie über Bretterstege, fahren mit einer ausrangierten Hochbahn und gelangen schließlich wirklich zum Schrottplatz. Autos, Autos, Autos – aber keine Lokomotive.

Erst ganz weit hinten sehen sie eine Lokomotive noch an Land stehen, nicht die 12er, aber an der Lok hängt ein ganzer Zug, der bis unter die Wasseroberfläche reicht. Léon hofft, dass sich dahinter im Wasser seine 12er befindet, sie heizen die Lok an, fahren los – aber es funktioniert nicht. Schon will Léon aufgeben. Der Führer und Elya setzen sich ab.

Doch plötzlich faucht die 12er heran, grün gestrichen, mit goldenem Zierstreifen. (Ab hier ist die Lok farbig; der gesamte Rest des Buches besteht aus schwarzweißen Federzeichnungen.) Wer ist im Führerstand? Elya! Léon springt auf, sie fahren ins Ungewisse davon.

Es folgt ein Anhang mit Informationen zur und einigen Abbildungen der 12er, der Parade-Lok der belgischen Dampflokzeit.

Truffaut-Reminiszenzen

Entfernt erinnert die Stimmung des Buches an Truffauts Film „Fahrenheit 425“, wo ebenfalls eine Hochbahn eine Rolle spielt. Wo die Menschen ebenfalls irgendwie anders ticken, wo es andererseits auch wieder Außenseiter gibt, die in der streng reglementierten Zukunftswelt ein „alternatives Leben“ leben.

Zeichnerisches Meisterwerk

Diese Graphic Novel vom „Untergang“ der Dampflokzeit ist ein zeichnerisches Meisterwerk. Die Panels sind sehr abwechslungsreich gestaltet: Schuiten benützt alle möglichen Ausschnitte, die suggestive Wirkung der schwarzen und weißen Flächen und setzt die lautmalerischen Wirkung der Schrift geschickt und sparsam ein. Das ganze Werk ist in realistischen Stil mit unglaublicher Liebe zum Detail bei gleichzeitiger Fähigkeit zur großzügigen Abstraktion gestaltet. Schuiten ist eben ein Meister seines Fachs.

Ausgaben und Informationen

Übrigens gibt es zwei verschiedene französischsprachige Ausgaben der Graphic Novel: eine Normalausgabe im Format A4 hoch, eine Luxusausgabe im Format A4 quer, wo die A4-Seiten auf je zwei A4-Querformat-Seiten vergrößert und aufgeteilt sind.

Die deutsche Ausgabe ist 2012 unter dem Titel „Atlantic 12“ im Verlag Schreiber & Leser erschienen.

Eine eigene Website widmet sich dem 12.004-Projekt.

Es gibt außerdem einen Wikipedia-Artikel zur Reihe 12.

François Schuiten: La Douce. Casterman, 2012. Ca. 180 Seiten, A4, Querformat.

Bild: Wolfgang Krisai: Die Dampfloks 197.301 und 310.23 im Eisenbahnmuseum Strasshof bei Wien. Federzeichnung, koloriert, auf farbigem Papier. 1. 9. 2002. – Die belgische 12.004 sieht völlig anders aus. Wer weiß, vielleicht kann ich sie einmal im Belgischen Eisenbahnmuseum in Schaerbeek besichtigen und zeichnen…

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Olivier Kugler: Mit dem Elefantendoktor in Laos

Wolfgang Krisai: Skizze nach dem Buch-Cover.In Laos gibt es sie noch: die Arbeitselefanten. Und ihre geradezu symbiotisch mit ihnen lebenden Elefantenführer, die Mahut. Sie werden zum Beispiel eingesetzt, um aus den Wäldern die gefällten Baumstämme herauszutragen oder zu -ziehen. Da kann es schon einmal zu Verletzungen kommen, und dann kommen die Elefantendoktoren ins Spiel. Sie gehören der französischen NGO „ElefantAsia“ an, die sich um die Gesundheit und Arterhaltung der asiatischen Elefanten kümmert. Der deutsche Illustrator Olivier Kugler kann mit einem von ihnen in den Dschungel im Norden von Laos fahren, um die Arbeit der Tierärzte zu zeichnen.

Ein Comic ohne Sprechblasen und Panels

Herausgekommen ist eine Art Comicbuch, das aber wenig Ähnlichkeit mit üblichen Comics hat. Da gibt es keine Panels, keine Sprechblasen, sondern frei auf dem Blatt verteilte Zeichnungen und handgeletterte Texte, alles am Computer mit ebenso frei abstrahierten Farbflächen hinterlegt: eine Augenweide.

Gefährdungen

Und ein faszinierender Einblick in eine Angelegenheit, von der ich bisher schlicht nichts wusste. Man erfährt nicht nur, wie die Tierärzte und die Elefantenführer dort arbeiten, sondern wesentlich mehr, denn die Situation der Elefanten wird von modernen Entwicklungen wie der zunehmenden Abholzung der Wälder, dem Kohletagebau für thailändische Kohlekraftwerke und anderer wirtschaftlicher Faktoren bedroht. Wenn kein Wald mehr da ist, sind auch keine Baumstämme mehr herauszuschleppen. Für einige wenige Elefanten bliebe dann noch der Tourismus als Arbeitsmöglichkeit: Immerhin lässt es sich auf dem Rücken eines Elefanten gut reiten.

Die Mahut wiederum haben ein Nachwuchsproblem, da auch in Laos für die jungen Menschen die Arbeit in den Ballungszentren interessanter ist als unter einfachsten Bedingungen irgendwo im Dschungel. Das Knowhow der Mahut droht damit auszusterben, denn den Umgang mit Elefanten lernt jeweils der Sohn vom Vater.

Bomben

Nebenbei fließen auch geschichtliche Informationen mit ein. Wer weiß schon, dass auf Laos im Zuge des Vietnamkriegs mehr amerikanische Bomben niedergegangen sind als auf Deutschland während des Zweiten Weltkriegs?! Und rund ein Drittel der Bomben „schläft“ als Blindgänger noch im Boden des Landes.

Trotz dieser vielen betrüblichen Aspekte: ein wunderbares Buch!

Olivier Kugler: Mit dem Elefantendoktor in Laos. Edition Moderne, Zürich 2014. 48 Seiten, farbig, 20 x 30 cm, Hardcover.

Bild: Wolfgang Krisai: Skizze nach dem Umschlagbild von Olivier Kugler: Mit dem Elefantendoktor in Laos. 12. 12. 2014.

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