Archiv der Kategorie: Kriminalroman

Alex Beer: Der zweite Reiter. Ein Fall für August Emmerich

Wolfgang Krisai: Alex Beer, gezeichnet auf der Buch Wien 2018.

Alex Beer (Pseudonym für Daniela Larcher, eine Vorarlbergerin, die in Wien lebt und unter ihrem wirklichen Namen mehrere Vorarlberg-Krimis geschrieben hat) lernte ich bei einer Lesung im Rahmen der Wiener Kriminacht 2018 kennen. Frau Beer las aus ihrem zweiten August-Emmerich-Krimi vor.

Bei der Buch Wien trat sie kurz darauf ebenfalls auf, auch dort hörte ich mir ihre Lesung an, kaufte dann die Taschenbuchausgabe des ersten Emmerich-Romans, „Der zweite Reiter“, ließ ihn signieren und las ihn jetzt auch.

Der Held: eine unglückliche Person

August Emmerich ist eine unglückliche Person, mit Granatsplitter vom Ersten Weltkrieg im Knie, mit einer Freundin, deren Mann im Krieg vermeintlich gefallen ist, im Lauf des Romans, der 1919 spielt, aber wieder auftaucht (woraufhin sich die Freundin, die eigentlich Emmerich liebt, verpflichtet fühlt, zu ihrem angetrauten Ehemann zurückzukehren) und einem Posten als „Polizeiagent“ in Wien.

Als Polizeiagent arbeitet er in Zivil sozusagen als Detektiv. Sein Vorgesetzter Sander, ein überaus arroganter Typ, verlangt, er solle einen Ring von Schmugglern und Schwarzhändlern ausheben. Emmerich und sein junger Mitarbeiter Winter, der sich im Lauf des Krimis vom Greenhorn zum mutigen Polizisten mausert, am Ende aber von einem Verbrecher niedergefahren wird (er überlebt, aber was aus ihm wird, erfährt man wohl erst im zweiten Roman), verfolgen tatsächlich einen Schmugglerboss. Aber ohne Erfolg. Stattdessen stoßen sie auf eine Leiche, deren Ermordung die Eingangsszene des Romans darstellt.

Ermittlungen auf eigene Faust

Emmerich glaubt im Gegensatz zum Gerichtsmediziner (einem jungen Schnösel) nicht an Selbstmord und sucht auf eigene Faust nach dem Mörder, mit dem Hintergedanken, bei Erfolg hoffentlich in die Abteilung „Leib und Leben“ befördert zu werden.

Um sein schmerzendes Knie ruhig zu stellen, verfällt Emmerich auf Heroin, das damals in Tablettenform als Schmerzmittel gebräuchlich war, und wird süchtig danach.

Die Suche nach dem Mörder wird zu einer abenteuerlichen Sache, da Emmerich selbst ins Visier des Mörders gerät. Dieser ermordet nach und nach eine ganze Reihe von Männern und sogar eine Kellnerin, die in einem Lokal zuviel mitbekommen hat.

Eine große Hilfe ist Emmerich dabei ausgerechnet der Schmugglerboss, der sich als ein ehemaliger Kollege aus dem Waisenhaus erweist und Emmerich in höchster Not zu Hilfe kommt und dann seine Unterwelt-Verbindungen spielen lässt, um den Mörder ausfindig zu machen.

Die Handlung ist sehr abwechslungsreich und ziemlich spannend.

Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs

Am Ende erweist sich Emmerichs Vorgesetzter als der eigentliche Verbrecher: Er war im Krieg Kommandant einer Einheit, die äußerst brutale Kriegsverbrechen begangen hat. Nach dem Krieg wurde ein Kommission eingerichtet, die – ohnehin nur halbherzig – Kriegsverbrechen aufklären sollte. Da Sandner fürchtet, aufzufliegen, lässt er durch einen noch loyalen und völlig skrupellosen ehemaligen Soldaten alle Mitglieder der damaligen Truppe umlegen und die mitwissende Kellner ebenfalls. Auch Emmerich und Winter sind auf der Abschussliste.

Doch dank der Hilfe seines Schmuggler-Freundes kann Emmerich den wahren Verbrecher entlarven und festnehmen lassen. Emmerich, der zwischendurch selbst unter Mordverdacht verhaftet und eingesperrt worden war (durch eine kühne Flucht kam er wieder aus dem Gefängnis), ist nun entlastet.

Gut recherchiertes Zeitkolorit

Alex Beer hat, soweit ich das beurteilen kann, gut recherchiert und bringt viele interessante Details aus der Zeit nach dem ersten Weltkrieg. Auch sprachlich ist der Roman akzeptabel, auch wenn damals sicher niemand „Einen schönen Abend!“ gewünscht hätte und natürlich auch mein Lieblings-Unwort „zögerlich“ vorkommt.

Den Titel hat der Roman vom zweiten Reiter der vier apokalyptischen Reiter, vor dem Emmerich durch eine Wahrsagerin gewarnt wird.

Alex Beer: Der zweite Reiter. Ein Fall für August Emmerich. Kriminalroman. Blanvalet-Verlag, Verlagsgruppe Random-House, München, 2017. 382 Seiten (ohne die umfangreiche Leseprobe aus dem zweiten Roman).

Bild: Wolfgang Krisai: Alex Beer, gezeichnet auf der Buch Wien 2018.

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Brigitte Riebe: Die schöne Philippine Welserin. Historischer Roman

Wolfgang Krisai: Philippine Welser, Skizze nach einem Gemälde von 1557 auf Schloss Ambras. Bleistift, 2017.Ich las Brigitte Riebes historischen Roman über Philippine Welser als Vorbereitung auf die Ausstellung über Erzherzog Ferdinand II. von Tirol auf Schloss Ambras (15. Juni bis 8. Oktober 2017).

Tochter der zweitreichsten Handelsdynastie Deutschlands

Philippine ist ein Spross der zweitreichsten Handelsdynastie Deutschlands nach den Fuggern, der Welser. Berühmt wurde sie durch ihre geheime Ehe mit Erzherzog Ferdinand II. von Tirol.

Die Autorin behandelt Philippines Leben von der Jugend, wo sie Ferdinand kennengelernt hat, bis zu ihrem Tod 1580. Die Darstellung wechselt zwischen auktorial erzählten Kapiteln und Ausschnitten aus dem fiktiven Tagebuch der Heldin. Dabei wird kein Versuch gemacht, die Sprache etwa irgendwie historisierend zu gestalten, aber die Autorin verfällt auch nicht ins andere Extrem einer zu großen Verheutigung.

Eine kräuterkundige Frau

Die Großkapitel (die meist ein, zwei auktoriale und ein Tagebuch-Kapitel enthalten) sind nach Heilpflanzen benannt, zu denen jeweils eine Darstellung und eine Auflistung der guten und gefährlichen Eigenschaften der Pflanze beigestellt sind. Das kommt nicht von ungefähr, denn Philippine ist eine große Kräuterkundlerin und Medizinerin, ein Faktum, das historisch belegt ist. Im Roman lernt sie das alles von ihrer ebenso kundigen Mutter Anna, die sich mit der Kräuterkunde über ihre unglückliche Ehe hinwegtröstet.

Ehe gegen den Willen des Kaisers

Philippines Ehe mit Ferdinand hingegen ist zum Großteil glücklich. 1557 schließen die beiden eine geheime Ehe, gegen den Willen des Vaters Ferdinands, Kaiser Ferdinands I.. Als dieser von der Sache erfährt, muss er sich wohl oder übel dem Willen des Sohnes beugen, denn die Ehe ist nicht mehr rückgängig zu machen. Der Kaiser bestimmt aber, dass Ferdinands Kinder aus dieser Ehe von der Erbfolge der Habsburger ausgeschlossen werden. Immerhin aber werden sie gut versorgt.

„Findelkinder“

Zunächst lebt Philippine auf einem Schloss Pürglitz bei Prag, da Ferdinand Statthalter von Böhmen ist. So oft es geht, kommt er Philippine besuchen. Diese ist über die große Liebe ihres Mannes glücklich, wenn auch nicht darüber, dass sie vor der „Welt“ bloß als dessen Konkubine und ihre Söhne Andreas und Karl als „Findelkinder“ gelten. Die Kinder werden nämlich gemäß eines damals üblichen Ritus geheim zur Welt gebracht, dann wie Findelkinder vor das Schlosstor gelegt, „gefunden“ und der Schlossherrin in die Obhut gegeben.

„Mutter Tirols“

Ab 1567 wohnt Philippine auf Schloss Ambras bei Innsbruck, da Ferdinand inzwischen Herzog von Tirol geworden ist. In Tirol erwirbt Philippine sich durch ihre medizinischen Kenntnisse, die sie zum Wohl der Bevölkerung einsetzt, bald einen guten Ruf als die „Mutter Tirols“.

Erst 1576 dürfen die Eheleute sich öffentlich zu ihrer Ehe bekennen, da der Papst Ferdinand von seinem Schweigegelübde entbindet.

Insgeheim bereitet Ferdinand zu dieser Zeit jedoch schon eine weitere, dynastisch passende Ehe mit seiner Nichte aus Mantua vor, was Philippine im Roman herausfindet und resigniert mitverfolgt, indem sie Ferdinands Briefe liest.

Versuche, Philippine zu vergiften

Den ganzen Roman durchzieht das Kräuter-Thema, nicht nur positiv, sondern vor allem auch negativ, denn Philippine ist fortwährend der Gefahr ausgesetzt, vergiftet zu werden. Das beginnt schon auf Brednitz, dem Schloss ihrer Tante Katharina, wo die Hochzeit geschlossen wird. Schon davor will sie eine Dienstmagd – offensichtlich in höherem Auftrag – vergiften, wird aber ertappt und eingesperrt. Doch kurz darauf ist sie für immer verschwunden.

Eine Kammerfrau, der Philippine vollstes Vertrauen geschenkt hat, erweist sich ebenfalls als Giftmischerin. Und zuletzt versucht es noch eine Schwägerin, die lebenslustige, aber bankrotte Eva, doch dieses leicht durchschaubare Vorhaben kann Philippine rechtzeitig aufdecken.

Durch diese kriminelle Seite der Handlung bekommt der Roman seine Würze.

In einem Anhang erläutert die Autorin, inwieweit ihr Roman historisch „wahr“ ist.

Seltsamer Weise wird der Roman auf dem Umschlag als „historischer Kriminalroman“, auf dem Innentitel jedoch als „historischer Roman“ bezeichnet. Die Ambivalenz kommt wohl von der recht schwachen Ausprägung der Krimi-Handlung.

Brigitte Riebe: Die schöne Philippine Welserin. Historischer Roman. Gmeiner-Verlag, Maßkirch, 2013. 337 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Philippine Welser, Skizze nach einem Gemälde von 1557 auf Schloss Ambras. Bleistift, 2017.

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Marc Elsberg: Zero. Sie wissen, was du tust

Wolfgang Krisai: Frau am Brooklyn Pier. Tuschestift, Buntstift, 2016.

Eigentlich hätte ich Marc Elsbergs Roman „Zero. Sie wissen, was du tust“ sofort nach seinem Erscheinen 2014 lesen sollen. Denn Bücher wie diese, die sich mit aktuellen Phänomenen befassen, könnten leicht veralten. In diesem Fall ist es aber nicht so, denn der Roman ist so aktuell wie bei seinem Erscheinen, ja vielleicht noch aktueller, weil wir inzwischen der darin beschriebenen Zukunft näher gekommen sind: dem völligen Überwachungs- … ja, was? „Überwachungsstaat“ trifft  das, was hier beschrieben wird, nicht ganz. Natürlich, der Staat, insbesondere die Polizei und die Geheimdienste, bedient sich der Überwachungsmöglichkeiten, die das Internet, die allgegenwärtigen Überwachungskameras im öffentlichen Raum, die Smartphones, Smart-Watches und Datenbrillen bieten, aber nicht nur der Staat, sondern auch andere „Interessenten“ an den Daten der Bürger treten als Nutzer auf: Firmen, die die Daten weiterverkaufen, Unternehmen, die damit Geschäft machen wollen, dass sie die Menschen beeinflussen können – und solche, die dies alles nur zum Besten der eigenen Kunden machen wollen.

Das Leben per Software verbessern

Solch ein Unternehmen steht im Mittelpunkt des Romans: Freemee. Dieses Software-Unternehmen bietet seinen Kunden sogenannte ActApps an, mit deren Hilfe sie ihr Leben verbessern können.

Cynthia Bonsant (sprechender Name! „Gut und heilig“, klingt aber auch wie eine Pharmafirma), die Hauptfigur, hat eine Tochter namens Viola, die sich in den Monaten vor dem Einsetzen der Handlung vom gruftigen Goth zur attraktiven, erfolgreichen jungen Dame gemausert hat. Die Mutter freut sich, als sie allerdings im Lauf des Romans erfährt, was der Grund für die Veränderung ist, freut sie sich wieder weniger: Es sind die Lebensanweisungen, die Vi von den ActApps auf Schritt und Tritt erhält. Damit der User den Anweisungen folgt, hat Freemee ein ausgeklügeltes System von Anreizen erfunden, von denen starke Motivationskraft ausgeht. Man kann erfolgreicher werden, nicht nur in Schule und Beruf, sondern vor allem auch bei potentiellen Liebespartnern. Ein durchtrainierter Körper hilft da (man nehme: Fitness-ActApps) genauso wie die richtige Körpersprache und die richtigen Worte (auch dafür gibt es ActApps). Die Apps treten in Form charmanter virtueller „Charaktere“ oder besser „RoboterInnen“ in Erscheinung, die der Userin bzw. dem User die Anweisungen vorschlagen. Man wird zu nichts gezwungen – aber man erfährt immer rechtzeitig, was man versäumt oder was die negativen Folgen sind, wenn man der ActApp nicht folgt. Der Erfolg wird in Prozenten gemessen („Sie haben 18% Chancen auf eine Liebesnacht“), die eigene Position wird in allerlei Rankings festgelegt.

Die Versuchung eines Programmierers

Im Roman erliegt allerdings das Superhirn hinter den ActApps, der Programmierer Carl Montik, der Versuchung, auszutesten, wie weit die NutzerInnen den ActApps folgen. Seine Experimente haben in der Vergangenheit zum Tod zahlreicher Freemee-Kunden geführt, die sich von ActApps in krasse Selbstüberschätzung oder in Depressionen wegen Nichterreichens der Ziele treiben ließen. Als sogar ein Vorstandmitglied Opfer der eigenen manipulierten ActApps wird, fährt Carl jedoch seine Experimente etwas zurück.

Es gibt jedoch einen Gegenspieler all der Datenüberwacher, -manipulatoren und -missbraucher: „Zero“, ein Team anonymer Mahner im Internet, deren Slogan an einen alten Spruch aus dem antiken Rom erinnert: „Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Datenkraken zerschlagen gehören“.

Der von Drohnen verfolgte US-Präsident

Der Roman beginnt äußerst wirksam mit einem spektakulären „Auftritt“ von Zero: Ein Schwarm von Zero gesteuerte Drohnen dringt in den Privatgarten des amerikanischen Präsidenten ein und verfolgt ihn sogar bis ins Innere des Weißen Hauses, wo die Sicherheitsbeamten schließlich die Drohnen unschädlich machen können. Der ganze Überfall wird live im Internet übertragen.

Damit hat Zero, der vorher nur durch wenig breitenwirksame kritische Youtube-Videos in Erscheinung getreten ist, einen Quantensprung an Popularität gemacht. Und er ist ins Fadenkreuz der NSA und des FBI geraten.

Während diese Institutionen die realen Leute hinter Zero – erfolglos – ausfindig machen wollen, wollen Freemee und die Online-Redaktion der Zeitung „Daily“, bei der Cynthia Bonsant angestellt ist, von der möglichst langen Suche nach Zero profitieren und ihre Nutzerzahlen steigern.

Die tödliche Datenbrille

Parallel zu der Zero-Handlung entwickelt sich ein weiterer Handlungsstrang: Darin geht es direkt um die ActApps von Freemee. Als nämlich Cynthia eine der Redaktion gehörige Datenbrille an ihre Tochter verleiht, hat diese nichts besseres zu tun, als diese Brille auf der Straße zu nutzen, um mittels Gesichtserkennungssoftware die Personen in ihrer Umgebung zu identifizieren. Da funktioniert erstaunlich gut, und die Datenbrille zaubert Vi zu fast allen Personen Namen, Beruf, Alter, Wohnort, etc. auf den Brillen-Bildschirm. Sie borgt die Brille auch einem ihrer Freunde, Adam, und dieser identifiziert einen zufällig des Weges kommenden Schwerverbrecher. Die Jugendlichen alarmieren die Polizei und nehmen die Verfolgung des Verbrechers auf. Dieser bekommt das schließlich mit, zückt eine Pistole und erschießt Vi’s Freund. Gleichzeit wird aber er selbst von einer ankommenden Polizeistreife niedergeschossen.

Warum Adam, der noch vor kurzer Zeit ein pummeliger Zauderer war, plötzlich so unbeirrbar hinter dem Verbrecher her war, fragt Cyn sich bald. Von Vi wird sie in die Geheimnisse der ActApps eingeweiht, von denen sie noch keine Ahnung hat. Die „Daily“ setzt sie auf die Gefahren, die von Freemee ausgehen, an, weshalb sie sich selbst einmal versuchsweise in Freemee-Konto anlegt und eine Liebes-App ausprobiert.

Der betörend schöne Mitarbeiter

Sie ist nämlich geschieden und seit Längerem erfolglos auf Partnersuche. Nun muss sie in der Redaktion mit einem indischen IT-Spezialisten, Chandor Akarwal, zusammenarbeiten, der hinreißend schön ist. Mit Hilfe von Peggy, des virtuellen ActApp-Avatars, die ihr sagt, wie sie bei Chandor Erfolg haben kann, gewinnt sie diesen erstaunlich schnell für sich, zumindest für eine beschwipste Liebesnacht.

Die verschlungene Handlung noch weiter nachzuerzählen wäre zu langwierig. Der Leser muss sich sehr anstrengen, um nicht völlig den Überblick zu verlieren über all die Gruppen von Geheimdienstlern und IT-Spezialisten, die in den kurzen Kapiteln, die in guter Thriller-Manier immer mit einem kleinen Cliffhänger abbrechen, auftreten.

Schauplatz Museumsquartier, Wien

Für mich als Österreicher war besonders der in Wien spielende Abschnitt interessant: Im Innenhof des Museumsquartiers können Cyn, Akarwal und ihr Chef nämlich einen Zero-Vertreter orten, der sich dort ins Internet einloggt. Sie wollen ihn ansprechen, er bekommt das aber spitz und flüchtet. Und plötzlich verfolgen ihn nicht nur Cyn und Akarwal, sondern auch ein Dutzend weniger harmlose Killertypen. Zero flüchtet in Wiens „Unterwelt“, in die Kanalisation. Der „dritte Mann“ lässt grüßen!

Cyn verfolgt den Mann in die Kanalisation, wird dort aber von jemandem fast ersäuft, von dem Zero-Typ aber gerettet. Deshalb schwört sie in einem Online-Video der Suche nach Zero ab, wechselt also die Seiten.

Showdown in New York

Zum Showdown kommt es in New York, wo Cyn und Chandor hinfliegen, um bei einer Talkshow über Freemee zu reden. Cyn hat inzwischen von einem Freund Vi’s erfahren, dass Freemee Tausende Menschen auf dem Gewissen hat.

Freemee lässt den Burschen rasch ausschalten. Aber zu spät. Cyn und Chandor kommen dahinter, was da gelaufen ist, und werden dadurch selbst zu Verfolgten. Chandor wird im Hotelzimmer erschlagen, Cyn flieht durch New York, zum Teil durch das dortige Kanalsystem, und rettet sich nur dadurch, dass sie einen Passanten dazu bringt, sie zu filmen und diesen Film live ins Internet zu übertragen. Cyn erzählt in aller Kürze von den tödlichen Manipulationen Freemees, bevor sie von der Polizei festgenommen wird, die glaubt, sie hätte Chandor umgebracht.

Da sich aber – da sind die genauen Ortungsmöglichkeiten von Handys wieder ein Segen – herausstellt, dass Cyn Chandor nicht umgebracht haben kann, weil sie zum Zeitpunkt des Mordes bereits auf der Flucht war, glaubt die Polizei ihr. Freemees Machenschaften werden aufgedeckt, Cyn freigelassen, Zero wird als wichtiger Aufdecker bejubelt, Happy End.

Die „Crowd“

Oder fast. Denn die Botschaft des Romans ist zwiespältig: Das Internet und die Totalüberwachung kann gut oder schlecht sein, je nachdem. Die Rettung sieht der Autor offenbar eher in der „Crowd“, in den Milliarden Nutzern, die, wenn sie sich zusammentun, das Gute fördern und das Böse stoppen können. Hoffen wir, dass er sich hier nicht irrt.

Marc Elsberg: Zero. Sie wissen, was du tust. Roman. Blanvalet, München, 2014. 480 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Frau am Brooklyn Pier. Tuschestift, Buntstift, 2016.

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Ursula Poznanski: Schatten. Thriller

Wolfgang Krisai: Salzburg, Kapitelplatz mit St. Peter, 2013

Das ist nun schon der vierte Thriller um die Salzburger Ermittler Beatrice Kaspary und Florin Wenninger. Im vorhergehenden wurden die beiden ein Paar. Nun wurde es für die Autorin offenbar Zeit, die unerfreuliche Situation mit Beatrices Ex-Mann, dem Widerling Achim, einer Veränderung zuzuführen, denn wenn die Reaktionen einer Figur allzu vorhersehbar und gleichförmig werden, packt den Leser die Langeweile. Und das wäre doch der Tod eines Thrillers…

Mit Nebenfiguren wird aufgeräumt

Also räumt Poznanski mitten im Buch mit Achim auf. Nie wieder wird er der sein, der er war. Wie er allerdings werden wird, erfahren wir in diesem Roman noch nicht. Es muss ja einen Grund geben, den nächsten zu kaufen.

Ein ähnliches Schicksal ereilt in diesem Roman übrigens aus Beatrices ewig unzufriedenen Vorgesetzten. Er wird im nächsten Roman durch eine neue Figur ersetzt werden müssen.

Konfrontiert mit der eigenen Vergangenheit

Dieser Roman lässt sich zunächst eher mäßig spannend an. Ein gefinkelter Mörder, der Lust daran hat, mittels geschickt gestreuter Hinweise Beatrice mit ihrer Vergangenheit zu konfrontieren, treibt sein Unwesen. Man könnte sagen: Schön, dass er Personen aus dem Weg räumt, die Beatrice unsympathisch sind. So zum Beispiel diesen Markus Wallner, der als erstes dran glauben muss. Ein Ausbund an Widerlichkeit, charakterlicher Zwillingsbruder von Achim.

Die Vergangenheit, der sich Beatrice nun neuerlich stellen muss, gibt der Figur neue Facetten: Wir erfahren, dass Beatrice einst Lang hieß, in Wien studierte und mit einer reichlich arroganten, von sich bis zum Platzen überzeugten Kommilitonin in einer WG zusammenlebte, mit Evelyn. Ausgerechnet, als Beatrice, sonst eher ein Mauerblümchen, eine Nacht mit ihrem Angebeteten David Zimmermann verbringt, ruft Evelyn um drei Uhr früh an und fragt, ob Beatrice, von ihr „Hase“ genannt, sie von einer Party abholen könne. Beatrice lehnt ab.

Als sie am nächsten Tag zu Hause ankommt, entdeckt sie Evelyn in deren Zimmer: tot, grausam verstümmelt, in einem Blutbad.

Das war vor 16 Jahren. Seither macht Beatrice sich Vorwürfe, dass sie Evelyn nicht abgeholt hat. Dann wäre diese wohl nicht gestorben…

Aus „Hase“ wird Polizistin

Das grauenvolle Erlebnis wirft Beatrice völlig aus der Bahn, sie gibt ihr Studium auf, trennt sich von David und wird in Salzburg Polizistin.

Das ist allerdings eine erstaunliche Kehrtwendung für eine Person, die von ihrer Freundin als „Hase“ eingestuft wird. Eine Polizistin müsste doch wohl eher „Tiger“, „Wolf“ oder zumindest „Fuchs“ sein. Inzwischen ist Beatrice all das auch geworden. Man fragt sich, wie das möglich war. Ganz einfach: Evelyn hat Beatrice falsch eingeschätzt, sie war niemals bloß ein „Hase“.

Von diesem Spitznamen erfährt Beatrice erst im Lauf dieses Romans, als sie den einstigen Mord an Evelyn, der damals nicht aufgekärt wurde, sich nun als Ermittlerin vornimmt, um zugleich den alten und den neuen Fall zu lösen. Evelyn hat ein Tagebuch hinterlassen, das Beatrice nun lesen kann.

Spannung ab Seite 130

Für den Leser liegen die Fäden, die später verknüpft werden, hier noch so weit auseinander, sodass der Roman auch nicht richtig spannend werden will. Das ändert sich buchstäblich mit einem Schlag, als der Täter auf Seite 130 Beatrice selbst ins Visier nimmt.

Ab dieser Stelle wird nicht mehr nur aus Beatrices Sicht erzählt, sondern mehrheitlich aus der Sicht Florins, der beunruhigt ist, als Beatrice nicht am Fundort der Leiche einer besonders unsympathischen Person, die man als Leser schon lange kennt, eintrifft. Florin muss nun auch die Sorge für die beiden Kinder Beatrices übernehmen und will dies gemeinsam mit Achim machen, der sich allerdings nicht gerade kooperativ verhält. Nur – nicht mehr lange.

Die restlichen 280 Seiten des Romans sind so spannend, dass sie der Bezeichnung Thriller alle Ehre machen.

Auch wenn der Krimi in Salzburg spielt, ist er doch kein typischer Regionalkrimi, da Poznanski mit Salzburger Flair äußerst sparsam umgeht. Hie und da ein Hinweis, ein Schauplatz, das muss genügen.

Ursula Poznanski: Schatten. Thriller.Wunderlich im Rowohlt-Verlag, Reinbek, 2017. 413 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Salzburg, Kapitelplatz mit St. Peter, 2013. – Die goldene Kugel mit männlicher Figur darauf ist Teil des Kunstwerks „Sphaera“ von Stephan Balkenhol aus dem Jahr 2007. Die zugehörige weibliche Figur entdeckt man nur, wenn man weiß, wo sie sich befindet – jedenfalls nicht auf diesem Bild.

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Bernhard Schöllbauer: Neustadt. Ein Braunauer Kriminalroman

Wolfgang Krisai: Inn bei Braunau. Aquarell. 2007.

Bei einem Besuch in Simbach am Inn kaufte ich kürzlich diesen Krimi, um die vom verheerenden Hochwasser im Juni 2016 gerade noch ein wenig betroffene örtliche Buchhandlung zu unterstützen. Im Laden ist das Wasser einige Zentimeter hoch gestanden, Bücher sind zum Glück dabei nicht beschädigt worden, aber trotzdem ist jetzt einiges an Reparaturarbeiten durchzuführen…

(Achtung! Wer den Krimi selbst lesen will, sollte diese Rezension nicht bis zum Ende lesen, wo das Ende des Krimis verraten wird!)

Ein Toter in der Braunauer „Neustadt“

Der Titel dieses Romans gibt eigentlich nur den Ausgangspunkt einer immer weiter in die große Welt der organisierten Kriminalität ausgreifenden Handlung an: In einer Hochhaus-Wohnung in der Braunauer „Neustadt“ – das ist ein in den 70er-Jahren im Süden der Stadt errichtetes Wohnviertel mit einigen Hochhäusern, Einkaufszentrum, Pfarrkirche, usw. – wird ein Toter gefunden, mit aufgeschnittener Halsschlagader und zerschnittenem Gesicht. Die Tatwaffe liegt auch gleich dabei: eine geköpfte Bierflasche. Der Tote ist ein gewisser Josef Achatz, der vor seiner Pensionierung in der AMAG gearbeitet hat, dem riesigen Aluminiumwerk in Ranshofen, jetzt aber entweder zu Hause sitzt oder für einen bayerischen Zeitschriftengroßhandel Zeitschriften ausfährt.

Kriminalkomissar Margreiter und sein Assistent Klein, die beide in Salzburg wohnen und zwischen Dienststellen in Salzburg und Braunau hin und her pendeln, werden mit dem Fall befasst. Sie tappen allerdings völlig im Dunkeln.

Eine im Wald vergrabene Mädchenleiche

Bald darauf wird im Kobernaußerwald zufällig eine vergrabene Mädchenleiche gefunden: Es ist Sandra Stadelmayr, Tochter eines Bankdirektors aus Helpfau. Die Tochter ist seit einigen Tagen als vermisst gemeldet.

Kriminalistische Untersuchungen ergeben, dass Sandra offenbar von Achatz vergewaltigt wurde. Er wird sie wohl ermordet haben. Was jedoch seinen Tod noch nicht erklärt.

Eine Wasserleiche am Inn-Ufer

Richtig „großräumig“ wird die Sache erst, als eine weitere Tote auftaucht, diesmal angeschwemmt am Inn-Ufer. Es ist eine nicht näher identifizierbare junge Frau aus dem Osten (darauf deutet ein typischer Talisman hin, den sie dabei hat).

Interessanter Weise tappt in diesem Roman die Polizei im Dunkeln, während der Leser genau weiß, was los ist, da es nicht nur Kapitel gibt, die aus der Sicht der Polizei erzählt sind, sondern viele, die Handlungsteile bringen, von denen die Polizei nie etwas erfährt.

So wissen wir als Leser, dass die Tote eine in einem Kleintransporter nach Österreich geschleppte Moldawierin ist, die beim Transport gestorben ist. Nicht gestorben ist zunächst die neben der Toten liegenden Iwanka, die wie die anderen mittransportierten Mädchen in ein Bordell gebracht wird, wo sie wegen kleiner Aufmüpfigkeiten sofort einmal vergewaltigt und in eine „Sonderzelle“ gesperrt wird. Allerdings ist der Bewacher ein unterbelichteter Typ, der im Dienst einschläft, was Ivanka zur Flucht nützen kann.

Ein in der Müllverbrennungsanlage verbrannter Bewacher

Die Bordellchefin, eine überaus resolute und kaltblütige Bulgarin, die in Österreich als Diplomatin getarnt ist, lässt daraufhin den Bewacher zur Strafe foltern und umbringen. Die Polizei findet ihn nie, da er in Linz in der Müllverbrennungsanlage verheizt wird.

Ein in Bulgarien umgelegtes Mädchen

Auch Ivanka überlebt nicht, sondern wird am Ende ihrer Flucht in Bulgarien aufgespürt und umgelegt.

Ein überfahrener Mitwisser

Margreiter und Klein merken, dass der Fall internationale Dimensionen annimmt. Als nun ein weiterer Fahrer der Bayernland-Press, Kloiner, ins Spiel gebracht wird, bekommt der Fall eine weitere Dimension: die der Kinderschädung. Als Kloiner merkt, dass man ihm auf der Spur ist, vergräbt er belastende DVDs und Festplatten im ehemaligen „Grab“ von Sandra Stadelmayr im Kobernaußerwald. Als er nach getaner Arbeit mit seinem Auto aus dem Waldweg in die Straße einbiegt und dabei einen heranrasenden Lastwagen übersieht, ist es auch um ihn geschehen.

Klein entdeckt – kriminalistische Intuition – die vergrabenen Schätze. Noch bevor Margreiter oder er sie sich ansehen können, wird eine der DVDs allerdings aus dem Polizeibüro entwendet.

Ein aus Protest kranker Polizist

Wieder weiß der Leser mehr als Margreiter und Klein: Der Entwender ist ausgerechnet eine Kollege von der Sittenpolizei, der mit den Kinderschändern im Bunde ist. Diese Pädophilen sind allerlei honorige Herren, auch Politiker, die schnell durchsetzen können, dass nur die weniger wichtigen Herren aufgedeckt und bestraft werden, während die Verbrechen der „höheren Viecher“ vertuscht werden. Margreiter will da nicht mitspielen und meldet sich aus Protest krank.

Da die Ermittler dem Bordell mit den moldawischen Mädchen auf die Spur kommen, ergreifen die Bordellchefin und alle Aufseher die Flucht. Den Mädchen wird mit drastischen Mitteln eingeschärft, was sie der Polizei sagen müssen: Sie alle seien freiwillig hier und seien immer gut behandelt worden.

Zwei politische Drahtzieher, einer aus der ÖVP, einer aus der SPÖ, treffen sich und schauen sich die entwendete DVD an und vereinbaren, welche der darauf sichtbaren Mädchenschänder sie hochgehen lassen wollen und welche nicht. Margreiter, wieder im Dienst, kommt die Gleichförmigkeit der Aussagen der Mädchen seltsam vor. Von einem der Mädchen erfährt er schließlich von den Drohungen. Doch das hilft nicht weiter.

Ein verblüffendes Ende

Und: Ende! In diesem Kriminalroman wird am Ende nicht Gerechtigkeit hergestellt, sondern werden die Polizisten befördert, weil sie bei der Vertuschung geholfen haben. Margreiter lässt es sich gefallen.

Dieses Ende hat mich verblüfft. Ich muss aber gestehen, es kommt mir sehr realistisch vor.

Schöllbauer schreibt einen angenehmen Stil, der sich flott liest.

Der Roman hätte ein großes Publikum verdient, ist jedoch in dem regionalen Kleinstverlag „edition innsalz“ erschienen,dessen Produkte höchstens in den Regalen von Braunauer und Simbacher Buchhandlungen stehen, sonst aber nur im Internet aufgespürt werden können. Schade.

Bernhard Schöllbauer: Neustadt. Ein Braunauer Kriminalroman. edition innsalz, Ranshofen, 2016. 259 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Inn bei Braunau. Aquarell. 2007.

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Eva Rossmann: Russen kommen

Wolfgang Krisai: Windmühle in Retz. 2016. Tuschestift und Buntstift.

Das ist mein erster Mira-Valensky-Krimi, nicht aber der erste der Autorin. Es gibt schon zahlreiche Vorgänger. Mir ist der Roman eher zufällig in die Hände gefallen: weil ich neulich nicht widerstehen konnte, in das Mödlinger Offene Bücherregal zu schauen… Für Kenner der Journalistin-Detektivin hat Eva Rossmann übrigens immer wieder Erinnerungen an frühere Fälle eingestreut.

Offene Fragen um tote Oligarchen

In diesem Krimi geht es, der Titel kündigt es an, um Russen, genauer um den Oligarchen Boris Dolochow und dessen unerfreulichen Zwillingsbruder Wassilij, der in einer luxuriösen Dachwohnung in Wien ziemlich zu Anfang der Handlung tot aufgefunden wird: an einen Liegestuhl gefesselt, gefoltert, verdurstet. Wie es möglich ist, auf einer Wiener Dachterrasse so zu verenden, frage ich mich. Hat Wassilij nicht um Hilfe geschrieen? Nicht einmal auf Russisch? Im Roman fragt sich das niemand.

Dafür fragt sich Mira Valensky gleich am Anfang, weshalb einige Russen, die in einer noblen Schihütte am Arlberg mit Geld um sich werfen, bei der Ankunft des Helikopters eines Bauunternehmers durch die Hintertür die Flucht ergreifen.

Baumeister, mediengeil

Mira will nämlich für das „Magazin“ (vergleichbar mit dem „Spiegel“ oder dem österreichischen „Profil“) eine Reportage über russische Gäste in Österreich schreiben. Die ja legendär reich und spendabel sein sollen. Bei ihren Recherchen stößt sie auf Boris Dolochow, der im Weinviertel, dort, wo sein Vater im Zweiten Weltkrieg gestorben ist, eine Kapelle errichten lassen will (beauftragter Baumeister: Sorger, der mit dem Helikopter; ein mediengeiler Typ, wie man ihn in Österreich sogar als Präsidentschaftskandidaten kennt). Außerdem erfährt sie von einem mysteriösen Autounfall, bei dem zwei Russen ums Leben kamen, ebenfalls im Weinviertel.

Wirtschaftskriminalität

Allmählich entwickelt sich aus all dem eine Kriminalhandlung im Bereich der Wirtschaftskriminalität. Der Kriminelle ist Wassilij, an dem sich aber natürlich nicht Russen, sondern ein Österreicher und ein Deutscher rächen und ihn auf die genannte Weise zu Tode bringen.

Diese Handlung wirkte auf mich mäßig spannend.

Lokalkolorit, originelle Nebenpersonen, Kochrezepte

Verbrämt ist das alles, wie es sich für einen modernen Krimi gehört, mit etwas Lokalkolorit (Wien, Weinviertel, Arlberg), originellen Nebenpersonen, kleineren Beziehungsproblemen der Hauptfigur und – Spezialität von Eva Rossmann – mit kulinarischen Exkursen und Kochrezepten. Eva Rossmann ist da tatsächlich Expertin, ergeht sich daher immer wieder in Haubenkoch-Gefilden, sei es bei der Beschreibung exklusiver Menüs oder von Miras eigenen Koch-Kreationen.

Die originellen Nebenpersonen sind:

die ehemalige Putzfrau von Mira, Vesna, die jetzt ein Reinigungs- und Detektivunternehmen betreibt und eng mit Mira zusammenarbeitet;

der neue Chefredakteur Klaus Felner vom „Magazin“, mit dem sich Mira schnell zusammenrauft, ja anfreundet, weil er sich entgegen allen Erwartungen als brauchbarer Chef erweist, der die Arbeit seiner Mitarbeiterin zu schätzen weiß;

der im Rollstuhl sitzende Kollege Droch, der gute Beziehungen hat und diese für die Handlung nutzbringend einsetzt;

Miras Katze Gismo, die behandelt wird wir ein Scheidungskind: keiner hat richtig Zeit für sie, Frauerl und Herrl sind ständig woanders…

Und die Beziehungsprobleme? Die entstehen daraus, dass Miras Ehemann Oskar, Jurist übrigens, die Russen-Recherchen für gefährlich hält und Mira am Weitermachen hindern will. Vergeblich, natürlich.

Eva Rossmann: Russen kommen. Ein Mira-Valensky-Krimi. Bastei-Lübbe-Taschenbuch, Bastei-Lübbe-Verlag, Köln, 2010. 318 Seiten.

Vor kurzem war ich im Weinviertel, wo dieser Krimi zum Teil spielt. Die Retzer Windmühle ist dort eine wichtige Sehenswürdigkeit. Wolfgang Krisai: Windmühle in Retz. 2016. Tuschestift und Buntstift.

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Ursula Poznanski, Arno Strobel: Fremd. Thriller

Wolfgang Krisai: Ausbruch. Aquarell, ca. 1990.Obwohl ich eigentlich mitten in einem umfangreichen Buch steckte, las ich den Thriller „Fremd“ von Ursula Poznanski und Arno Strobel, weil ich nach ein paar Seiten nicht mehr aufhören konnte. Vor allem in der ersten Hälfte entwickelt das Buch einen starken Sog, der einen dann trotz gewisser Schwächen bis zum Ende weiterträgt.

Partielle Gedächtnislücke

Der Roman spielt eine orginelle Grundidee von A bis Z durch: Eine Person – im Roman die in Deutschland lebende australische Milliardärstochter Joanna Berrigan – kann sich an ihren Verlobten – den IT-Spezialisten Erik Thieben – plötzlich nicht mehr erinnern, mit dem sie aber in einem Haus zusammenlebt.

Erik kommt eines Abends nach Hause, und Joanna behandelt ihn wie einen Einbrecher, vor dem sie sich panisch fürchtet. Erst allmählich merkt sie, dass er ihr nichts tun will, allerdings behauptet, ihr Verlobter zu sein. Sie kann sich an keinen Erik erinnern.

Zunächst scheint der Roman ein rein psychologisches Problem abzuhandeln: partielle Gedächtnislücke. Seltsam ist jedoch, dass auch Eriks Sachen alle aus dem gemeinsamen Haus verschwunden sind.

Da Joanna schließlich einwilligt, eine Ärztin aufzusuchen, bleibt Erik bei ihr. Als sie zur Ärztin fahren wollen, springt Joanna plötzlich an einer Kreuzung aus dem Auto und flüchtet zur gemeinsamen Freundin Ela in ein nahe gelegenes Spital, wo diese im Labor arbeitet. Ela kann sie schließlich überreden, tatsächlich eine Ärztin aufzusuchen, wohin sie sie auch bringt.

Mordversuch

Bald treten aber Phänomene auf, die über das Vergessenproblem hinausgehen: Joanna bekommt einen Anfall, in dem sie Erik niederzustechen versucht. Da er sich zufällig im letzten Moment bewegt, trifft sie nur den Arm. Als Erik ins Krankenhaus fährt, wird er von einem Auto in den Straßengraben gedrängt. Mordversuch Nummer zwei? Sieht so aus.

Terroranschlag

Vom Firmenchef Gabor wird er ebenfalls seltsam behandelt: Dieser will ihn offenbar aus einer Sache draußenhalten, von der Erik zufällig erfahren hat, weil er das streikende Notebook des Chefs wieder in Gang bringen musste und dann auf dem Bildschirm eine Nachricht las. Er reimt sich zusammen, dies sei ein Hinweis auf das ganz große Geschäft, und daran will er unbedingt beteiligt sein. Als er das bei Gabor energisch einfordert, überlegt es sich dieser anders und schickt ihn nach München zum Bahnhof, um die damit betrauten Geschäftsfreunde abzuholen. Als Erik mit geringer Verspätung dort eintrifft, entgeht er mit knapper Not einem gewaltigen Bombenanschlag auf die Bahnhofshalle, bei dem über hundert Menschen sterben. Sollte er da auch sterben?

(Wer sich die Spannung nicht nehmen lassen will, springe jetzt auf „Verstimmt“ hinunter.)

Entführung

Es stellt sich heraus, dass auch Joanna inzwischen auf der Todesliste der unbekannten Gegner steht, deshalb alarmiert sie widerwillig ihren autoritären Vater, der von Erik nichts wissen will, sondern einen anderen Mann für sie vorgesehen hat. Der Vater schickt sofort einen Privatjet, mit dem sie nach Australien geholt werden soll. Ohne Erik. Unter diesen Umständen weigert sich Joanna, die sich inzwischen ein zweites Mal in Erik verliebt hat, mitzufliegen und flieht mit diesem aus dem Flughafengebäude. Sie quartieren sich für einige Tage in einem Münchner Hotel ein, weil ihr Haus von den Mördern observiert wird. Als Joanna einmal das Hotel verlässt, beobachtet Erik vom Zimmerfenster aus, dass sie in ein Auto gezerrt und entführt wird. Er vermutet den Bediensteten ihres Vaters, Gavin, dahinter, und fährt neuerlich zum Flughafen, wo ja die Privatmaschine nach wie vor wartet. Dort trifft er zwar Gavin, nicht aber Joanna an. Sie muss den Mördern, als deren Kopf Erik schon länger seinen Chef Gabor ausgemacht hat, in die Hände gefallen sein.

Showdown

Es kommt zum Showdown in einer Fabrikshalle, wo die Mörderbande Joanna als Geisel hält. Erik rast hin, während Gavin ihm mit seinen Kollegen folgt, die nicht nur Flugbegleiter, sondern eine waschechte Bodyguard-Einheit sind und nun Joanna aus dem Schlamassel rauszuhauen versuchen. Auch die Polizei ist eingeschaltet. Großangriff auf die Fabrikshalle, wo Joanna und Erik gerade knapp vor ihrer Ermordung stehen. Sie sollen beseitigt werden, weil sie herausbekommen haben, dass Gabor hinter dem Münchner Terroranschlag steckt, nicht die „Islamisten“, die sich angeblich dazu bekannt haben. Und hinter Gabor steckt Heinrich von Ritteck, Boss einer Gruppierung alter Nazis, die Deutschland vom Islam befreien will. Ritteck und seine Schergen sind nun in der Fabrikshalle, um für die Beseitigung der Mitwisser zu sorgen. Doch sie zögern zu lange, Gavin kracht mit seinen Mannen herein, die Antiterroreinheit der Polizei folgt auf dem Fuß, Ritteck richtet sich selbst, seine und Gabors Mordgesellen werden erschossen, Gabor festgenommen. Joanna und Erik sind gerettet.

Des Rätsels Lösung

Nun aber folgt erst die Auflösung der rätselhaften Vergesslichkeit Joannas: Gabors Komplize, der Psychologe Bartsch, hat Joanna während ihres letzten Urlaubs hypnotisiert und ihr eingeimpft, wenn sie einen Anruf mit dem Codewort „Totes Licht“ bekommt, alle Sachen ihres Verlobten zu beseitigen und diesen dann, sobald er nach Hause kommt, zu erstechen. Der Polizei gegenüber solle sie Notwehr geltend machen. Ein Arbeitskollege der inzwischen auch schon umgelegt ist, hat Erik eine Audiodatei der Hypnose-Sitzung Bartschs mit Joanna zugespielt. Diese hören sie sich jetzt an: Die Sitzung wird durch einen kurzen englischen Wortwechsel unterbrochen, dessen wichtigsten Satz „Forget him!“ Joanna in ihrer Hypnose als auf Erik bezogenen Befehl internalisiert, obwohl er sich auf etwas ganz anderes bezog. Das hat Erik das Leben gerettet, denn anstatt in sofort zu ermorden, hat sie ihn zunächst vergessen. Erst später ist aus ihrem Unterbewusstsein auch der Mordbefehl hochgekommen.

Erik und Joanna hoffen nun, dass es eine Möglichkeit gibt, die Wirkung der Vergessens-Hypnose rückgängig zu machen.

Epilog: Treffen der übrig gebliebenen Mitglieder der Nazi-Truppe Rittecks. Sie schwören, dem Vermächtnis ihres Anführers Ritteck treu zu bleiben und weiterzumachen…

Verstimmt

Ich bin zwar ein Poznanski-Fan, mit diesem Roman aber ziemlich auf die Probe gestellt worden. Denn Romane, deren Helden schwerreiche Erbinnen sind, mag ich gar nicht, und solche, wo politisch inkorrekte Geheimbünde gigantische Verbrechen begehen, noch weniger. Solche, die wirken, als schielten die Autoren auf tagesaktuelle Zustände zwecks Verkaufszahlensteigerung mittels politisch korrekter „Aussage“, begeistern mich auch nicht. „Man merkt die Absicht und ist verstimmt.“ Die „Aussage“ hier: Gefährlich sind nicht die islamischen Zuwanderer und deren angebliche Terrornetzwerke, sondern die Neonazis in Deutschland, die zu jeder Grausamkeit gegen diese Zuwanderer fähig sind.

Spannend war der Roman trotzdem, und darauf kommt es bei so einem Thriller ja in erster Linie an. Stilistisch ist der Text eine perfekte Einheit, obwohl vermutlich die Erik-Kapitel von Arno Strobel und die Joanna-Kapitel, die sich damit abwechseln, von Ursula Poznanski geschrieben sind. Wahrscheinlich haben die beiden den Text dann aber gemeinsam überarbeitet. So stelle ich mir das laienhaft vor.

Ursula Poznanski, Arno Strobel: Fremd. Thriller. Wunderlich im Rowohlt-Verlag, Reinbek, 2015. 392 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Ausbruch. Aquarell, ca. 1990.

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Marc Elsberg: Blackout

Wolfgang Krisai: E-Werk in Perchtoldsdorf bei Wien, Tuschestift, Buntstift, 2013.

Unauffällig und doch so wichtig: ein Elektrizitätswerk.

Schon vor einiger Zeit habe ich den Anfang dieses Buches gelesen und ihn so spannend gefunden, dass ich das ganze Buch unbedingt lesen wollte. In den Osterferien war dafür Zeit, und ich habe den Ziegel innerhalb von drei Tagen ausgelesen. Das ist der Vorteil spannender Lektüre: Sie liest sich wie von selbst.

In diesem Fall ist die Lektüre aber nicht nur spannend, sondern aufrüttelnd, denn Elsberg macht einem bewusst, wie wenig man auf Katastrophen vorbereitet ist.

14 Tage kein Strom

In diesem Roman ist ein europaweiter Stromausfall die Katastrophe, noch dazu im Winter 2011. Die Energieunternehmen schaffen es 14 Tage lang nicht, das Blackout zu beheben. Was 14 Tage ohne Strom bedeuten, kann man sich zum Teil ausmalen. Elsberg malt das mit Sicherheit aber noch genauer und damit erschreckender aus. Heutzutage hängt ja fast alles von einer funktionierenden Stromzufuhr ab, häufig sogar die Wasserleitung und die WC-Spülung, von der Heizung ganz zu schweigen.

Ein „guter“ Hacker

Der Roman beginnt wirkungsvoll mit einem Verkehrsunfall in der Nähe von Mailand, der durch den plötzlichen Ausfall der Verkehrsampeln verursacht wird. Piero Manzano kommt zum Glück glimpflich davon, nur sein Wagen ist Schrott.

Piero erweist sich bald als die Hauptfigur des Romans. Er ist ein „guter“ Hacker, hat Sicherheitslücken in Computern aufgezeigt und gegen den G8-Gipfel in Genua demonstriert, wo er Opfer polizeilicher Willkür wurde.

Nach dem Unfall und einer Erstversorgung schlägt er sich nach Hause durch. Kein Strom auch dort. Im Stiegenhaus Aufregung, weil der Lift zwischen zwei Stockwerken steckengeblieben ist.

Piero verbringt die Nacht mit seinem Nachbarn Bondoni, einem alten Herren. Die beiden entdecken, dass auf dem kürzlich neu installierten Stromzähler, einem „Smart Meter“, ein seltsamer Code zu sehen ist. Piero ruft ihn in einem Internetforum auf – und siehe da, es ist ein Code, mit dem man dem betreffenden Haushalt den Strom abschalten kann. Aber dieser Code sollte in Italien, wie Piero weiß, nicht zum Einsatz kommen. Da derselbe Code auch auf Bondonis Zähler erscheint, schwant Piero Übles. Er vermutet, jemand habe sich in das Steuerungsnetzwerk der Zähler hineingehackt und diese landesweit abgestellt, sodass das Stromnetz aus dem Gleichgewicht kam und es zu Notabschaltungen kam.

Am nächsten Morgen will er das der staatlichen Stromgesellschaft mitteilen, doch dort will man nichts von ihm wissen. Also sagt er es Journalisten, die vor dem Gebäude warten.

Inzwischen ist praktisch in ganz Europa außer in Russland der Strom ausgefallen.

Ybbs-Persenbeug

Der Handlungsstrang um Piero wird durch viele weitere Handlungsstränge ergänzt. Zum Beispiel jenem, der im Kraftwerk Ybbs-Persenbeug spielt, wo die Computer ständig Fehlermeldungen ausgeben, die zu Abschaltungen führen, obwohl die Generatoren eigentlich in Ordnung sind. Auch hier, so stellt sich im Lauf des Romans heraus, ist das Computersystem manipuliert.

Ein weiterer Handlungsstrang spielt in einem französischen Kernkraftwerk, dessen Notkühlsystem, das bei Stromausfall mit Dieselgeneratoren betrieben wird und eine Kernschmelze verhindern soll, nicht ordentlich funktioniert, wodurch es fast zu einem GAU kommt. Radioaktivität tritt aus, die Umgebung muss evakuiert werden (was bei ausgefallenem Strom nicht so einfach ist).

Dann gibt es da die Familie Bollard. Der Vater ist bei Europol in Den Haag beschäftigt, Frau und zwei Kinder schickt er bald aufs Land in einen Bauernhof, der autark ist und daher ein normales Leben ermöglicht. Solange er noch nicht von frierenden und hungernden Leuten belagert wird. Seine Schwiegereltern schickt Bollard, als er feststellt, dass der Stromausfall länger dauern wird, zu seinen eigenen Eltern an die Loire, wo diese ebenfalls auf einem Bauernhof leben. Ausgerechnet ganz in der Nähe des havarierten Kernkraftwerks, aber davon weiß Bollard noch nichts.

Vier lustige Ladys

Wichtig ist auch eine lustige Truppe von vier jungen Frauen, die bei der EU in Brüssel beschäftigt sind und jetzt nach Tirol auf Schi-Urlaub fahren. Die Tankstellen an der Autobahn funktionieren nicht. Eher zufällig gelangen sie dann doch an Benzin: Sie fahren ab, kommen zu einem Bauernhof, wo die Bauern verzweifelt sind, weil die Melkmaschine nicht geht. Die Kühe müssen aber unbedingt gemolken werden. Die vier Damen helfen mit, händisch zu melken, dafür zapft ihnen der Bauer aus seinem eigenen Tank ein paar Liter Benzin ab. So kommen sie doch noch bis nach Ischgl in ihre Hütte, die zum Glück mit Holz geheizt wird und auch einen Holz-Herd hat, sodass dort Schnee geschmolzen und erwärmt werden kann und es folglich sogar Warmwasser gibt. Bondonis Tochter Lara ist eine der vier. Da Manzano beim Stormversorger abgeblitzt ist, fährt er mit Bondoni in dessen Auto kurzerhand nach Ischgl zu dessen Tochter, damit diese in Brüssel Alarm schlägt. Es gelingt ihnen tatsächlich, zu den vier Frauen vorzudringen, diese zu überzeugen, dass an Manzanos Entdeckung etwas dran ist, und Brüssel zu alarmieren. Dort wird man endlich hellhörig, alarmiert Europol, wo Bollard die Sache übernimmt und findet, man solle diesen Manzano doch am besten nach Den Haag holen und sich von ihm unterstützen lassen. Außerdem habe man ihn dann unter Kontrolle.

Spannend, kenntnisreich, gut recherchiert

Eigentlich würde ich gerne weitererzählen, doch bei einem Thriller passt das wirklich nicht. Daher verrate ich nicht noch mehr, sondern sage nur:

Wunderbar spannende, kenntnisreiche und gut recherchierte Unterhaltung mit ernstem Hintergrund. Elsberg schreibt im Nachwort zur Taschenbuchausgabe, dass er im Gefolge des Romans sogar von Energiegesellschaften und staatlichen Stellen zu Diskussionen eingeladen wurde. Hoffen wir, dass diese aus dem Roman gelernt haben. Dennoch weiß man: Vor einer Katastrophe ist man nie ganz gefeit…

Marc Elsberg ist Wiener und in Baden ins Gymnasium gegangen. Meine Frau und ich erlebten ihn im Café Ritter bei der Wiener Kriminacht 2014, wo er über seinen neuen Roman „Zero“ erzählte. Auch sehr interessant und spannend. Muss ich ebenfalls lesen.

Marc Elsberg: Blackout. Morgen ist es zu spät. Roman. Blanvalet, München 2013. 799 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: E-Werk in Perchtoldsdorf bei Wien, Tuschestift, Buntstift, 2013.

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Ursula Poznanski: Stimmen. Thriller

Wolfgang Krisai: Blick auf Salzburg mit dem Mozartsteg. Tuschestift. 2013Wenn ein neuer Krimi, genauer: Thriller, unserer ehemaligen Schülerin Ursula Poznanski herauskommt, muss ich den natürlich lesen. Zumal ihn diesmal eine meiner Bibliotheksmitarbeiterinnen der Schulbibliothek vor mir gelesen und sehr gelobt hat. Also lieh ich ihn mir für die Osterferien aus – und las ihn gleich am ersten Ferientag zu Ende.

Mord in einer psychiatrischen Klinik

Gleich vorweg: Der Roman ist gut geschrieben und spannend, gewährt außerdem Einblicke in eine Sphäre, in die man lieber real keinen Einblick haben möchte: in eine psychiatrische Klinik.

Am nördlichen Stadtrand Salzburgs liegt nämlich das – fiktive – Klinikum (wie Krankenhäuser neuerdings euphemistisch genannt werden) Salzburg Nord, das auch eine psychiatrische Abteilung hat. Dort ist ein junger Arzt ermordet worden, und die Leiche wurde auf seltsame Weise mit Kindermessern aus Plastik dekoriert.

Die aus den beiden vorherigen Thrillern „Fünf“ und „Blinde Vögel“ schon bekannten Polizeibeamten Beatrice Kaspary und Florin Wenninger ermitteln ohne viel Erfolg zunächst, können also auch nicht verhindern, dass es zu weiteren Morden kommt.

Dem Abteilungsleiter Dr. Klement geht es offenbar weniger um die armen Ermordeten als um seinen gefährdeten Ruf als Wissenschaftler. Der tote Arzt könnte daran gedacht haben, auffliegen zu lassen, dass Klement seine Forschungsergebnisse frisiert.

Missbrauchsopfer schweigt

Klements wichtigste Patientin ist ein Extremfall: Jasmin Matheis (spricht man die eigentlich Mathé-is oder Máth-eis aus? Ich habe immer die erste Variante „gehört“). Das ist eine riesenhafte Frau, die schwer traumatisiert ist, weil sie viele Jahre lang von ihrem Vater, einem minderbemittelten Bauern, im Keller eingesperrt und missbraucht wurde. Per Zufall wurde sie entdeckt. Die beiden dieser Verbindung entsprungenen Kinder wurden vom Vater im eigenen Fischteich ertränkt. Als die Sache aufflog, erhängte sich der Vater. Die Tochter kam in die Klinik, weil sie kein Wort spricht und auch sonst kaum Reaktionen zeigt. Von der Außenwelt ist sie völlig abgeschirmt.

Beatrice entdeckt jedoch mit der Zeit zaghafte Ansätze zu „Mitteilungen“ seitens Jasmins. Diese hängen mit Tarot-Karten zusammen, die Jasmin in einem krankenhaus-internen Tarot-Seminar kennengelernt hat. Das ist wichtig, da Jasmin beim ersten Mord diese seltsamen Messerchen arrangiert hat, wie die darauf befindlichen Fingerabdrücke beweisen.

Ein anderer wichtiger Patient ist Walter Trimmel, der ständig eingebildete „Stimmen“ hört, die ihm Vorwürfe machen oder ihm irgendetwas Erniedrigendes befehlen, wie zum Beispiel, das Blut der Arztleiche aufzulecken. Trimmel wird im Lauf des Romans selbst Opfer eines Mordversuchs.

Überfall auf die Polizistin

Ja, auch Beatrice wird eines Nachts an ihrer Haustür überfallen, kann dem Schlag mit einer Eisenstange allerdings ausweichen und dem Täter mit dem Schlüsselbund Wunden im Gesicht zufügen. Am nächsten Tag gibt es im Klinikum wieder einen Toten, einen Pfleger – und dieser hat im Gesicht Wunden, die von Beatrices Schlüsselbund stammen.

Schließlich kommt es zu einem dramatischen Finale, das ich entgegen meiner Blogphilosophie hier nicht verrate.

Das psychologische Drumherum

Die Misere, die zwischen Beatrice und ihrem Ex-Mann Achim besteht, geht auch in diesem Roman weiter. Daneben aber kommen sich Beatrice und Florin näher und schlafen sogar miteinander. (Da bahnt sich für die nächsten Thriller ein Konfliktpotential hat, da die Liebe zwischen Arbeitskollegen sicher nicht so einfach sein wird…)

Der unsympathische Chef der beiden, Hoffmann, macht gerade Schreckliches durch, weil seine Frau an Krebs stirbt, sodass er keine Zeit hat, Beatrice auf die Nerven zu gehen. Das macht dafür der arrogante und selbstherrliche Kollege Bechner, der zum Schluss aber ganz klein wird, weil er irrtümlich ausgeplaudert hat, dass Jasmin Mateis in der Klinik lebt, was natürlich sofort weltweites Aufsehen erregt.

Auch der wegen seines Geschwätzes nervtötende Polizeipsychologe Dr. Kossner hat wieder seine Auftritte, darf aber durchaus auch Brauchbares zum Fall beitragen.

Also: Solide Arbeit der Autorin, genau das, was man sich von einem guten Krimi erwartet.

Ursula Poznanski: Stimmen. Thriller. Wunderlich/Rowohlt, Reinbek, 2015. 441 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Blick auf Salzburg mit dem Mozartsteg. 2013. Tuschestift.

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Gerhard Loibelsberger: Die Naschmarkt-Morde

Wolfgang Krisai: Gerhard Loibelsberger liest vor. Schwarzer Buntstift. 2015.Meine Frau organisierte eine Lesung mit Gerhard Loibelsberger in ihrer Bücherei. Der Wiener Krimi-Autor las in seiner inzwischen legendären schauspielerischen Weise aus dem Kriminalgeschichtenband „Kaiser, Kraut und Kiberer“. Darin spielt Inspector Joseph Maria Nechyba die Hauptrolle, genauso wie in Loibelsbergers „Hauptserie“ von Kriminalromanen aus dem Wien der Zeit von 1900 bis 1918. Davon kaufte ich mir den ersten, „Die Naschmarkt-Morde“, und las ihn gleich, zumal ich ohnehin nach beruflich anstrengenden Tagen dringend eine erholsame Lektüre nötig hatte.

Krimi-Genuss …

Kann man sich bei einem Krimi erholen? Bei einem „Loibelsberger“: Ja. Hier wird nicht Grausamkeit schockierend breitgetrenen, sondern der Mörder beschränkt sich auf unblutiges Um-die-Ecke-bringen seiner Opfer durch Erdrosseln mittels eines eleganten Seidenschals. Unelegant sind da eher die Haupt und Nebenfiguren, die schon gelegentlich kräftig rülpsen und furzen oder nach durchzechter Nacht auch das Klo am Gang (in der Wohnung gab’s damals bei einfacheren Leuten noch kein WC) vollkotzen. Ja, und „Watschen“ werden von Angehörigen aller Gesellschaftsklassen gerne ausgeteilt, manchmal gleich links und rechts. Das gehört zum von Loibelsberger liebevoll, äh… schonungslos ausgebreiteten Lokalkolorit aus dem Wien des Jahres 1903.

mit Liebesgeschichte …

Gelegentlich versinkt aber auch einer in den vollen Brüsten einer zweitklassigen Sängerin vom Theater an der Wien. Und sogar „der Nechyba“, der sich doch genrebedingt eigentlich vorwiegend mit dem Aufklären der ominösen Naschmarkt-Morde beschäftigen sollte, verfällt einem gestandenen Weibsbild, der superben Köchin Aurelia Litzelsberger. Loibelsberger bringt da eine überzeugende Liebesgeschichte zweier Leute zustande, die zum Verlieben eigentlich schon zu alt und zu wenig gefühlvoll sind, nach außen zumindest. Aber gerade deshalb passen sie so gut zusammen.

und Kochkünsten,

Die Köchin in herrschaftlichen Diensten ist beeindruckt davon, dass sie in Nechyba einen Vertreter des männlichen Geschlechts gefunden hat, der ebenfalls kocht, statt nach Wiener Junggesellenmanier ausschließlich im Wirtshaus seine kulinarischen Bedürfnisse zu befriedigen. Kein Wunder, dass in diesem Buch – und in den anderen Nechyba-Romanen natürlich ebenfalls – ein veritables Altwiener Kochbuch versteckt ist. Loibelsberger beschreibt nämlich die Kochvorgänge so genau, dass man – nach seinen eigenen Worten – die Rezepte tatsächlich nachkochen könnte.

Naschmarkt-Feeling,

Dazu wäre es natürlich gut, wenn man in Wien lebte, denn dann könnte man auch die Beschaffung der wesentlichen Ingredienzien auf dem Hauptschauplatz des Romans realiter nachvollziehen: auf dem Naschmarkt. Für Nicht-Wienkenner: Der Naschmarkt ist damals wie heute ein an den zentralen Karlsplatz angrenzendes Marktgebiet, wo täglich von zahllosen „Standlern“ (mit fest gemauertem oder mobilem Marktstand) alles, was das Herz einer Köchin oder eines Kochs begehrt, vom exotischsten Gewürz bis zum Grundmaterial fürs Beuschl, in höchster Qualität zum Verkauf angeboten wird. Damals stammten die Verkäufer aus allen Gebieten der Donaumonarchie, heute stammen sie zusätzlich noch aus sämtlichen Erdteilen, die sich für die Einwanderung nach Österreich eignen. Ein entsprechendes Sprachengewirr, geradezu orientalische Basarmethoden in der Darbietung der Früchte und sonstigen Waren, ein Meer der interessantesten Gerüche (heute nicht mehr so durchmischt mit weniger angenehmem Gestank von Exkrementen wie in Loibelsbergers Jahrhundertwende-Wien) kennzeichnen den Naschmarkt und machen ihn zu einem Muss auch für Touristen. Heute schließt sich übrigens jeden Samstag südwestlich ans Marktgebiet der größte Flohmarkt der Stadt an, ebenfalls eine Attraktion. Nechyba wohnt nicht weit vom Naschmarkt in einer kleinen Wohnung mit Wasser am Gang – der berühmten „Bassena“ (also einem viertelkugelförmigen emaillierten metallenen Wasserbecken mit Kaltwasserhahn, aus dem das berühmte, wunderbar schmeckende Wasser aus der 1873 in Betrieb genommenen Ersten Wiener Hochquellenleitung sprudelt). Nechyba selbst ist auch ziemlich kugelförmig, trotzdem aber durchaus agil. Nur eben dem Essen zugetan, von früh bis spät.

Kaffehaus-Atmosphäre …

Da man als Polizeiinspector aber nicht ununterbrochen selbst kochen kann, spielt auch die Wiener Gastronomie im Roman eine bedeutende Rolle. Und davon wiederum vor allem die Kaffeehäuser, konkret: das Sperl in der Gumpendorferstraße und das Landtmann neben dem Burgtheater. Beide heute noch bestehend. Der Kaffeehausbetrieb der damaligen Zeit wird mit größter Sachkenntnis geschildert, die Loibelsberger sich bei seinen minutiösen, jahrelangen Recherchen für seinen Erstling angeeignet hat. Allein die Zahl der möglichen Varianten der Kombination von Kaffee und Milch und „Schlag“ (=Schlagsahne) ist beeindruckend. Auch „mit Haut“ (gemeint ist: Milchhaut) ist darunter, dafür muss man schon ein masochistischer Kaffeetrinker sein, um so etwas zu bestellen… Heute gibt’s „mit Haut“ nicht mehr, aber vieles, was Loibelsberger beschreibt, kann man heute natürlich noch genauso in Wiener Kaffeehäusern, die auf Tradition halten, erleben, insbesondere die selbstherrlichen Kellner. Im Kaffeehaus trifft sich das Stammpersonal der Loibelsberger-Krimis zum Frühstück, zum Kartenspielen oder zum Austausch vertraulicher Informationen. Das sind neben Nechyba zum Beispiel der Redakteur Goldblatt, der Scharfrichter Lang oder – aus Standesgründen weniger zum Kartenspielen – der Graf Borowicz (im Roman der Unglücksbringer).

und originellen Gestalten:

Am Naschmarkt kreuzen darüber hinaus die als Mörder in Frage kommenden Gestalten und die echten Mordopfer auf. Als Letztere zum Beispiel eine Gräfin auf Abwegen und ein Dienstmädchen, das ganz unschuldig „drankommt“. Und Erstere sind hochoriginelle, saftige Figuren: erstens der Fleischhauersgeselle Schöberl, ein brutaler Weiber-Nachsteiger, der unwillige Dienstmädchen schon auch mal öffentlich verprügelt (aber ein „Würger“ sei er nicht, beteuert er beim Verhör dann unter Tränen), und zweitens der Horoskopverkäufer Gotthelf mit seinem frechen Papagei. Übrigens, das sei hier auch erwähnt, sind dem Roman sowohl als Fußnoten wie auch als Glossar Erklärungen der Wörter beigegeben, die nicht im ganzen deutschen Sprachraum ohne weiteres verständlich sind.

Lokalkolorit vom Feinsten

Warum also Loibelsberger lesen? Nur zur Erholung? Nein: Auch, weil man auf wirklich gelungene Weise das Wien von vor hundert Jahren vor Augen geführt bekommt. Kaum ist man auf Seite 271, wo „Ende“ steht, angelangt, weiß man: Es würde sich auszahlen, weitere Loibelsbergers zu lesen. Deren es zum Glück inzwischen eine ganze Menge gibt.

Gerhard Loibelsberger: Die Naschmarkt-Morde. Ein Roman aus dem alten Wien. Gmeiner-Verlag, Meßkirch, 2009. 274 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Gerhard Loibelsberger liest vor. Schwarzer Buntstift. 2015. Gezeichnet bei der Loibelsberger-Lesung in der Bücherei & Mediathek Laxenburg.

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