Archiv der Kategorie: Kunstbücher

Walter von Zur Westen: Exlibris

Exlibris des Hieronymus Baumgartner, gestochen von Bartel Beham, Abdruck von der Originalplatte (Kupferstich).

Von einer Kollegin bekam ich das mehr als hundert Jahre alte Buch „Exlibris“ von Walter von Zur Westen geschenkt. Es gibt einen Überblick über die Kultur des Exlibris, die praktisch gleichzeitig mit dem Buchdruck entstand und bis zum Erscheinen dieses Buches 1901 andauerte, wenn auch mit regionalen Unterschieden.

Exlibris Land für Land

Nach einer allgemeinen Einführung behandelt Zur Westen die einzelnen Länder chronologisch, natürlich mit Schwerpunkt auf Deutschland. Österreich wird stiefmütterlich behandelt.

Das Prunkstück

Ein Abzug von der Originalplatte des Exlibris des Hieronymus Baumgartner, gestochen von Bartel Beham im 16. Jahrhundert, ist das Prunkstück des Bandes.

Dass die Exlibris im Normalfall schwarzweiße Kupferstiche oder Holzschnitte waren, kommt der Drucktechnik des Buches sehr entgegen. Dennoch sind einige Farbabbildungen eingestreut.

Im Mittelalter gab es selten Besitzereinträge in Büchern, und wenn, dann handschriftlich.

Wappen, Allegorien, lesende Mädchen

Inhaltlich beliebt sind Exlibris mit dem Wappen des Besitzers, gelegentlich mit einem Porträt, häufig mit allegorischen Darstellungen. Im 18. und 19. Jh. sind auch lesende Mädchenfiguren mit leicht erotischen Einschlag sehr beliebt, was von Zur Westen naserümpfend zur Kenntnis bringt.

Ein Genuss zum Betrachten

Für mich war die Lektüre großteils ein Genuss, vor allem aber das Betrachten der schönen abgedruckten Beispiele. Und die Aufmachung dieser Velhagen & Klasing-Bände liebe ich sowieso.

Walter von Zur Westen: Exlibris (Bucheignerzeichen). Mit 6 Kunstbeilagen und 164 Abbildungen. Bielefeld und Leipzig, Verlag Velhagen & Klasing, 1901. Reihe: Sammlung Illustrierter Monographien 4. 103 Seiten.

Das Bild stammt diesmal nicht von mir, sondern ist eben jenes Prunkstück des Bandes: das Exlibris des Hieronymus Baumgartner, gestochen von Bartel Beham, Abdruck von der Originalplatte (Kupferstich).

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Dirk Stichweh, Jörg Machirus, Scott Murphy: NY Skyscrapers

Wolfgang Krisai: Manhattan vom Roosevelt-Island aus. Tuschestift, Buntstift. 2016.

Nach meinem New-York-Aufenthalt im Sommer 2016 kaufte ich mir diesen schönen Bildband über die Hochhäuser der Stadt.

Hochhäuser in Downtown und Midtown

Nach einer kurzen Einführung in die Entwicklung des Hochhausbaus in New York und Chicago, wo die ersten Hochhäuser gebaut wurden, folgt die Beschreibung der wichtigsten Bauten. Im ersten Drittel des Buches werden die Wolkenkratzer im Süden Manhattans betrachtet, wo übrigens sowohl die zerstörten Twin Towers wie auch die Neubebauung des World-Trade-Center-Areals vorgestellt werden.

Die nächsten zwei Drittel widmen sich den Hochhäusern in Midtown. Andere Hochhäuser, etwa in Brooklyn, werden nicht behandelt.

Ganz am Ende gibt es noch eine Doppelseite mit den spektakulärsten Hochhausprojekten der nächsten Jahre.

Dirk Stichweh überfrachtet seine Darstellung nicht mit technischen Details, sondern beschreibt die Aspekte der Bauten, die den Laien interessieren: die epochentypische oder -untypisch Gestalt, die Position im Ranking der höchsten, größten, teuersten oder aufregendsten Bauwerke, eventuelle baurechtliche Probleme, die Nutzung und – vor allem bei den neuesten Bauten wichtig – Fragen der Energieeffizienz und ökologischen Verträglichkeit.

Prächtige Fotos

Flächenmäßig wesentlich umfangreicher als der Text sind die prächtigen Fotos, die die einzelnen Bauten und gelegentlich als eingestreute Doppelseiten ganze Ensembles zeigen. Vorwiegend sieht man Außenansichten, manchmal Details aus dem Inneren. Erfreulicher Weise erheben die Fotos keinen selbstständigen künstlerischen Anspruch, sondern ordnen sich dem Zweck des Buches unter. Also keine großflächigen, monotonen Detailaufnahmen, sondern Gesamtansichten, soweit es bei der Dichte der Bebauung Manhattans überhaupt möglich ist, einen Wolkenkratzer ganz zu sehen. Viele der Bilder dürften auch aus dem Hubschrauber aufgenommen worden sein.

Dirk Stichweh (Text), Jörg Machirus, Scott Murphy (Fotos): NY Skyscrapers. Über den Dächern von New York City. Prestel-Verlag, München, London, New York, 2016. 190 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Manhattan vom Roosevelt-Island aus. Tuschestift, Buntstift. 2016.

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Schloss Ambras Innsbruck

Wolfgang Krisai: Schloss Ambras bei Innsbruck. Tuschestift, Buntstift, 2017.

Im Kunsthistorischen Museum kaufte ich mir ein schmales Bändchen zum Schloss Ambras in Innsbruck.

Das 68 Seiten dünne Werkchen liest sich gut und gibt einen schönen ersten Überblick über das, was einen bei der Besichtigung des Schlosses erwartet: Architektur, Gartenkunst, Kunstkammer-Objekte, Habsburger-Porträts, ein Glasmuseum und eine Ausstellung von Postmeisterporträts der Taxis-Bardogna.

Schloss Ambras Innsbruck. Hg. v. Sabine Haag. KHM-Museumsverband, o. J., 68 Seiten, zahlreiche Farbabb.

Bild: Wolfgang Krisai: Schloss Ambras bei Innsbruck. Tuschestift, Buntstift, 2017.

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Friederike Klauner: Die Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums in Wien

Wolfgang Krisai: Kunsthistorisches Museum, Wien. Gouache, 2006.

Dieses Buch kaufte ich mir 1983 und begann es auch durchzustudieren, erlahmte aber irgendwann. Nun musste es mehr als dreißig Jahre im Regal warten, bis ich es erneut vornahm und wirklich vom Anfang bis zum Ende durchstudierte, mit vielen Unterstreichungen.

Umfassender Einblick in die gesamte Gemäldegalerie

Erst jetzt war ich in der Lage, die hervorragende Qualität dieses Führers zu würdigen: Man bekommt einen umfassenden Einblick in die gesamte Gemäldegalerie, und zwar nicht nur mit ausführlichen Analysen der einzelnen Gemälde. Die Stärke dieser Darstellung liegt im vom Aufbau der Gemäldegalerie unabhängigen Ordnungsprinzip. Während die Gemäldegalerie ja auf der einen Hälfte die niederländische Malerei und Verwandtes und auf der gegenüberliegenden Seite die italienische Malerei zeigt, beides innerhalb der „Länder“ jeweils chronologisch, springt Klauner zwischen den Galeriehälften hin und her, um die Ähnlichkeiten, Unterschiede und vor allem gegenseitigen Beeinflussungen der nördlichen und südlichen Malerei im Lauf der Geschichte herauszuarbeiten. Das Buch bringt also einen deutlichen Mehrwert gegenüber einem an der Abfolge der Räume oder überhaupt nur an Einzelwerken orientierten Führer, wie man sie heute kaufen kann. Nicht alles, was alt ist, ist also überholt, im Gegenteil!

Für die Lektüre zu Hause gedacht

Das Buch ist allerdings nicht so gestaltet, dass es einfach in die Gemäldegalerie mitgenommen werden könnte. Dafür ist es zu schwer und zu wenig klar gegliedert. Skandalös ist die schlechte Bindung. Der fadengeheftete Buchblock löst sich vom dünnen Karton des Einbands.

Erst durch meine Unterstreichungen wird das Buch übersichtlicher. Klauner hat das Werk wohl eher für die heimische Lektüre gedacht.

Entdeckungen über Entdeckungen

Ich habe jedenfalls enorm profitiert, vor allem auch dadurch, dass Klauner sich nicht auf die ganz großen Meister beschränkt, sondern die vielen weiteren, nicht ganz so bedeutenden Künstler, die in der Gemäldegalerie vertreten sind, genauso ausführlich behandelt. Da wurde mir überdeutlich klar, wieviel ich noch nicht weiß über die Malerei der Renaissance und des Barock. Gleich bekommt man größte Lust, sich in weitere Bücher zum Thema zu stürzen.

Als erste Reaktion ging ich jedenfalls in die Gemäldegalerie und sah mir einige Bilder genau an, die ich bisher kaum beachtet hatte. Entdeckungen über Entdeckungen!

Friederike Klauner: Die Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums in Wien. Vier Jahrhunderte europäischer Malerei. Residenz-Verlag, Salzburg und Wien, 2. Aufl., 1981. 478 Seiten, zahlreiche Schwarzweiß-Abbildungen.

Bild: Wolfgang Krisai: Kunsthistorisches Museum, Wien. Gouache, 2006.

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Wilhelm Waetzoldt: Dürer und seine Zeit

Titelseite von Wilhelm Waetzoldt: Albrecht Dürer und seine Zeit.

Am 19. 12. 1987 kaufte ich mir dieses Buch in einem Wiener Antiquariat um 300 Schilling, damals ein durchaus deftiger Preis. Jetzt, fast 30 Jahre später, habe ich das Buch endlich gelesen.

Entstanden ist es vor rund 80 Jahren, erschienen 1938 bei George Allen & Unwin Ltd., London, als „Phaidon-Ausgabe“, gedruckt wurde es allerdings in der Offizin Haag-Drugulin in Leipzig.

Der Autor

Hinter dieser Edition steckt eine Geschichte, die ich gerne genauer wüsste. Hier nur meine Vermutungen: Wilhelm Waetzoldt (1880-1945) war bis 1933 Direktor der Staatlichen Museen Berlin, wurde von den Nazis seines Amtes enthoben. Die dahinter steckenden Anschuldigungen finanzieller Unregelmäßigkeiten konnte er entkräften. 1934 wurde er Ordinarius für Philosophie an der Universität Halle.

Ein Nazi war Waetzoldt also nicht, sehr wohl aber eine Person, die sich offenbar irgendwie mit dem Regime arrangierte, um nicht ausrangiert zu werden. Seine Bücher über Dürer und Holbein sowie sein Jugendbuch „Du und die Kunst“ waren vermutlich recht populär, das Jugendbuch soll sogar an die Hitlerjugend verteilt worden sein (https://dictionaryofarthistorians.org/waetzoldtw.htm).

Zeitbedingtes

Seinem Dürerbuch merkt man stellenweise an, in welcher Zeit es entstanden ist, nicht nur, wenn darauf hingewiesen wird, dass der Frauenmarkt in Nürnberg nun Adolf-Hitler-Platz heiße, sondern auch dann, wenn Waetzoldt immer wieder das Deutschtum Dürers betont und ihm aufgrund seiner Herkunft bestimmte Eigenschaften zuschreibt. Hier weht – in durchaus zurückhaltender Weise – der Zeitgeist aus dem Buch. Sieht man aber davon ab, liest man es mit Gewinn.

Kapitel nach Themen

Waetzoldt schreibt keine Biographie, sondern ein nach Themen geordnetes Buch mit Kapiteln wie: „Selbstcharakteristik“ (über Dürers Selbstbildnisse), „Religiöse Bildwelt“, „Bildnis“, „Landschaft“, „Dürer und Luther“, „Dienst und Freiheit“ (über die für Maximilian I. geschaffenen Werke), „Mit Zirkel und Richtscheit“ (über Dürers kunst- und militärtheoretische Schriften). Das Buch enthält aber auch das Kapitel „Grenzen der Liebe“, wo Waetzold jene Aspekte von Dürers Werk beleuchtet, die er für schwach und überholt hält.

Ein „richtiges Buch“

Der Inhalt des Buches ist aber nur ein Aspekt, der andere die wunderbare Gestaltung dieses Buches. Es ist eines der schönsten Bücher, die ich besitze und die ich kenne. Schon das Aussehen entspricht einem „richtigen Buch“: stattlich, ohne riesig zu sein, dick, mit einem großzügigen Seitenspiegel, der im Weißrand Marginalien zulässt (Stichwörter zum Inhalt und Abbildungsverweise), eine schöne, gut lesbare Schrifttype und angenehmes Papier.

Ausgezeichnete Abbildungsqualität

Ein Kunstbuch braucht Abbildungen, und in dieser Hinsicht ist das Buch für die damalige Zeit eine Spitzenleistung: auf rund einem Dutzend schwarzen Seiten sind Farbabbildungen eingeklebt; die zweite Hälfte des Buchs besteht aus einem Abbildungsteil aus hervorragenden Kupfertiefdruck-Tafeln, und in den Text sind Reproduktionen von Holzschnitten eingestreut, die sich auf dem rauen Papier des Textteils besonders gut machen.

Musterbeispiel für gelungene Buchkunst

Dieses Buch ist also ein Musterbeispiel für gelungene Buchkunst, und es ist kein Wunder, dass es auch nach dem Krieg noch mehrere Auflagen erlebt hat. Die weite Verbreitung hat dazu geführt, dass man es heute bei ZVAB zum Spottpreis erwerben kann.

Wilhelm Waetzoldt: Dürer und seine Zeit. Phaidon-Ausgabe. George Allen & Unwin Ltd., London, 1938. 591 Seiten.

Bild: Titelseite von Wilhelm Waetzoldt: Albrecht Dürer und seine Zeit.

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Goldene Zeiten. Meisterwerke der Buchkunst von der Gotik bis zur Renaissance.

Nationalbibliothek

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Durch eine Zusendung des Luzerner Quaternio-Verlags, der auf Faksimiles mittelalterlicher Codices spezialisiert ist, wurde ich auf ein großes Ausstellungsprojekt aufmerksam, das derzeit in zwölf Bibliotheken des deutschen Sprachraums läuft und die Buchkunst am Übergang von der Gotik zur Renaissance dokumentiert. Zu allen Ausstellungen bringt der Quaternio-Verlag die Kataloge heraus.

Ausstellung im Prunksaal der Nationalbibliothek

Eine der Hauptausstellungen läuft unter dem Titel „Goldene Zeiten“ bis 21. Februar 2016 im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien. Sie bietet in gerade noch überschaubarem Umfang einen interessanten Einblick in die Buchkunst des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts, der Zeit Herzog Albrechts. III.,  Kaiser Friedrichs III. und Maximilians I., des „letzten Ritters“.

Der Katalog in auffälligem Überformat ermöglichte mir, das Gesehene zu Hause nochmals Revue passieren zu lassen und besser zu verstehen.

Buchkunst und Sammelleidenschaft

Bemerkenswert finde ich an Ausstellung und Katalog, dass sie normalerweise getrennt behandelte Aspekte, die mit der Buchkunst verbunden sind, zusammenführen. Nicht nur die künstlerischen Leistungen selbst (etwa das mit prachtvollem Einband versehene Evangeliar des Johann von Troppau von ca. 1368), sondern zum Beispiel auch die Frage, wie die Fürsten damals ihre Bibliotheken zusammensammelten (nämlich neben gezielten Aufträgen an Scriptorien und Buchkünstler durch Geschenke, Brautgaben, aber auch niemals zurückgegebene, aus anderen Bibliotheken entlehnte Werke). Neben den „bedeutenden“ Buchtypen vor allem religiösen Charakters, wo neben dem Evangeliar vor allem die große Zahl eigens für die Fürsten geschaffener Gebetbücher auffällt, zeigt die Ausstellung auch Gebrauchsliteratur, vor allem Lehrbücher. Dabei handelt es sich um ABCdarien, Grammatiken und Ähnliches, die alle auch buchkünstlerisch anspruchsvoll ausgeschmückt sind. Der Buchschmuck erfüllt dabei über den Inhalt hinausgehende Aufgaben, da über die Bilder den Fürstenkindern zum Beispiel die Wappen der Verwandtschaft vermittelt wurden.

Jedem Österreicher ist die Buchstabenfolge AEIOU bekannt, die in der Ausstellung als Eigentumsvermerk in einigen Büchern auftaucht – eine Funktion, die mir bisher nicht bekannt war.

Umbruch von der Handschrift zum Druck

Interessant ist auch, mitzuverfolgen, wie in dieser Zeit die handschriftliche und handgemalte Buchkunst allmählich von der gedruckten Buchkunst abgelöst wird. Während unter Friedrich III. (gestorben 1493) noch die Manuskripte klar die Oberhand haben, zumal es in Wien noch gar keinen nennenswerten Drucker gab, interessierte sich sein Sohn und Nachfolger Maximilian I. (gestorben 1519) bereits für das neue Medium und dessen Verbreitungsmöglichkeiten. Bekannt und in der Ausstellung natürlich vertreten sind Maximilians persönlich vorangetriebene Projekte, der „Triumphzug“ und die beiden autobiographischen Werke „Theuerdank“ und „Weißkunig“. Vom Theuerdank gibt es einige Ausgaben, die eine Art „Probedruck“ darstellen. Diese Drucke wurden vom Kaiser und den verantwortlichen Buchgestaltern, vor allem dem Sekretär Marx Treitzsaurwein, begutachtet, kommentiert und ergänzt. Der Theuerdank kam noch zu Lebzeiten des Kaisers heraus, während der Weißkunig über die Probedrucke nicht hinauskam und erst 1775 im Druck erschien (auch diese Ausgabe gibt es in der Ausstellung zu sehen).

Die „Zeughausbücher“

Neben diesen bekannten Werken werden auch weitere Projekte Maximilians dokumentiert, etwa die „Zeughausbücher“, die einen schriftlichen und bildlichen Überblick über die Waffenbestände in den Zeughäusern im Reich Maximilians bieten. Die Exemplare stehen in unmittelbarer Abhängigkeit, da die Bilder zum Großteil abgepaust wurden. Im Katalog ist eine interessante Darstellung von „Armbrost und Pfeyl“ in mehreren Fassungen wiedergegeben, auf der unter fünf Armbrüsten unterschiedlichen Typs (mit Stahl- oder Holzbogen) die Munition gezeigt wird: Mannshoch sind die Bolzen aufgestapelt, es müssen Tausende sein, die der Schütze zur Verfügung hatte, und neben dem sorgsam aufgeschichteten Stapel stehen ein Fass und eine Spezialkiste, in denen die zugehörigen metallenen Bolzenspitzen gelagert wurden. Zu Füßen eines ebenfalls abgebildeten Armbrustschützen liegen schließlich zwei Reserve-Stahlbogen (wenn die Spannkraft eines Bogens nachließ, wechselte man ihn wohl gegen einen neuen aus, ohne die ganze Armbrust wechseln zu müssen) und einige Dutzend schon schussfertig zusammengesteckt Bolzen mit Metallspitzen.

Das „Wiener Heiltumsbuch“

Den Abschluss der Ausstellung und des Katalogs bildet ein Abschnitt über das „Wiener Heiltumsbuch“, dessen Darstellung des Stephansdoms bekannt ist. Das Büchlein war ein Produkt der ersten Wiener Druckerei von Bedeutung, jener von Johannes Winterburger (um 1460 – 1519). Es handelt sich dabei im Grunde um einen der ersten Ausstellungskataloge der Druckgeschichte. Es zeigt nämlich in Wort und Bild alle jährlich am Sonntag nach Ostern in den Fenstern eines speziell dafür errichteten Ausstellungsgebäudes, des „Heiltumsstuhls“, dem Volk gezeigten Reliquien (in ihren kostbaren Reliquiaren). Zum Schmunzeln bringen einen die frühneuhochdeutschen Bildlegenden. Bei Stephansdom heißt es: „Aller heylign Thuemkirchen Sand Steffan Mit dem Turn und ander schigligkait. Abgunnderveht.“ Wer den Dom hier so treffend samt Baukran auf dem unfertigen Nordturm „abgunnderveht“ (= abkonterfeit = abgebildet) hat, ist leider nicht bekannt.

Bewundernswerte Akribie der Buchmalerei

Das große Format des Katalogs ermöglicht große Abbildungen höchster Qualität, sodass der Katalog auch eine Einladung ist, sich noch intensiver, als es in der Ausstellung möglich ist, mit diesen Meisterwerken der Buchmalerei und Druckkunst zu befassen. Was da an Figuren und Figürchen, Vögeln, Insekten, Blumen und Ranken, floralen und abstrakten Ornamenten mit geradezu übermenschlicher Akribie gemalt wurde, nötigt einem den größten Respekt ab.

Goldene Zeiten. Meisterwerke der Buchkunst von der Gotik bis zur Renaissance. Katalogband zur Ausstellung in der Österreichischen Nationalbibliothek vom 20. November 2015 bis 21. Februar 2016. Mit Beiträgen von Regina Cermann, Andreas Fingernagel, Alois Haidinger, Maria Theisen und Caroline Zöhl. Redaktion Andreas Fingernagel, Ute Schmidthaler. Hg. v. Andreas Fingernagel. Quaternio-Verlage Luzern, 2015. 152 Seiten.

Das Wiener Heiltumsbuch kann man in hochauflösenden Scans auf der Website der Österreichischen Nationalbibliothek abrufen.

Zu den 12 Ausstellungen gibt es Informationen auf der Website des Quaternio-Verlags.

Bild: Wolfgang Krisai: Prunksaal der österreichischen Nationalbibliothek, Wien. 2015. Tuschestift, Farbstift.

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Buchumschläge der Weimarer Republik

Buchumschläge der Weimarer Republik. TASCHEN, 2015. - Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des TASCHEN-Verlags.

Buchumschläge der Weimarer Republik. TASCHEN, 2015. – Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des TASCHEN-Verlags.

Üppiger Ziegel

Mit einem üppigen „Ziegel“ würdigt der Taschen-Verlag die Kunst des Buchumschlags aus der Zeit der Weimarer Republik. Und bot mir ein Rezensionsexemplar an – was ich diesmal dankend annahm.

Der Band versteht sich als „Coffeetable-Book“, den man nicht – wie ich es nun dennoch tat – von vorn bis hinten durchlesen sollte, sondern der – an passender Stelle platziert – zum Blättern und Schauen einladen soll.

In diesem Fall ist dieses Ziel offenbar auch als Freibrief für einen etwas heterogenen Buchaufbau verstanden worden, der meine Lust am Systematischen etwas irritiert, andererseits einer anarchischen Blätterlust sozusagen auch auf inhaltlicher Ebene entgegenkommt.

Typographie: Die Kunst, Blicke zu fangen

So findet sich der in meinen Augen interessanteste Text erst auf den Seiten 317-335: „Die Kunst, Blicke zu fangen. Über die Typographie auf Buchumschlägen und Einbänden“ von Peter Nils Dorén (wie alle Texte übrigens in Paralleldruck auf Englisch und auf Deutsch). Allerdings geht es darin nur um den Teilaspekt Typographie auf Buchumschlägen, dieser allerdings wird informativ und interessant abgehandelt. Allerdings zwingt dieser Abschnitt auch dazu, ständig im ganzen Buch hin und her zu blättern, weil auf Bildbeispiele verwiesen wird, die in diesem Kapitel nur ausschnitthaft wiederholt sind (eine originelle Form der Bebilderung, die allerdings nicht ganz befriedigt).

Rückseite – Rücken – Vorderseite

Das Wesentliche an diesem Buch sind jedoch nicht die Texte, die etwas heterogen ausgefallen sind, sondern die den bei weitem größeren Raum einnehmenden Abbildungen von Buchumschlägen. Hier wird das gesamte Panorama der Buchgestaltungskunst der Weimarer Republik aufgeboten, mit einem Schwerpunkt auf dem fortschrittlichen Design etwa des Malik-Verlags, wo der Bruder des Verlegers Wieland Herzfelde, John Heartfield, der Chefgestalter war.

Wenn möglich, sind die abgebildeten Buchumschläge ganz, also von Rückseite über Rücken bis zur Vorderseite, abgebildet, vor allem dort, wo Vorder- und Rückseite eine gestalterische Einheit oder einen bewussten Kontrast bilden.

Die Bandbreite der Gestaltungskunst, die sich vor dem Betrachter auftut, ist äußerst vielfältig.  Es gibt Umschläge, die rein typographisch gestaltet sind, andere mit Zeichnungen, mit Fotos, mit Fotomontagen, mit Gemälden oder mit abstrakten Formelementen.

Themenvielfalt, Gattungsvildfalt

Geordnet sind die Beispiele nach unterschiedlichen, einander überlagernden Prinzipien: So gibt es Abschnitte über wichtige Verlegerpersönlichkeiten (von Samuel Fischer bis zu Leopold Ullstein), wichtige Buchgestalter (wie Jan Tschichold), über Künstler, die sich in der Buchgestaltung betätigten (z. B. Rudolf Schlichter), über inhaltliche Aspekte („Autos – gestern“, „Amerika“), über die „Jewish Book Culture“ (was seltsamer Weise im Deutschen mit „Jüdisches“ betitelt ist), natürlich über Kinderbücher oder humoristische Bücher, aber auch Abschnitte über Bücher zum Thema „Gefängnis“ oder das Blut als „heikles Gestaltungsmotiv“. Einige Verlage werden besonders herausgestrichen, neben dem schon genannten Malik-Verlag etwa der Verlag „Die Schmiede Berlin 1921 – 1929“ in einem umfangreicheren Kapitel von Frank Hermann (S. 283-293).

Keineswegs beschränkt sich die Darstellung auf literarische Werke, im Gegenteil, politische Bücher und Sachbücher aller Art werden genauso vorgestellt, sofern ihre Umschläge über die elementarste Nüchternheit hinausgehen.

Der Umschlag – ein Kleinplakat

Der Band deckt die erste Epoche der Buchkunst ab, in der der Buchumschlag sich vom lediglich schützenden Papier zu einem „Kleinplakat“ für das Buch entwickelt hat, das in den Auslagen der Buchhandlungen für das, worum es gewickelt ist, werben musste. Kein Wunder, dass die Gestalter oft zu aufdringlichen Mitteln gegriffen haben und Eleganz nicht immer oberstes Ziel war. Da aber damals weder die Wiedergabe von Farbfotos vernünftig möglich war, noch die heutigen typographischen und gestalterischen Möglichkeiten des Computers zur Verfügung standen, spielte die Hand des Künstlers noch eine viel direktere Rolle, da sowohl die Bildmotive wie auch häufig die Buchstaben von Hand gezeichnet und gemalt waren.

Inzwischen ist das eine längst vergangene Epoche der Buchkunst. Dazu mögen auch die Verluste an Bibliotheken im Zweiten Weltkrieg beigetragen haben. Ich treibe mich nicht selten auf Bücherflohmärkten oder in Antiquariaten herum, und dennoch waren mir fast alle der hier abgebildeten Buchumschläge unbekannt. Eine untergegangene Epoche…

The Book Cover in the Weimar Republic / Buchumschläge in der Weimarer Republik. Hg. v. Jürgen Holstein, mit Beiträgen v. Jürgen Holstein, Peter Nils Dorèn, Frank Hermann, Christoph Stölzl. Taschen-Verlag, Köln, 2015. 451 Seiten.

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Andreas Friedrich (Text), Jörg Schöner (Fotos): Die Frauenkirche zu Dresden

Wolfgang Krisai: Die Frauenkirche in Dresden. Tuschestift, Buntstift, 2015.Die Dresdner Frauenkirche und ihr Wiederaufbau faszinieren mich, daher wollte ich während unseres Dresden-Aufenthalts im Sommer mehr darüber erfahren, als im DuMont Kunst-Reiseführer Sachsen steht. Zur Frauenkirche werden in Dresdner Buchhandlungen Bücher unterschiedlichsten Umfangs angeboten, und ich wählte ein mittleres, das Gebäude und Wiederaufbau ausführlich schildert, aber noch innerhalb relativ kurzer Zeit zu lesen ist. Daher schaffte ich die Lektüre auch noch während unserer Tage in Dresden, sodass ich die Frauenkirche zum Schluss noch einmal besichtigen und von der Lektüre dabei schon profitieren konnte.

Baugeschichte

In diesem Band wird schon die Baugeschichte unter der Leitung des Barockbaumeisters George Bähr genau beleuchtet, vor allem auch die ständigen finanziellen und politischen Schwierigkeiten, die zu immer neuen Abänderungen und Einsparungen während des Baus führten, die später zum Teil zu gefährlichen Bauschäden und daraus erwachsenden aufwändigen Renovierungen führten. Doch auch die Steinkuppel, das „Alleinstellungsmerkmal“ dieser Kirche, ist ein Resultat von Sparmaßnahmen, da – was mich überrascht hat – eine Holzkonstruktion mit Kupferverblechung teurer als die Steinversion gewesen wäre und daher fallen gelassen wurde. Allerdings muss Bähr bereits früh mit diesem Gedanken gespielt haben, weil er – entgegen den ursprünglichen Planungen – von Anfang an viel wuchtigere Fundamente legte, als für die Holzkonstruktion vonnöten gewesen wäre.

Auch die Sanierungsmaßnahmen, die sich als nötig erwiesen, werden genau geschildert. Noch wenige Jahre vor der Zerstörung im Jahr 1945 wurde der Bau grundlegend renoviert und das Fundament verstärkt, sodass man sogar beim Wiederaufbau dieses Fundament weiterverwenden konnte.

Bombenhagel und Brand

Vom britischen Bombenhagel am 13. und 14. Februar 1945 blieb die Kirche zwar verschont, allerdings fing sie im darauf folgenden Feuersturm Feuer, sodass die Steine so stark erhitzt wurden, dass sie Gewicht der Kuppel nicht mehr tragen konnten. Alles stürzte ein, bis auf einige wenige Teile der Außenwand und des Altarbereichs. Unter dem Schutt wurde das Altarrelief allerdings so gut konserviert, dass es beim Wiederaufbau verwendet werden konnte.

Zu DDR-Zeiten ließ man die Ruine stehen bzw. liegen, baute nur einen Zaun herum und erhielt so den Steinbestand zu einem großen Teil für die Nachwelt. Nur ein geringer Teil der Steine wurde für andere Zwecke entnommen.

Beispiellose Unterstützungskampagne

Gleich nach der Wende wurde der auch während der DDR-Zeit nie ganz begrabene Gedanke an einen Wiederaufbau wieder lebendig und es entwickelte sich eine beispiellose Kampagne für die Frauenkirche. Hauptanliegen war, das Geld für den ganz nach modernsten Gesichtspunkten durchzuführenden Wiederaufbau zusammenzubringen. Und da gab es so viele Initiativen, dass man den Kraftakt des Wiederaufbaus wagen konnte: Benefizkonzerte, Großspenden potenter Gönner, Sammelaktionen, Bildung von Unterstützervereinen, aber zum Beispiel auch Einzelinitiativen wie die eines Mannes, der jahrelang vor der Münchner Frauenkirche mit einer Spendenbüchse für die Dresdner Schwesterkirche sammelte.

Wiederaufbau

Bevor es losging, musste man eine grundsätzliche Entscheidung fällen: Sollte – wie es die moderne Philosophie des Denkmalschutzes eigentlich forderte – die Ruine lediglich vor weiterem Verfall bewahrt, aber in ihrem durch die Geschichte geformten Dasein akzeptiert werden, oder sollte die Kirche neu gebaut werden, was dem Betrachter ja nur vorgaukelt, er stehe vor einer barocken Kirche, während es sich eigentlich um ein Werk des 21. Jahrhunderts handelt? Dem offiziellen Verein, der inzwischen zur Koordination des Wiederaufbaus gegründet worden war, wurde schnell klar, dass all jene, die sich in selbstloser Weise für die Frauenkirche einsetzten, diese natürlich nicht als Ruine, sondern als benützbare Kirche sehen wollten, und daher fiel der Beschluss auch für den Wiederaufbau. Es sollte eine Kirche entstehen, die mehreren Zwecken dient: Sie sollte als Gotteshaus, als Konzertsaal, als Sehenswürdigkeit, als Museum (in der Krypta) und als Mahnmal dienen.

Sehr günstig für den Wiederaufbau war nun, dass für die vielen Renovierungen jeweils genaue Pläne und Zeichnungen bzw. Fotos angefertigt wurden, die wie durch ein Wunder im Keller der Kirche erhalten geblieben waren. Auf diesem Material konnte man aufbauen.

Steinpuzzle

Schon 1990 begannen die konkreten Planungen des Wiederaufbaus, für den ja zunächst einmal eine passende Vorgangsweise erfunden werden musste, da es vergleichbare Bauaufgaben bisher nicht gegeben hatte. Berühmt ist dann die genaue Bestandsaufnahme und Katalogisierung der noch vorhandenen Steine, die wie Teile eines Puzzles ihrem ehemaligen „Einbau-Ort“ zugeordnet werden mussten. Wo es sinnvoll möglich war, sollten die alten Steine ja in den neuen Bau integriert werden. Innerhalb von 17 Monaten wurden 22000 m3 Schutt abgetragen und wissenschaftlich ausgewertet (S. 91). Von 1995 bis 2005 wurde dann die Kirche wieder aufgebaut und mit Inneneinrichtung und Bemalung versehen. Man hielt sich, wo sie sich bewährt hatte, an Bährs Bauweise, verwendete aber besseren Sandstein und verstärkte die Kuppel mit einem hochmodernen „Stahlband“, sodass der Schub nach außen abgemildert ist. Unter dem Platz rund um die Kirche befinden sich moderne Zubauten, nämlich Technikräume und Künstlerzimmer, die für Konzerte gebraucht werden. Außerdem wurde als modernes Einsprengsel ein Lift eingebaut, damit die Touristen bequem zur Kuppel hinaufgelangen konnten, von wo dann der schon von Bähr stammende spiralförmig bis zur Laterne nach oben führende Umgang zwischen den beiden Schalen der Außenkuppel beginnt. Die Bestuhlung auf den Emporen ist etwas geräumiger als im Original und die Kirche ist modern klimatisiert.

Versöhnungszeichen

Als Zeichen der Aussöhnung zwischen den einstigen Feinden fertigte der Sohn eines der britischen Bomberpiloten das 4 Meter hohe goldene Kreuz, das samt dem Laternendach am 22. Juni 2004 von einem Kran an die Spitze der Kirche gesetzt wurde. Das alte Kreuz steht dafür so deformiert, wie es im Schutt gefunden wurde, im Inneren der Kirche.

Zu all diesen Informationen bietet das Buch auch viele sehr schöne und instruktive Bilder, sodass man wirklich aufs Angenehmste belehrt wird.

Es gibt auch eine englischsprachige Version des Buches.

Andreas Friedrich (Text), Jörg Schöner (Fotos): Die Frauenkirche zu Dresden. Geschichte und Wiederaufbau. Michel Sandstein Verlag, Dresden, 2. Aufl. 2006. 131 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Die Frauenkirche in Dresden. Tuschestift, Buntstift, 2015.

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Christian Baur: Neugotik

Wolfgang Krisai: Die Votivkirche in Wien. Buntstiftzeichnung, 2015.Die Neugotik ist eine vergessene, ja verachtete Stilrichtung. Das zeigt sich unter anderem daran, dass es darüber derzeit kein einziges zusammenfassendes Buch auf dem Markt gibt. Auch in Bibliotheken findet sich nichts Nennenswertes. Immer wieder stößt man aber, wenn man im Internet forscht, auf einen längst nicht mehr neu lieferbaren Band aus der Reihe „Heyne Stilkunde“: Christian Baur: „Neugotik“.

Als erste Einführung wäre das sich er brauchbarer Band, dachte ich, und wollte ihn schon bei irgendeinem Antiquariat online bestellen. Tat es dann doch nicht.

Zum Glück, denn vor ein paar Tagen kam ich an einem kleinen und extrem preisgünstigen Antiquariat in der Windmühlgasse nahe der Mariahilferstraße in Wien vorbei, schaute hinein, stöberte ausgiebig – und siehe da: Knapp über Knöchelhöhe entdecke ich in einem der Kunst gewidmeten Regal dieses „Neugotik“-Büchlein! Um keine zwei Euro wechselte es den Besitzer.

Der neue Besitzer machte sich sofort an die Lektüre und las es inzwischen fertig.

Knapper Überblick über die Neugotik

Das Buch bietet einen schönen Überblick über die Neugotik von ihren ersten Vorboten im 18. Jahrhundert (Horace Walpoles Villa „Strawberry Hill“ in Twickenham) bis zur amerikanischen Neugotik nach 1900 (z. B. mit der „Kathedrale des Lernens“, dem Hochhaus der Universität Pittsburgh von 1926/27).

Dazwischen gibt es eine Fülle von Bauten, von denen man einige markante kennt. Da wären zum Beispiel:

  • der Kölner Dom, der ab 1842 fertiggebaut wurde und dem ein ganzes Kapitel gewidmet ist;
  • das Gothic Revival in England mit Schlössern wie „Dalmeny House“ von William Wilkins, 1815;
  • die wegweisenden Entwürfe und Bauten von Augustus Welby Pugin in England;
  • Die Mariahilfkirche in der Au in München (muss beim nächsten Besuch in München besichtigt werden);
  • die „Houses of Parliment“ in London von Charles Barry (1840-65);
  • Burg Stolzenfels am Rhein, Schloss Lichtenstein in Schwaben, Hohenschwangau und Neuschwanstein in Bayern;
  • das Parlament in Budapest.

Für mich als Österreicher sind besonders interessant:

  • die Franzensburg im Schlosspark in Laxenburg;
  • Schloss Anif bei Salzburg;
  • natürlich Votivkirche und das Rathaus in Wien;
  • der Neubau des Linzer Doms;
  • St. Nikolaus in Innsbruck (das soll eine der am schönsten gestalteten und erhaltenen neugotischen Kirchen sein; schade, dass Innsbruck so weit weg ist…).

Der Band zielt schon allein seines Umfangs wegen nicht auf Vollständigkeit ab. Daher bleiben unzählige neugotische Kirchen und sonstige Bauten unerwähnt. Da es nirgends ein Verzeichnis neugotischer Bauten gibt, müsste man sich also auf die Suche machen. Allein in den Wiener Außenbezirken fallen mir gleich eine ganze Reihe schöner neugotischer Kirchen ein.

Interessante und eigenständige künstlerische Leistung

Baur stimmt natürlich nicht in den Chor der Neugotik-Verächter ein, sondern sieht diesen Stil aufgrund seiner genaueren Kenntnis als durchaus interessante und eigenständige künstlerische Leistung. Wesentlich ist ihm dabei zu zeigen, dass die Neugotiker nicht einfach die Gotik imitierten, sondern sie geradezu in Idealform zu realisieren versuchten. Echte gotische Bauten sind ja üblicherweise nicht von heute auf morgen gebaut worden, sondern über Jahrzehnte, manchmal Jahrhunderte, und während der langen Bauzeit wurde munter umgeplant und im jeweils neuesten Stil weitergebaut, sodass man die Baugeschichte außen ablesen kann. Neugotische Kirchen wurden hingegen innerhalb weniger Jahre fertig (von wenigen Gegenbeispielen abgesehen) und sind wie aus einem Guss, gewissermaßen so, wie ein gotischer Baumeister sich seine Kirche im Entwurf vorstellte, ohne sie je so bauen zu können.

Weiters nützten die Architekten des 19. Jahrhunderts selbstverständlich die technischen Mittel der Zeit, insbesondere den Eisenbau, sodass im Extremfall ein neugotisches Rippengewölbe eiserne Rippen haben konnte. Das Argument: Auch die gotischen Baumeister des Mittelalters hatten keine Scheu, die jeweils modernsten technischen Mittel anzuwenden.

Ein neugotischer Bau ist außerdem im Idealfall ein Gesamtkunstwerk von Architektur, Ausstattung, Ausmalung und Glasfenstern im neugotischen Stil.

Hass auf die Neugotik

Allerdings gibt es nur noch wenige Beispiele, die unbeeinträchtigt erhalten sind, da im 20. Jahrhundert geradezu ein Hass auf die Neugotik wütete und man ungeniert neugotische Ausstattungen aus Kirchen entfernte oder die Kirchen gleich ganz abriss: „Noch in den siebziger Jahren hatte man offenbar keine Bedenken, die nach dem Vorbild des Altenberger Doms errichtete neugotische Dominikaner-Klosterkirche in Düsseldorf, von dem bedeutenden Architekten Friedrich v. Schmidt, für die Raumbedürfnisse eines Bankhauses abzubrechen (1973).“ (S. 215)

Gespannt bin ich jedenfalls, ob dieser Stil bald einmal ein Revival erleben wird.  Immerhin war auch der Jugendstil einmal verpönt, genauso wie der Historismus im allgemeinen. Die Chancen stehen, denke ich, für die Neugotik gar nicht so schlecht.

Christian Baur: Neugotik. Heyne Stilkunde. Heyne, München, 1981. 269 Seiten, zahlreiche, z. T. farbige Abbildungen.

Bild: Wolfgang Krisai: Die Votivkirche in Wien. Buntstiftzeichnung, 2015.

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Francesco M. Cataluccio: La memoria degli Uffizi.

Wolfgang Krisai: Die Uffizien am Abend. 2011.„In die Uffizien gingen wir seit unserer Kindheit, jeden Sonntag. Da unsere Familie am Feiertag keinerlei Gottesdienste besuchte, führte uns Papa am Vormittag zu dem Ritus der Laien, zur Betrachtung von Gemälden, der dem heidnischen Ritus des Nachmittags voranging, dem Besuch des Fußballmatchs der ‚Fiorentina‘ im Stadion des ‚Campo di Marte‘, das ganz aus konkaven und konvexen Formen bestand, die Pier Luigi Nervi entworfen hatte. Gegen zehn, während Mama (eine ganz schlechte Köchin) sich bemühte, das einzige wirkliche Mittagessen der Woche zuzubereiten, führte uns unser Vater in die Uffizien, wo wir einen Saal – immer einen anderen, nach dem Rotationsprinzip – besichtigten. Heute, wo auch ich mit wechselndem Resultat als Elternteil dasselbe mache, muss ich anerkennen, dass meine Eltern wahrhaft vorbildlich waren, indem sie uns dieser ‚kulturellen Mission‘ unterzogen, an der mein Bruder und ich übrigens sehr gerne und voller Neugier teilnahmen.“ (S. 11, Übersetzung von mir.) Als ich im Bookshop der Uffizien vor wenigen Tagen diese Zeilen in dem dünnen, dunkelblauen Sellerio-Bändchen las, konnte ich nicht anders, als das Buch zu kaufen. Unterzog ich doch gerade jetzt eine ganze Schulklasse genau dieser „kulturellen Mission“, nicht nur in den Uffizien, sondern in ganz Florenz, und hatte ich doch auch meine eigenen Kinder vielfach in Museen geschleppt, zu ihrer nicht immer ungeteilten Begeisterung, aber mit positiver Langzeitwirkung, wie ich jetzt weiß. Kaum hatte ich das Büchlein gekauft, fürchtete ich auch schon, es werde die doch etwas dünne Handlung breit auswalzen und bald langweilig werden. Weit gefehlt. Kaum nach Hause zurückgekehrt, schnupperte ich in das Buch hinein und konnte nicht mehr aufhören. Cataluccio erzählt weit mehr als nur seine Kindheitserinnerungen an Museen. Er bietet einen ganz persönlich gefärbten Rundgang durch die Uffizien, mit einigen Seitensprüngen in andere Museen wie die Galleria Palatina, wo dies angebracht erscheint. Dabei gewinnt er auch sattsam bekannten Gemälden wie etwa Botticellis „Geburt der Venus“ oder Michelangelos „Tondo Doni“ noch neue Aspekte ab, sodass ich am liebsten gleich wieder umgekehrt wäre, um in den Uffizien vor dem Original Cataluccios Erkenntnisse nachzuvollziehen. Ein Beispiel: Da hängt ein Gemälde Albrecht Dürers mit dem Titel „Madonna mit der Birne“, und dem oberflächlichen Betrachter mag der Titel auch schlüssig scheinen, hält die Madonna doch neben Jesus auch noch eine birnenförmige Frucht in der Hand. Cataluccio nun verweist auf einen Artikel von 2013, in dem eine Spezialistin für seltene Obstsorten nachweist, dass es sich bei der angeblichen Birne um einen Apfel handelt! Wenn man genau hinsieht, wird einem bewusst, dass dort, wo bei der Birne der Stengel wäre, hier der Rest des Blütenstands zu sehen ist, also die andere Seite. Folglich ist das ein Apfel, der ein wenig wie eine umgedrehte Birne aussieht, ein Vertreter der Sorte „Muso di bue“, „Rindernase“. Häufig erzählt Cataluccio auch von seiner persönlichen, meist originellen und interessanten Interpretation der Werke. Ein wahres Lesevergnügen. Es ist zu hoffen, dass das Buch bald auch auf Deutsch zur Verfügung steht. Francesco M. Cataluccio: La memoria degli Uffizi. Sellerio editore, Palermo, 2013. 134 Seiten Text, 26 Seiten Anhang, 16 Farbtafeln. Bild: Wolfgang Krisai: Die Uffizien am Abend. Tuschestift und Buntstift. 2011.

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