Archiv der Kategorie: Reiseliteratur

Christine Zucchelli, Irmeli Wopfner: Anno 1613 von Tirol nach Rom. Die abenteuerliche Pilgerfahrt des Doktor Hippolyt Guarinoni

Die Kirche St. Karl Borromäus bei Volders in Tirol, geplant und erbaut von Hippolyt Guarinoni.

In diesem Buch geht es um „Die abenteuerliche Pilgerfahrt des Doktor Hippolyt Guarinoni“ im Jahr 1613 von Hall in Tirol nach Rom und zurück.

Guarinoni war Arzt und eine Art Vertrauter der Adeligen Damen des Damenstifts von Hall in Tirol, mir war er jedoch als Planer und Erbauer der Kirche St. Karl Borromäus in Volders ein Begriff.

Pilgergruppe zusammengetrommelt

Guarinoni trommelte eine ganze Pilgergruppe zusammen, darunter zwei Geistliche, mit der er sich auf den Weg machte. Er war der Anführer, der sich allerdings mit den Eigenheiten der Mitreisenden arrangieren musste. Da es eine Pilgerfahrt war, wurde auch unterwegs jede Gelegenheit genützt, um Reliquien zu besichtigen, Kirchen zu besuchen oder eine Messe zu lesen bzw. daran teilzunehmen.

Der Weg führte über folgende Stationen:

Innsbruck, Brenner, Brixen, Bozen, Trient, Verona, Ferrara, Ravenna, Rimini, Pescara, Ancona, Loreto, Assisi, von wo aus die Gruppe schließlich ans Ziel, nach Rom marschierte.

Kommunion vom Papst empfangen

Der rund einmonatige Aufenthalt in Rom um die Osterzeit wird für Besuche der sieben großen Ablass-Kirchen genützt, natürlich vor allem des Petersdoms, in dem auch immer wieder eine Messe besucht wird. Einmal hat Guarinoni sogar das Glück (dem er durch Kontakt mit der Schweizergarde nachgeholfen hat), bei der Messe ganz in der Nähe des Papstes zu stehen zu kommen, sodass er vom Papst persönlich die Kommunion ausgeteilt bekommt. Später gibt es auch noch eine Audienz beim Papst.

Ein Fan der Heiligen Francisca Romana

Wichtigstes Ziel für Guarinoni sind die Wirkungsstätten und das Grab seiner Lieblingsheiligen, der Francisca Romana. Deren Biographie hat Guarinoni aus dem Italienischen ins Deutsch übersetzt, dabei ist sie ihm offenbar ans Herz gewachsen. Als solchermaßen ausgewiesener „Fan“ der Heiligen kann er sogar mit deren Nachfolgerin im Kloster sprechen, bekommt von der Heiligen benützte und damit geheiligte Gegenstände gezeigt, darf, nachdem er hartnäckig Einlass begehrt hat, auch im Klostergarten auf ihren Spuren wandeln und den besonderen Klosterwein trinken.

Reliquien für Hall in Tirol

Für das Haller Damenstift beschafft er sogar die Leichname zweier Märtyrerinnen, der Heiligen Lea und Vincentia. Diese Reliquien werden mit größter Sorgfalt und Vorsicht nach Tirol transportiert, wo sie mit großer Freude entgegengenommen und mit einer Prozession von Innsbruck nach Hall in ihre neue „Heimstätte“ überführt werden.

Im Gegensatz zur eher ernst verlaufenen Hinreise ist die Rückreise lustiger, da sie einen Tiroler Transporteur engagiert haben, der auf seinem Saumpferd zwei Tragekörbe mit den beiden Reliquien-Behältnissen transportiert. Der Mann ist ein lustiger Kerl, der die Pilgergruppe immer wieder zum Lachen bringt.

Reise auf Guarinonis Spuren

Das Buch ist allerdings nicht einfach eine Ausgabe der – 24 Jahre nach der Pilgerfahrt erst geschriebenen – Reisebeschreibung Guarinonis. Die beiden Autorinnen haben das Werk überhaupt erst wiederentdeckt und dann beschlossen, die Reise auf Guarinonis Spuren genau nachzuvollziehen, was die Route, nicht aber, was das Zu-Fuß-Gehen betrifft, denn dann hätten sie am Bankett von Fernverkehrsstraßen gehen müssen. Wo es allerdings möglich ist, auf einem verkehrsfreien Wanderweg zu gehen, etwa zwischen Ravenna und Ancona, tun sie das, um ein Gefühl für das Pilgern zu Fuß zu bekommen.

Die beiden beschreiben nun ihre eigenen Reiseerlebnisse und -erfahrungen aus dem 21. Jahrhundert, liefern einen ausführlichen Reiseführer mit vielen Fotos und Informationen über alle besuchten Kirchen, zusätzlich noch eine Menge Hintergrundinformation – und dazwischen streuen sie Abschnitte aus der originalen Reisebeschreibung Guarinonis ein. Dessen barocke Sprache haben sie nicht in modernes Deutsch übersetzt, sodass man diese Abschnitt schon sehr konzentriert lesen muss, um sie überhaupt zu verstehen. Sie sind aber der interessante Teil des Buches. Das „Drumherum“ habe ich zum Teil diagonal gelesen, denn wie z. B. die Kirchen heute aussehen, muss ich nicht in diesem Buch lesen.

Insgesamt war es eine originelle und interessante Lektüre.

Zucchelli, Christine; Wopfner, Irmeli: Anno 1613 von Tirol nach Rom. Die abenteuerliche Pilgerfahrt des Doktor Hippolyt Guarinoni. Tyrolia-Verlag, Innsbruck – Wien, 2016. 304 Seiten.

Foto: W. Krisai.

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Siegfried Unseld: Reiseberichte

Wolfgang Krisai: Blick über den East River nach Manhattan. Tuschestift, Buntstift, 2017.

Aus an die 1500 Reiseberichten des goßen Verlegers Siegfried Unseld hat Lektor und Herausgeber Raimund Fellinger 35 ausgewählt und in einem großformatigen Bibliothek-Suhrkamp-Band vereint. Sie umfassen die Jahre 1959 bis 1998. Unseld starb 2002.

Blick hinter die Kulissen des Verlagsgeschäfts

Für mich, der diese Zeit zumindest zum Teil bewusst miterlebt hat und schon als Jugendlicher vor allem die Produktion des Suhrkamp-Verlags mit größtem Interesse, wenn auch nicht größter Kaufkraft, mitverfolgt hat, ist das eine äußerst interessante Lektüre, da man ein wenig hinter die Kulissen des Verlagsgeschäfts und über die Schulter gut bekannter Autor*innen schauen kann.

Chaville oder Ohlsdorf

Manchmal gelten die Reisen dem Besuch einzelner Autoren, so etwa Peter Handke oder Thomas Bernhard in ihren Dichter-Refugien in Chaville bzw. Ohlsdorf. Manchmal geht es ins westliche, manchmal ins östliche Ausland. Damals war ja großteils noch die DDR existent, wohin Unseld seine Fühler ausgestreckt hatte. 

Staatsbesuch in Russland

Interessant auch der offizielle Staatsbesuch in Russland als Mitglied der Delegation, die den deutschen Bundespräsidenten zu Präsident Jelzin begleitete. Unseld spielt dort nur eine Nebenrolle, sollte aber ad hoc die Finanzierung von Buchvorhaben zusagen.

Frisch beleidigt

In Paris oder New York trifft Unseld alle Arten von Leuten, die im Buchwesen eine Rolle spielen: Autor*innen bzw. deren Erb*innen, Verlagsmenschen und Buchhändler*innen. Es geht darum, Verträge auszuhandeln, Kontakte zu knüpfen oder zu erneuern, Verlegenheiten auszuräumen (z. B. wenn ein Autor seit Jahren auf eine Antwort des Verlags wartet) oder einfach etwas zu feiern. Zum Beispiel Max Frischs runden Geburtstag: Frisch lebte damals in New York, war während all der vom Verlag ausgerichteten Feierlichkeiten verstimmt und machte hinterher im privaten Rahmen seinem Ärger über Unseld Luft: Dieser habe ihn nicht genügend gewürdigt, ja, habe sogar Lügen verbreitet, die Geschenke seien mickrig gewesen (was sie nicht waren), usw. Manchmal brauchte Unseld schon eine sehr dicke Haut. Aber er steht eisern zu seinen Autor*innen, denn allein diese brächten die Werke hervor, von denen nicht nur sie selbst, sondern die gesamte Buch-Maschinerie mit ihren zahllosen Angestellten lebe.

Mit seinen 378 Seiten liegt der Band angenehm in der Hand, die 35 Reisen bieten einen guten Einblick in die Reisetätigkeit Unselds und machen Lust auf die Verlagschronik Siegfried Unselds, deren Band 1 über das Jahr 1970 bereits bei mir im Regal wartet.

Unseld, Siegfried: Reiseberichte. Bibliothek Suhrkamp 1451. Berlin, Suhrkamp, 2020. 378 Seiten. Bibliothek Suhrkamp 1451.

Bild: Wolfgang Krisai: Blick über den East River nach Manhattan. Tuschestift, Buntstift, 2017.

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„Es sind vortreffliche Italienische Sachen daselbst“. Louise von Göchhausens Tagebuch ihrer Reise mit Herzogin Anna Amalia nach Italien

Wolfgang Krisai: Rokoko-Berline, sogenannter "Prinzen- oder Damenwagen", Wagenburg, Schloss Schönbrunn, Wien. Federzeichnung, 2017.

Meine Frau schenkte mir diese wissenschaftliche Ausgabe von „Louise von Göchhausens Tagebuch ihrer Reise mit Herzogin Anna Amalia nach Italien vom 15. August 1788 bis 18. Juni 1790“. Es ist der Band 72 der „Schriften der Goethe-Gesellschaft“ und vom Wallstein-Verlag in gediegener Weise gestaltet.

Interessant kommentierte Ausgabe

Das eigentliche Tagebuch umfasst 148 Seiten, darüber hinaus gibt es eine Einleitung, editorische Erläuterungen, einen äußerst umfangreichen Sachkommentar und ein kommentiertes Personenverzeichnis.

Die Idee, die Personen normalerweise nicht im Kommentar zu kommentieren, sondern im Personenverzeichnis, ist sehr praktisch, da man ja häufig nicht beim ersten Auftreten der Person gleich etwas nachschauen will, sondern vielleicht erst beim fünften oder zehnten. Allerdings ist die Kommentierung im Personenverzeichnis deutlich weniger ausführlich als die zu den Sachthemen im Sachkommentar, wo die Informationen oft geradezu ausufern, vor allem, wenn es um Kunstwerke geht, die besichtigt und genannt werden.

Einige Seiten des Originals sind abgebildet, sodass man auch von der Handschrift Göchhausens einen Eindruck bekommt. Auch ein von Goethe gezeichnetes Porträt der Autorin ist enthalten.

Scharfes Mundwerk, aber nüchternes Tagebuch

Louise von Göchhausen war eine kleine, verwachsene Frau, die lange Jahre die Hofdame der Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach war und nur wenige Monate nach deren Tod 1803 ebenfalls starb. Sie war beliebt, weil sie einen scharfen Verstand und ein offenbar nicht weniger scharfes Mundwerk hatte.

Das goutierte möglicherweise aber nicht jeder, denn im Kommentar zum 1. 12. 1789 (Aufenthalt war gerade in Rom, an diesem Tag erfuhr man vom Selbstmord des jungen Sängers David Heinrich Grave) wird vermutet, Louise von Göchhausens ständige Sticheleien gegen den Sänger hätten zu dessen Tod beigetragen und darüber sei es zu einem ernsten Zerwürfnis mit der Herzogin gekommen (wovon wieder Goethe ein Jahr später in einem Brief etwas andeutet). Im Tagebuch wird davon nichts gesagt, denn Gefühle und Kommentare sind daraus generell ausgespart.

Genaue Chronistin des Tagesgeschehens

Göchhausen vermerkt genau, aber in aller Kürze, was jeden Tag gemacht wurde, wo man übernachtete, wo man einkehrte, welchen Vergnügungen man sich hingab.

Die Herzogin liebte die Musik (komponierte sogar selbst), daher hatte sie Musiker – zunächst einen Schweizer Komponisten, der sich aber bald beurlauben ließ, und dann eben diesen unglückseligen Grave – in ihrer Entourage, wie übrigens auch einen Arzt, einen Koch, einen italienischen Cicerone, eine Kammerfrau, eine Kammerjungfer, einen Hofmarschall und die Hofdame Göchhausen umfasste.

Eigentlich inkognito

Die Herzogin reiste inkognito unter dem Namen Gräfin von Allstedt, konnte das Inkognito aber vor allem in Rom nicht mehr aufrecht erhalten.

Die Reiseroute – am vorderen Vorsatzpapier auf einer Landkarte abgebildet – verlief von Weimar über Regensburg, München, Innsbruck, Verona, Mailand, Parma, Florenz, Pisa, Siena, Viterbo nach Rom, wo man länger blieb, dann weiter nach Neapel, nach einem Monat zurück nach Rom, dann bald wieder nach Neapel, wo man dann lange blieb – mit Ausflügen nach Paestum, auf die Insel Ischia, nach Andria (dort aber merkwürdiger Weise nicht zum Castel del Monte!), zurück ging es dann über Rom, Ancona, Bologna, Venedig, Padua, Verona, Innsbruck, Augsburg, Nürnberg nach Weimar. In Venedig erwartete sie Goethe, der dort schon ein Monat zu früh eingetroffen war, und begleitete sie dann nach Hause.

Die Reise beanspruchte die Weimarer Staatsfinanzen empfindlich, zumal die Herzogin die geplante Reisezeit von einem Jahr fast um ein weiteres Jahr überzog. Aber es gefiel ihr in Neapel dermaßen…

Erstaunliche Aufnahmekapazitäten

Absolut erstaunlich ist die Aufnahmekapazität der Herzogin und der Hofdame, was Kunstwerke betrifft. Praktisch jeden Tag wird irgendeine Sehenswürdigkeit besichtigt, manchmal auch mehrere, und in den Kirchen, Klöstern und Palästen (die, sofern der Besitzer abwesend war, offenbar problemlos zugänglich waren) wurde nach bedeutenden und weniger bedeutenden Gemälden Ausschau gehalten. 

Darüber hinaus empfing die Herzogin fast täglich Künstler, die ihr Zeichnungen vorlegten, von denen sie gelegentlich welche kaufte, oder die sie porträtierten. So etwa Angelika Kauffmann, Tischbein, aber auch den Maler Verschaffelt und viele andere.

Gesellschaftsleben

Täglich wurde in Gesellschaft gespeist, der Koch war also eine wesentliche Figur in der Reisegesellschaft. Und am Abend ging man in die Oper, in ein Konzert, ließ sich vorsingen oder vorspielen oder spielte und sang selbst. In den wenigen stillen Stunden schrieben sowohl die Herzogin wie auch die Hofdame an ihren Tagebüchern. 

Von Lektüre ist nie die Rede, möglicherweise wurden aber Reiseführer (sofern es solche schon gab) konsultiert. Jedenfalls hätte man nicht so viele Kunstwerke besichtigen können, wenn man nicht im Vorhinein von deren Existenz erfahren hätte.

Die Natur spielt ebenfalls eine geringere Rolle. So spektakuläre Naturschauspiele wie aus dem Vesuv hervorquellende Lava, zu der man extra hinaufstieg bzw. -getragen wurde, oder Wasserfälle, Schluchten oder Ähnliches besichtigten die Reisenden aber sehr wohl.

Eigene Kutsche, fremde Pferde

Die Gruppe reiste in zwei eigenen Kutschen, nur die Pferde wurden an den Poststationen gewechselt, manchmal mussten auch welche zusätzlich vorgespannt werden, um Berge zu überwinden. Diese Kutschen waren sicher nicht gerade bequem im Verhältnis zu heutigen Fortbewegungsmitteln. Außerdem konnten sie umstürzen (was einmal geschah, wobei aber niemand verletzt wurde) oder Räder konnten zu Bruch gehen (was öfter geschah). Vor dem Regen schützten sie jedoch offenbar ausreichend, auch Kälte ließ sich ertragen.

Insgesamt eine äußerst interessante Lektüre. Man möchte gleich mehr über Louise von Göchhausen oder Anna Amalia erfahren.

„Es sind vortreffliche Italienische Sachen daselbst“. Louise von Göchhausens Tagebuch ihrer Reise mit Herzogin Anna Amalia nach Italien vom 15. August 1788 bis 18. Juni 1790. Hg. u. komm. v. Juliane Brandsch. Schriften der Goethe-Gesellschaft, Band 72. Wallstein-Verlag, Göttingen, 2008. 518 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Rokoko-Berline, sogenannter „Prinzen- oder Damenwagen“, Wagenburg, Schloss Schönbrunn, Wien. Federzeichnung, 2017. – Mit einer Zeichnung von Anna Amalias Reisekutsche kann ich nicht aufwarten, aber zumindest von dieser schönen Kutsche aus der Wiener Wagenburg.

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Michail Schischkin: Auf den Spuren von Byron und Tolstoi. Eine literarische Wanderung von Montreux nach Meiringen

Ein Freund hat mir Michail Schischkin: „Auf den Spuren von Byron und Tolstoi. Eine literarische Wanderung von Montreux nach Meiringen“ geschenkt. Ich wurde neugierig, vor allem des Familiennamens des Autors wegen: Schischkin. Dabei hat dieser nichts mit dem von mir geliebten Maler Iwan Iwanowitsch Schischkin zu tun. Oder vielleicht doch – hinsichtlich der Begeisterung für die Natur.

Missolunghi … Astapowo … ?

Das Buch erschien erstmals unter dem Titel „Montreux – Missolunghi – Astapowo“ im Jahr 2002 im Limmat-Verlag. 2012 wurde es im Rotpunkt-Verlag neuerlich und unter anderem Titel aufgelegt. Vermutlich, weil man fürchtete, die Orte Missolunghi und Astapowo könnten beim heutigen Lesepublikum keine Assoziationen mehr wecken.

Missolunghi? Da ist Byron gestorben. Astapowo? Das ist jene Bahnstation in der russischen Einöde, wo der greise Leo N. Tolstoi auf der Flucht vor seiner Frau von einer Krankheit niedergeworfen wurde und gestorben ist.

Montreux … ?

Was haben die beiden mit Montreux zu tun? Beide Autoren unternahmen, durch einige Jahrzehnte voneinander getrennt, von Montreux aus eine Bergwanderung durch die Schweiz bis Meiringen und hinterließen darüber Aufzeichnungen.

Eine Woche wandern, 400 Seiten schreiben

Michail Schischkin, der als Autor eines Buches über „Die russische Schweiz. Ein literarisch-historischer Reiseführer“ (auf Russisch 2000 erschienen, auf Deutsch 2003) über die Schweizbesuche russischer Schriftsteller bestens Bescheid wissen musste, machte sich selbst auf den gleichen Weg, um über seine Erfahrungen und die seiner berühmten Kollegen ein Buch zu schreiben. Sieben Tage dauerte die Wanderung, das buchförmige Resultat hat 400 Seiten. Das ist eine noch beachtlichere Ausbeute als jene Theodor Fontanes, der über 14 Tage Schottland immerhin 200 Seiten geschrieben hat (siehe meinen Beitrag zu Th. Fontane: Jenseit des Tweed).

Schischkin nützt allerdings die modernen Möglichkeiten, indem er statt eines Notizbuchs seinen Laptop mitführt und bei jeder Rast an seinem Buch weitertippt. (Wieweit danach noch zu Hause daran ergänzt wurde, verrät er nicht.)

Tolstoi … Byron …

Wer nun einen detaillierten Wanderbericht erwartet, wird allerdings enttäuscht. Schischkin hält die Passagen über seine eigene Wanderung ziemlich kurz und widmet sich dafür mit großer Ausführlichkeit Tolstoi, aus dessen Tagebuch viel zitiert und über dessen Leben und Schaffen sehr viel erzählt wird. Gleich danach folgt, mengenmäßig, Byron, doch auch andere große Geister kommen zu Ehren: etwa der Russe Karamsin, der aus Genf stammende Jean-Jacques Rousseau oder der Deutsche Friedrich Nietzsche.

Man lernt in diesen Passagen nicht nur den Blick dieser Männer auf die Schweiz kennen, sondern vor allem sie selbst. Von Byron konnte mir Schischkin noch viel Neues erzählen, von Tolstoi weniger. Trotzdem waren diese Abschnitte durchaus interessant.

Noch interessanter allerdings sind jene Passagen, die von Schischkins Erfahrungen in der Sowjetunion (er wurde 1961 in Moskau geboren), im Russland nach der Wende und in der Schweiz (wo er seit 1995 lebt) handeln.

Russland … Schweiz …

Amüsante und lehrreiche Aspekte kann Schischkin vor allem dem Gegensatz zwischen der Schweiz und Russland abgewinnen. Das ist wie schwarz und weiß. Wobei allerdings die Schweiz nicht immer weiß ist. Schischkin hat einst seinen Bruder in einem sowjetischen Arbeitslager besucht und zum Vergleich später ein Schweizer Gefängnis (nur wer seine Gefängnisse kenne, kenne ein Land wirklich), und das Schweizer Gefängnis sei komfortabler gewesen als z. B. ein russisches Hotel für Schriftsteller. Kein Wunder, dass die Auffassungen von Recht und Gesetz in beiden Ländern einigermaßen unterschiedlich sind. Der Schweizer könne dem Gesetz und seinen Exponenten, also den Behörden, vertrauen, während der Russe die geschriebenen Gesetze zu umgehen versucht, sich jedoch, will er irgendetwas erreichen, nach ungeschriebenen Gesetzen richten muss, die ihm z. B. vorschreiben, mit wieviel Rubel welcher Beamte zu schmieren ist. In der Schweiz herrsche jahrhundertelange Stabilität, während in Russland innerhalb der letzten hundert Jahre kein Stein auf dem anderen geblieben sei.

Die dunklen Seiten der Schweiz

Die dunklen Seiten der Schweiz hingegen sind vor allem im Bankwesen zu finden, das zur Geldwäsche und für allerlei Verbrechertum missbraucht werde. Den Mythos von Wilhelm Tell nimmt Schischkin genüsslich auseinander. Die politischen Wirren zu Zeit Napoleons werden dem unwissenden Leser vor Augen geführt. Und Schischkin berichtet mit Sinn fürs Absurde davon, wie das Schweizer Sozialsystem von angeblichen Asylanten missbraucht wird.

Die Schönheiten der Alpen

Diese Seiten der Schweiz kontrastieren mit den Schönheiten der Alpen, die Schischkin ebenfalls schildert, sehr häufig eben durch die Augen seiner Gewährsmänner. Denn höchstpersönlich erlebt er die Alpentäler und Bergdörfer natürlich eher als Brennpunkte des Tourismus. Aber sogar in unmittelbarer Umgebung weltberühmter Wasserfälle oder Gipfelblicke gilt: Kaum weicht man ein paar Schritte von den touristischen Heerstraßen ab, ist man allein.

Schischkin schrieb dieses Buch auf Deutsch, es gibt kein russisches Original wie von allen seinen anderen Publikationen. Das ist eine erstaunliche Leistung, auch wenn man annehmen darf, dass LektorInnen den einen oder anderen Fehler ausgemerzt haben. Der Text liest sich jedenfalls sehr angenehm und flüssig, sodass der vergnüglichen Horizonterweiterung der Leserin bzw. des Lesers nichts im Wege steht.

Ohne Bilder …

Im Zeitalter von Google-Maps verzichteten Autor und Verlag auf die Beigabe von Landkarten oder Abbildungen. Wodurch einem schmerzlich bewusst wird, wie schlecht die Qualität der Darstellung von Wegen und Topographie in Google Maps immer noch ist. 

Michail Schischkin: Auf den Spuren von Byron und Tolstoi. Eine literarische Wanderung von Montreux nach Meiringen. Rotpunktverlag, Zürich, 2012. 407 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Der Montblanc in Wolken. Aus einem Reisetagebuch von 2010. Tuschestift, Buntstift.

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Dirk Stichweh, Jörg Machirus, Scott Murphy: NY Skyscrapers

Wolfgang Krisai: Manhattan vom Roosevelt-Island aus. Tuschestift, Buntstift. 2016.

Nach meinem New-York-Aufenthalt im Sommer 2016 kaufte ich mir diesen schönen Bildband über die Hochhäuser der Stadt.

Hochhäuser in Downtown und Midtown

Nach einer kurzen Einführung in die Entwicklung des Hochhausbaus in New York und Chicago, wo die ersten Hochhäuser gebaut wurden, folgt die Beschreibung der wichtigsten Bauten. Im ersten Drittel des Buches werden die Wolkenkratzer im Süden Manhattans betrachtet, wo übrigens sowohl die zerstörten Twin Towers wie auch die Neubebauung des World-Trade-Center-Areals vorgestellt werden.

Die nächsten zwei Drittel widmen sich den Hochhäusern in Midtown. Andere Hochhäuser, etwa in Brooklyn, werden nicht behandelt.

Ganz am Ende gibt es noch eine Doppelseite mit den spektakulärsten Hochhausprojekten der nächsten Jahre.

Dirk Stichweh überfrachtet seine Darstellung nicht mit technischen Details, sondern beschreibt die Aspekte der Bauten, die den Laien interessieren: die epochentypische oder -untypisch Gestalt, die Position im Ranking der höchsten, größten, teuersten oder aufregendsten Bauwerke, eventuelle baurechtliche Probleme, die Nutzung und – vor allem bei den neuesten Bauten wichtig – Fragen der Energieeffizienz und ökologischen Verträglichkeit.

Prächtige Fotos

Flächenmäßig wesentlich umfangreicher als der Text sind die prächtigen Fotos, die die einzelnen Bauten und gelegentlich als eingestreute Doppelseiten ganze Ensembles zeigen. Vorwiegend sieht man Außenansichten, manchmal Details aus dem Inneren. Erfreulicher Weise erheben die Fotos keinen selbstständigen künstlerischen Anspruch, sondern ordnen sich dem Zweck des Buches unter. Also keine großflächigen, monotonen Detailaufnahmen, sondern Gesamtansichten, soweit es bei der Dichte der Bebauung Manhattans überhaupt möglich ist, einen Wolkenkratzer ganz zu sehen. Viele der Bilder dürften auch aus dem Hubschrauber aufgenommen worden sein.

Dirk Stichweh (Text), Jörg Machirus, Scott Murphy (Fotos): NY Skyscrapers. Über den Dächern von New York City. Prestel-Verlag, München, London, New York, 2016. 190 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Manhattan vom Roosevelt-Island aus. Tuschestift, Buntstift. 2016.

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Karl Heinz Ritschel: Salzburg. Anmut und Macht

Wolfgang Krisai: Die Georg-Trakl-Alle von Alexander Steinwendtner in Salzburg Nonntal

Karl Heinz Ritschel, von 1964 bis 1995 Chefredakteur der Salzburger Nachrichten, hat eine ganze Menge Bücher über Salzburg geschrieben. Dieser kleine, aber dicke Band bietet eine kurzweilige und informative Zusammenschau und eignet sich damit bestens für das, was ich mit der Lektüre bezwecken wollte: meine Salzburg-Kenntnisse auffrischen und erweitern, anlässlich einer Projektwoche, die ich heuer begleitete. Was mir allerdings nicht gelungen ist: dieses Buch bereits vor der Projektwoche fertigzulesen. Jetzt, im Nachhinein, würde ich am liebsten gleich wieder hinfahren, um all das zu sehen, von dem Ritschel erzählt und das ich noch nicht wahrgenommen habe.

Salzburg von der Steinzeit bis heute

Das Buch verwendet die Geschichte Salzburgs von der Steinzeit bis in die Gegenwart als grobe Grundstruktur, weicht davon aber ab, wenn es angebracht ist. Die einzelnen Abschnitte sind jeweils einem Thema gewidmet, sei es einem Zeitabschnitt (etwa die Römerzeit), sei es einem Bauwerk (dem Dom) oder einer Persönlichkeit (natürlich: Mozart) oder gleich mehreren (den Bischöfen zwischen Marcus Sittikus und Colloredo, letzterem wird dann ein eigenes Kapitel gewidmet). Es sind bei weitem nicht nur die jetzt erwähnten herausragenden Themen, sondern viele, die nicht ganz so nahe liegen, man denke nur z. B. an die Erhardikirche in Nonntal, an den Arzt Paracelsus oder den Dichter Georg Trakl.

Von einem Salzburg-Fan für Salzburg-Fans

Das Buch schrieb ein Salzburg-Fan für Salzburg-Fans, daher werden die dunklen Kapitel der Salzburger Geschichte (die Vertreibung der Protestanten, der Bau der Staatsbrücke durch Kriegsgefangene im Zweiten Weltkrieg…) nicht breit ausgeführt.

Illustriert ist der Band mit Reproduktionen farbiger Kunstwerke, die Salzburg darstellen, von der Salzburg-Ansicht in Schedels Weltchronik bis zu einem Blick auf den Kapuzinerberg von Werner Otte (1922-1996).

Für Salzburg-Liebhaber ein äußerst lesenswertes Buch!

Karl Heinz Ritschel: Salzburg. Anmut und Macht. Verlag Anton Pustet, Salzburg – München, 1995. 480 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Die Georg-Trakl-Alle von Alexander Steinwendtner in Salzburg Nonntal. – Nicht im Buch, da erst 2014 aufgestellt, aber trotzdem sehenswert, zumindest für Trakl-Fans. Die „Allee“ aus mannshohen bedruckten Steintafeln befindet sich südlich des „Unipark Nonntal“.

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Theodor Fontane: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland

Wolfgang Krisai: Iona Abbey. Schwarze und weiße Kreide auf grauem Papier. 1992.

Mit dem Aufbau-Verlag verbinde ich: Gesamtausgaben. Noch zu DDR-Zeiten kauften sich „arme Studenten“ wie ich die im Westen um einen Pappenstiel zu habenden Ausgaben der „Bibliothek deutscher Klassiker“, doch auch nach der Wende und allerlei Turbulenzen, die das Flaggschiff der DDR-Verlagskultur erfassten, brachte Aufbau vor allem in den Neunziger Jahren schöne und gediegen gestaltete Gesamtausgaben heraus, etwa eine Dostojewski- oder eine Turgenjew-Ausgabe, auf dem Gebiet der deutschen Literatur eine Egon-Erwin-Kisch-Ausgabe oder eine E. T. A. Hoffmann-Ausgabe. All das ist Schnee von gestern und fast alles längst vergriffen.

„Große Brandenburger Ausgabe“

Das verlegerisch anspruchsvollste Vorhaben der damaligen Verlagsepoche war aber die „Große Brandenburger Ausgabe“ (GBA) der Sämtlichen Werke Theodor Fontanes. Wie es bei solchen Editionen normal ist, zieht sich ihr Erscheinen länger hin, als zunächst projektiert. Ich habe noch einen Verlagsprospekt dieser Ausgabe von 1994, in dessen „vorläufigem Editionsplan“ die „Reisebücher und Reiseberichte in 5 Bänden“ mit Erscheinungsdatum „ab 1999“ angegeben sind. Man ließ sich in weiser Voraussicht offen, wie lange das Projekt dauern werde.

Die maßgebliche Ausgabe

Jetzt, 2016, ist wieder ein Band erschienen, eben einer dieser Reiseberichte: „Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland.“ Nach der Lektüre kann ich sagen: Dies ist die Edition, in der man Fontanes Schottland-Reisebericht in Hinkunft lesen muss. – Warum?

Da ist zunächst die hervorragende gestalterische und buchbinderische Qualität des Bandes, die von der GBA-Edition sozusagen vorgegeben ist. Sogar der Schutzumschlag ist ganz im Stil der ersten GBA-Bände gehalten, wenn auch im Vergleich zu den Anfängen das neue Verlagssignet sich als stilistisch störendes Element auf die Titelseite gedrängt hat.

Der Kommentarteil

Zweitens: Wer das Buch lesen will, sollte eigentlich zuerst mit dem unglaublich genauen Kommentarteil beginnen, sich zumindest einen Überblick verschaffen, was dieser alles zu bieten hat. Da bleiben nämlich wirklich keine Wünsche offen:

Man erfährt die Entstehungsgeschichte des Buches, dem eine Reise zugrunde liegt, die Fontane vom 10. bis zum 24. August 1858 gemeinsam mit seinem Freund Bernhard von Lepel unternommen hat. Aus Geldmangel nicht realisierte Reisepläne werden geschildert, der Reisebegleiter vorgestellt, dann die Mühen der Abfassung des Berichts, die Quellen, die Fontane herangezogen hat, die Druckgeschichte in Zeitungen (wo das ganze Buch schon vorweg kapitelweise veröffentlicht wurde) und in Buchform (der Erstdruck erschien 1860 im Verlag von Julius Springer, Berlin), die Rezeption im In- und Ausland und natürlich alles Wichtige über die vorliegende Edition behandelt.

Keine Frage bleibt offen

Den Hauptteil des Kommentars nimmt der Stellenkommentar ein, der mich sehr positiv überrascht hat. Mit Stellenkommentaren anspruchsvoller Ausgaben ist es ja so eine Sache: Ausgerechnet jene Informationen, die man als interessierter Leser bräuchte, stehen meist nicht drin. Hier ist das nicht so. Von einfachen Worterklärungen (ich wusste z. B. nicht, was eine „Tabagie“ ist) bis zu Richtigstellungen Fontane’scher Ungenauigkeiten (derer es sehr viele gibt), von geographischen zu biographischen Informationen über alle vorkommenden Örtlich- und Persönlichkeiten bleibt nichts unerklärt.

Bemerkenswert ist auch das Personenregister, das mit Kurzbiographien der eingetragenen Personen aufwartet.

Das einzige, was mir gefehlt hat, ist eine genauere Landkarte dieser Reise (eine ganz einfache Überblickskarte ist auf Seite 277 zu finden). Möglicherweise rechnet der Verlag damit, dass ein moderner Leser ohnehin genau das tun wird, was ich tat: die Reise mit Google Maps zu verfolgen und von dort aus auch die Fotos der Sehenswürdigkeiten und Landschaften aufzurufen. Auch heute sind die Reiseziele Fontane noch Touristenmagneten und bestens erhalten.

15 Tage Reise – 260 Seiten Reisebericht

Schöpferische Arbeit bedeutet, aus „nichts“ etwas Großes zu machen. Im Falle Fontanes: aus 15 Tagen Reise ein 260 Seiten langes Buch.

Fontane muss schon an Ort und Stelle eifrigst Notizen gemacht haben. Die Herausgeber vermuten das jedenfalls, auch wenn kein Notizbuch erhalten geblieben ist. Darüber hinaus aber hat Fontane einige Quellen herangezogen, aus denen er zum Teil große Passagen abschrieb oder nacherzählte, ohne sie anzugeben, wenn es sich nicht gerade um Shakespeares „Macbeth“ oder ein Werk des verehrten Sir Walter Scott handelte. Diese Praxis war übrigens damals, belehrt der Kommentar, durchaus gängig. Fontane war da nicht immer ganz korrekt, im Kommentar werden die Fehler alle nachgewiesen. In der das Werk abschließenden schottischen Geschichtstabelle leistete sich Fontane übrigens besonders viele Fehler.

Das Buch ist also eine Mischung aus Schilderung persönlichen Erlebens, Sammlung interessanter Anekdoten und historischer Geschichten und Beschreibungen von Landschaften, Seen, Klöstern, Schlössern, Schlachtfeldern und Unterkünften.

Bahnfahrt in der Holzklasse

Nach einem kurzen Text an seinen Freund und Reisebegleiter Bernhard von Lepel beginnt Fontane mit einer witzigen Schilderung der nächtlichen Eisenbahnfahrt von London nach Edinburgh, die er mangels üppigen Reisebudgets in der billigsten Klasse machen musste. Statt aber in Edinburgh gerädert in ein Hotelbett zu sinken, beginnt er, kaum dass er sein Hotelzimmer bezogen hat, mit der Erkundung der Stadt. Gut vorbereitet, wie er offensichtlich war, findet er sofort die wichtigen Straßen und Plätze samt den an ihnen gelegenen Gebäuden.

Geschichte wird lebendig

Zu vielen erzählt er interessante Histörchen, wie sie vor Ort ein Führer zum besten geben würde. In der schottischen Geschichte und deren Darstellung in der Literatur, vor allem Walter Scotts, kennt Fontane sich sehr, sehr gut aus. Das macht mir größte Lust, selbst auch einmal Walter Scott zu lesen…

Ich war noch nie in Schottland, durch Fontanes Reisebericht steht mir nun aber dieses Land, zumindest in der Version von 1858, sehr deutlich vor Augen. Denn eins beherrscht der Autor: die lebendige und anschauliche Darstellung. Das macht die Lektüre zu einem Vergnügen.

Mit Fontane rauscht man von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit: Holyrood Palace, Edinburgh Castle und die Altstadt von Edinburgh nehmen die ersten 80 Seiten ein. Dann folgen das Schloss von Linlithgow, ein Ausflug nach Stirling und Loch Kathrine, dem Schauplatz von Scotts Versdichtung „The Lady of the Lake“ (deren Inhalt Fontane für den unwissenden Leser zusammenfasst), weiters Perth und die abenteuerliche Kutschfahrt nach Inverness.

Mit der Kutsche durchs schottische Hochland

Verkehrshistorisch ist das eine der spannendsten Stellen des Buchs: Von Perth fährt die Postkutsche um 11 Uhr vormittags ab. Fontane sitzt mit seinem Reisegefährten nicht im – teuren – Inneren der Kutsche, sondern auf einer der hinten oben im Freien befindlichen Bänke, die mit Fahrgästen dermaßen überfüllt sind, dass die am Rand sitzenden nur mehr mit der Hälfte ihres Gesäßes auf der Bank, mit der anderen in der Luft sitzen. Da diese Sitzweise nicht nur unbequem, sondern Kräfte zehrend ist, wechselt man sich ab, damit keiner von der Kutsche fällt. Solchermaßen überbesetzt rumpelt die vierspännige Kutsche durch die einsamsten Gegenden der schottischen Highlands in die Abenddämmerung hinein. Auch wenn sicher keine Straßenbeleuchtung vorhanden war, lässt sich das Gefährt durch die Dunkelheit nicht beeinträchtigen, sodass man schließlich um drei in der Nacht ziemlich durchgefroren die Stadt Inverness erreicht, wo man vor dem Union Hotel absteigt. Hier nun muss Fontane zugeben: „Die Strapazen am Tage vorher hatten uns einen langen und festen Schlaf eingetragen. Die Frühstücksstunde war längst vorüber, als wir im großen Speisesaal des Union-Hotels zu Inverneß erschienen, um unser Breakfast einzunehmen.“ (S. 164)

Schlachtfeld-Tourismus

In der Nähe von Inverness liegt das Schlachtfeld Culloden Moor. Eine Eigenheit damaligen Reisens, wohl nicht nur Fontanes, war es, Schlachtfelder zu besichtigen. Hier verlor „Bonnie Prince Charlie“ mit seinen Schottischen Mannen eine kurze, aber heftige Schlacht gegen die Engländer. Fontane schildert das Geschehen ausführlich.

Naturwunder und uralte Ruinen

Die Weiterreise erfolgt per Schiff den Kaledonischen Kanal hinab an die Westküste, wo Fontane dann einen Ausflugsdampfer besteigt (ein verdienstvoller Mr. Hutchinson hat das Gebiet mit seiner Flotte von Dampfern touristisch erschlossen) und zu den Inseln Staffa und Iona einen Tagesausflug macht. Staffa beeindruckt durch seine riesigen Brandungshöhlen im Basaltgestein, Iona hingegen durch die Ruinen seiner großen klösterlichen Vergangenheit, liegt hier doch die Wiege der anglo-irischen Christianisierung durch den heiligen Columban (im Register steht: „St. Columba (auch: Colum Cille, im Text: ‚Columban‘, geb. um 521, gest. 597); irischer Mönch u. Ordensgründer; ab 563 Missionar der Pikten; gründete ein Kloster auf der Insel Iona“ (S. 529)).

Schamlose Ausbeutung des Touristen

Mit knapper Not und nachdem ihm seine Zimmervermieterin einen horrenden Preis abgepresst hat (für den man lt. Kommentar in Edinburgh in einem Luxushotel hätte übernachten können) erreichen die beiden Reisegefährten am nächsten Morgen den Dampfer Richtung Glasgow. Diese Stadt wird allerdings nicht besichtigt, sondern der nördlich davon liegende Loch Lomond, der schönste See Schottlands.

Sir Walter Scotts Alterssitz

Per Bahn geht’s dann zurück nach Edinburgh, von wo aus noch zwei letzte Ziele angesteuert werden: Melrose Abbey, eine beeindruckende Klosterruine, und – krönender Abschluss für den Sir-Walter-Scott-Fan Theodor Fontane – Abbotsford: Scotts romantischer Alterssitz. Auch wenn Fontane mit der eklektizistischen Bauweise des Schlösschens nicht ganz zufrieden ist, so bedeutet es ihm doch sehr viel, hier auf den Spuren des verehrten Meisters zu wandeln.

Damit schließt das Buch. Die Rückreise zu beschreiben erübrigt sich, sie wird der Hinfahrt geähnelt haben.

Fontane über die Schulter schauen

Fazit: Wer Schottland kennt, wird diesen Reisebericht genießen, wer es, wie ich, nicht kennt, Lust auf eine Reise dorthin bekommen. Zudem bietet diese kommentierte Ausgabe die Möglichkeit, Fontane gleichsam über die Schulter zu schauen und Entstehung und Wirkung des Reisebuchs mitzuverfolgen und damit die Leistung Fontanes richtig einzuschätzen.

Theodor Fontane: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Hg. v. Maren Ermisch i. Zusammenarbeit m. d. Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Große Brandenburger Ausgabe; Das reiseliterarische Werk, Band 2. Aufbau-Verlag, Berlin, 2016. 564 Seiten, davon Text bis Seite 260.

Bild: Wolfgang Krisai: Iona Abbey. Schwarze und weiße Kreide auf grauem Papier. 1992.

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Anne und Olaf Meinhardt: Transsibirische Eisenbahn

Wolfgang Krisai: Wien Hauptbahnhof, Tuschestift, Buntstift, 2014.

Dieser Bildband über die Transsibirische Eisenbahn behandelt sowohl die Route von Moskau nach Peking über die Mongolei als auch die klassische Route nach Wladiwostok. Die Bahn durch die Mandschurei und die Baikal-Amur-Magistrale werden als Alternativrouten zumindest erwähnt.

Die Autorin und der Autor haben für das Buch ein halbes Jahr recherchiert, sodass es Impressionen vom Sommer wie vom Winter zu lesen und zu sehen gibt. Sie haben auch die unterschiedlichen Züge von den einfachsten Liegewagen bis zum Luxuszug „Zarengold“ ausprobiert.

Zu jedem wichtigen Ort an der Bahn haben sie Interessantes zu erzählen, sodass man Lust hätte, an allen diesen Orten ein, zwei Tage zu verbringen.

Natürlich wird auch die alte Baikalbahn, die heute noch mit Dampf-Sonderzügen aufwartet, beschrieben, da sie eine Touristenattraktion ist.

In Sonderkapiteln werden z. B. der Bau der Transsib, die russischen Straflager und ihre Rolle beim Eisenbahnbau, der Sonderzug „Zarengold“, das Eisenbahnmuseum in Nowosibirsk, die russisch-orthodoxe Kirche  oder die russische Küche vorgestellt.

Tolles Buch! Interessanter Text, wunderbare Bilder – die von einem  „typischen Mann“, dem immer wieder Frauen mit langen nackten Beinen ins Bild gelaufen sind, fotografiert wurden.

Anne und Olaf Meinhardt: Transsibirische Eisenbahn. Durch die russische Taiga zum Pazifik. Aktualisierte und überarbeitete Ausgabe. Bruckmann, München, 2014. 183 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Wien Hauptbahnhof, Tuschestift, Buntstift, 2014. – Von Wien aus könnte man per Bahn direkt zum Ausgangpunkt der Transsibirischen Eisenbahn fahren: mit dem Schlafwagen-Kurswagen der Rusisschen Eisenbahnen nach Moskau.

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Uwe Tellkamp: Die Schwebebahn. Dresdner Erkundungen

Wolfgang Krisai: Blick vom Biergarten am Dach des Yenidze in Dresden, Tuchestift, Buntstift; 2015.

In Dresden kaufte ich mir 2015 dieses schön gemachte Buch, in dem der Dresdner Uwe Tellkamp über seine Heimatstadt schreibt und zu dem der Dresdner Fotograf Werner Lieberknecht eine Menge Schwarzweißfotos beisteuerte.

Mühsam zu lesen

Das Buch hält aber leider nicht, was es auf den ersten Blick verspricht. Tellkamps Text ist – ganz im Gegensatz zu seinem wunderbar geschriebenen Roman „Der Turm“ – unsäglich mühsam zu lesen, und die Fotos sehen zwar gut aus, mehr als fast beliebige Impressionen aus Dresden sind sie aber auch nicht.

Was ist nun das Ärgerliche an Tellkamps Stil?

Er reiht und reiht und reiht Satzfetzen, fast wie Notizen und Stichwörter, aneinander, streut gelegentlich ein paar vollständige Sätze ein, und bald geht es wieder weiter in diesem Notizbuchstil. Oder es kommen gewaltige Satzmonster daher, ohne Rhythmus und Schwung, holprig, mit sperrigen Begriffen und nur Dresdnern geläufigen Bezeichnungen.

Ein beliebig herausgegriffenes Beispiel:

„Die Ostdeutschen hatten Hunger, kaum zu beängstigenden Freßgelagehunger nach Leben, nach Reisen. Sie wollten alles sehen, alles begreifen, alles nachholen, was sie versäumt hatten, alle Träume, und sofort, die in Hermann Haacks geographischen Atlanten eingesperrt gewesen waren. Ich hatte meinen Winkel auf dem Dachboden mit Landkarten tapeziert, dort hockte ich und reiste die schönsten Reisen der Welt, vor mir ein Lederkoffer, aus seinem Exil hinter den Tontöpfen gefischt, über und über bedeckt mit Hotelaufklebern in den musikalischen Farben der Belle Époque: Karl-May-Grün, das Ocker von Kairo, Wüstenblau, Weiß wie die Mauern der Souks, Indisch und Nanking-Gelb, Pompejanisch Rot, Amazonasfalter-Violett … Auf der Prager Straße lud ein Kran Container ab, Vorposten der Deutschen, Dresdner, Commerzbank. Begegnungen. Anna. Wir tanzen wie die Steptänzer, Fred Astaire ist gut, sehr gut sogar, dieser Kerl mit dem Heuschreckenleib und dem allzu bescheidenen Grinsen. Faunpalast, Parklichtspiele, Schauburg, der Fabelname eines längst geschlossenen Nickelodeons: Alabastra, Filmbühne Wölfnitz, die während einer Vorstellung abbrannte, die U. T.-Lichtspiele in der Waisenhausstraße, Dedrophon-Theater und Institut Kosmographia, Hansa-Lichtspiele … die Namen, die farbigen Traumschneisen, die die tschechischen und Ernemann-Projektoren ins erwartungsvolle Kinodunkel schlugen; Schwarzweißfilme im Hauptbahnhofkino, wo es orangefarbene Tapete gibt und eine Bommelmütze ein Heizungsleck abdichtet.“ (S. 97f)

Worum geht es inhaltlich?

Uwe Tellkamp präsentiert uns seine kunterbunt durcheinandergewürfelten Erinnerungen an das Dresden vor und kurz nach der Wende, die unverständlicher Weise „Erkundungen“ genannt werden. Er setzt dabei gewissermaßen voraus, dass wir seine engen Verwandten sind und daher ohnehin wissen, wie das so war, und uns daher mit ein paar andeutenden Stichwörtern zufriedener geben, als wenn er ausführlich schildern würde. Es tauchen alte Verwandte, Freunde, Lehrer, aber auch die Klavierlehrerin auf, daneben Dresdner Originale wie jene russische Matrone, die im Winter vor dem Heizhaus der russischen Kaserne stand. Die Mängelwirtschaft der letzten Jahre der DDR wird angedeutet, doch wirklich politisch wird das Buch zum Glück nie.

Durch die Andeutungstechnik ist es für den nun doch nicht mit Tellkamp verwandten Leser sehr schwer, in dem Wust den Durchblick zu behalten. Ich habe ihn jedenfalls verloren, weshalb mir weder das Figurenarsenal noch die Schauplätze, die ich von unserer kurzen Dresden-Reise zumindest oberflächlich kenne, lebendig geworden sind.

Tellkamp zuliebe und wegen der schönen Gestaltung des Buches – und aus Prinzip – biss ich mich bis zum Ende durch.

Uwe Tellkamp: Die Schwebebahn. Dresdner Erkundungen. Mit Fotografien von Werner Liederknecht. Insel-Verlag, Berlin, 4. Auflage, 2011. 165 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Blick vom Biergarten am Dach des Yenidze in Dresden, Tuchestift, Buntstift; 2015.

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Ursula Pfistermeister: Nürnberg

Wolfgang Krisai: Faber-Castell'sches Schloss in Stein bei Nürnberg. Gezeichnet mit Faber Castell PITT Artisti Pen black fine und Faber Castell Albrecht Dürer Farbstiften, 2016.

Dieses in 4., verbesserter Auflage 1991 erschienene Buch vermittelt einen interessanten Einblick Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg. Dabei ist der Aufbau höchst ungewöhnlich:

Eine Geschichte der Stadt in Zitaten

Zunächst sind auf 70 Seiten zahlreiche Zitate bedeutender Persönlichkeiten aus Nürnberg versammelt, die die verschiedensten Aspekte der Stadt behandeln. Dazwischen sind historische Ansichten der Stadt eingestreut.

Abbildungs- und Textteil

Danach folgen 60 Seiten, auf denen jeweils eine Seite erläuternder Text einer Farbabbildung gegenübersteht.

Schließlich folgt ein Informationsteil von weiteren 60 Seiten, wo Geschichte, Architektur, Musik, Brauchtum und Kulinarik überblicksmäßig behandelt werden.

Was ist mir besonders aufgefallen:

Blütezeit im Spätmittelalter

Nürnbergs Blütezeit waren das Spätmittelalter und die Renaissance. Man denke an Albrecht Dürer, Hartmut Schedels Weltchronik, Veit Stoß oder Adam Kraft. Kaiserliche Privilegien ließen den Handel und das Handwerk aufblühen, man war der zentrale Umschlagplatz des Fernhandels in Deutschland, metallverarbeitendes Handwerk brachte es zu höchster Blüte. Ein aus Patriziern gebildeter Stadtrat regiert offensichtlich mit großem Geschick.

Metropole der Bleistifterzeugung

Doch dieses Patriziat nützte im 17. und 18. Jahrhundert seine Rechte so sehr aus, dass die Mitbürger unter einer immensen Steuerlast zusammenzubrechen drohten. Wer irgendwie konnte, verließ die Stadt. Um 1800 war Nürnberg trotzdem de facto bankrott, Opfer der eigenen Misswirtschaft. Erst das 19. Jahrhundert, wo Nürnberg zu Bayern kam, brachte neuen Aufschwung. Man denke an die erste deutsche Eisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth oder an die Bleistifterzeugung von Faber-Castell.

Zu 90 Prozent zerstört

Im Zweiten Weltkrieg wurde die historische Altstadt von Nürnberg zu 90% zerstört, danach in Anlehnung an die historischen Gegebenheiten wieder aufgebaut. Das Buch weist immer wieder darauf hin, was von den heute bestehenden Bauwerken alt ist und was nach 1945 erneuert.

Ursula Pfistermeister: Nürnberg. Zauber einer unvergänglichen Stadt in Farbbildern und alten Stichen. 4., verb. Aufl., Carl-Verlag, Nürnberg, 1991. 199 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Faber-Castell’sches Schloss in Stein bei Nürnberg. Gezeichnet mit Faber Castell PITT Artisti Pen black fine und Faber Castell Albrecht Dürer Farbstiften, 2016. – In einem kleinen Nebengebäude des Schlosses befindet sich ein Paradies für Faber-Castell-Fans: der Faber-Castell-Shop. Mit Parkplatz davor. 

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