Archiv der Kategorie: Sachbuch

Gwendolyn Leick: Frankstraße 31

Auf der Buch Wien 2021 empfahl mir Herr Hammerbacher von der Edition Korrespondenzen wärmstens dieses Buch der in den 70er-Jahren nach England ausgewanderten Steirerin. Es ist nicht ihr erstes, aber ihr erstes auf Deutsch geschriebenes Buch.

In kurzen Kapiteln erzählt es über jenes Haus in der Frankstraße 31 in Graz, in dem die Autorin ihre Jugend verbrachte. Ihr Vater, ein Landarzt, war bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, die Mutter übersiedelte daraufhin mit den drei Kindern nach Graz in die größte Wohnung eines Mehrparteienhauses. 

Als Kind und Jugendliche erlebt man so ein Haus auf ganz spezielle Weise und hat daran natürlich auch viele Erinnerungen. Diese bilden einen wesentlichen Teil des Buchs, werden aber durch über das Gebäude extra recherchierte Informationen aufs Beste ergänzt, sodass man einen sehr guten Eindruck von dem Haus bekommt. Die Beschreibung beginnt – nach einleitenden Kapiteln – im Keller und arbeitet sich Stockwerk für Stockwerk bis zum Dachboden hinauf. Die Wohnungen der anderen Mieter*innen werden weniger genau beschrieben, da fehlte ja der nötige Einblick, doch die eigene Wohnung wird Raum für Raum vom Vorzimmer bis zur „Speis“(der Speise- oder Vorratskammer) wiederum in einzelnen Kapiteln detailliert behandelt. Obwohl es nur eine einzige Abbildung (einen Aufriss aus den ursprünglichen Architekten-Zeichnungen) gibt, habe ich im Nachhinein das Gefühl, das Buch müsse voller Abbildungen gewesen sein.

Leick, Gwendolyn: Frankstraße 31. Raumprosa. Reihe Konnex. Edition Korrespondenzen, Reto Ziegler, Wien, 2021.  126 Seiten, 1 Abbildung.

Bild: Wolfgang Krisai: Stadthäuser, Hofseite. Tuschestift, Buntstift, 2014.

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Meier, Mischa: Geschichte der Völkerwanderung

Bild: Wolfgang Krisai: Das Heidentor bei Petronell. Kohlezeichnung, 2005.

Das ist das dickste wissenschaftliche Buch zu einem geschichtlichen Thema, das ich je las. Es dauerte auch einige Zeit, bis ich fertig war, nämlich ein halbes Jahr. Allerdings las ich parallel dazu immer auch andere Bücher, setzte sogar zeitweise ganz mit der Lektüre aus.

Wandernde Heere

Ich hatte von der Völkerwanderung eine recht vage Vorstellung. Damit räumte Mischa Meier gründlich auf. Schon die Annahme, da seien irgendwelche Völker von der asiatischen Steppe oder anderen Ausgangsgebieten plötzlich aufgebrochen, jahrelang „gewandert“ und dann über das römische Weltreich hergefallen, ist ein Unsinn. Die Idee von „Völkern“ stammt aus Zeiten, wo der Nationalismus mit seinen Grundannahmen das Denken der Menschen und damit auch der Wissenschaftler einfärbte, hat aber keine historische Grundlage. Was da „wanderte“, waren mehr oder weniger große, mehr oder weniger heterogene Heere unter mehr oder weniger charismatischen und berühmten Heerführern wie etwa Attila. Je erfolgreicher diese Heere waren, desto mehr Kämpfer schlossen sich ihnen unterwegs an, sodass ziemlich bunte Truppen entstanden, deren Anführer unter immer ärgerem Erfolgsdruck standen. Blieb der Erfolg aus, zerfielen diese Heere samt ihrem Anhang manchmal sehr schnell, sodass „Völker“ mir nichts, dir nichts wieder aus der Weltgeschichte verschwinden.

Siedlungs- und Heiratspolitik

Einigen Heerführern allerdings gelang es, der Dynamik der ständigen Neueroberung und Weiterwanderung zu entkommen und ihre Leute im Gebiet des Römischen Weltreichs anzusiedeln. Besonders erfolgreich war da Theoderich der Große, der seine Ostgoten, nachdem sie Italien großteils erobert hatten, dort tatsächlich ansiedeln und ein über längere Zeit stabiles Ostgotenreich errichten konnte. Allerdings wechselte er nicht etwa die ansässige römische Bevölkerung gegen Ostgoten aus, sondern es kam zu einer Kooperation: Die Ostgoten bekamen Land von den Römern, natürlich nicht freiwillig, aber mit solchem Augenmaß, dass sowohl die Römer als auch die Goten ein Auskommen hatten. Außerdem versuchte Theoderich, durch eine geschickte Heiratspolitik ein internationales Beziehungsnetz mit anderen Reichen zu knüpfen, das sein Reich stabilisierte, ja, ihn zu einer Art Primus inter Pares machen sollte. Nach seinem Tod folgten allerdings nicht ganz so fähige Herrscher, sodass das Ostgotenreich schließlich erobert wurde – von den Franken, der aufstrebenden Großmacht am Ende der Völkerwanderung.

Auch Ostrom ausführlich behandelt

Meier greift in seiner Darstellung bis ins 3. Jahrhundert zurück und beendet sie mit dem 8. Jahrhundert. Man verfolgt die Entwicklung so bekannter „Völker“ wie der Ost- und Westgoten, der Hunnen, der Awaren, der Vandalen, der Burgunder und Franken, aber auch weniger geläufiger Gruppierungen wie der Terwingen, Greutungen, Sueben oder Thüringer. Doch auch wenn die westliche Hälfte des römischen Reiches die größere Aufmerksamkeit erfährt, weil sich da einfach mehr tut, behandelt Meier auch das Schicksal des Oströmischen Reiches in der genannten Zeitspanne sehr genau. Vor allem die ständige Verstrickung in Kriege mit den Sassaniden und deren Randvölkern, bis schließlich die Araber erstarken und die Sassaniden hinwegfegen, aber auch Ostrom herbe Verluste zufügen.

Attraktives Ziel für „Barbaren“

Die römische Strategie im Umgang mit Bedrohungen von Barbarenvölkern war, diese bereits vor den Grenzen des Reiches ruhigzustellen, indem man ihnen Fördergelder zukommen ließ, damit sie keinen Anlass mehr hätten, sich innerhalb der Grenzen des römischen Reiches bereichern zu wollen. Allerdings bewirkte diese Strategie auf längere Sicht ein Erstarken einzelner Fürsten, die dann wieder zur Gefahr werden konnten. Immerhin war das römische Reich ein äußerst attraktives Ziel für Barbaren (auch dieser Begriff wird natürlich in extenso problematisiert), denen nicht verborgen blieb, in welchem Wohlstand die Römer lebten, und die daher an diesem Reichtum partizipieren wollten. Waren die Barbaren nicht mehr „draußen“ zu halten, versuchten die Römer sie nach Möglichkeit in ihr Heer zu integrieren, sodass nicht selten Barbaren-Einheiten auf römischer Seite gegen ihre barbarischen „Volks“-Genossen auf der Gegenseite kämpften.

Problematische Quellenlage

Ein Problem, das Meier immer wieder ausführlich behandelt, ist die sehr mangelhafte Quellenlage. Barbarische Geschichtsschreibung gab es kaum, sodass der Historiker meist auf römische Quellen, archäologische Funde und neuerdings DNA-Analysen (die Verwandtschaften von Skeletten aus Gräbern nachweisen kann) angewiesen ist. Angesichts der spärlichen Quellen ist es geradezu erstaunlich, was man da alles herausbekommen hat. Meier weist immer wieder darauf hin, dass vielfach auch mehr herausgelesen wurde, als in den Quellen wirklich steht. Heute ist die Historiker-Zunft da wesentlich vorsichtiger als zu früheren Zeiten.

Schockierende Brutalität

Aufgrund der spärlichen Quellen ist es kein Wunder, dass Meier relativ wenig über Lebensweise, Alltag, Sitten und Kultur der Barbaren zu sagen hat. Am ehesten weiß man noch etwas von den Anführern. Schockierendes Detail zum Beispiel: Ein Westgotenkönig gibt seine Tochter einem Vandalenkönig zur Frau. Die Frau lässt sich irgendetwas zuschulden kommen (politisches Intrigantinnentum), sodass sie der Vandale als abschreckendes Beispiel nach Hause schickt: mit abgehackten Händen und abgeschnittenen Ohren und Nase, glaube ich mich zu erinnern (Meier erwähnt das mehrfach, meist aber nur summarisch: sie sei „verstümmelt“ worden; einmal jedoch wird er konkreter).

Dass man in diesem Zeitalter mit den Feinden oft nicht zimperlich umgegangen ist, darf einen nicht wundern. Immer wieder werden grausige Exempel statuiert, und zwar von allen Parteien. Andererseits verlaufen viele Feldzüge bei weitem weniger blutig, als man meinen könnte, weil oft noch rechtzeitig ein ordentlicher Geldfluss ausverhandelt werden konnte. Die Römer bemühten sich dabei immer, nicht als irgendjemandem tributpflichtig zu erscheinen.

Monumentales, aber lesbares Buch

Meiers monumentales Buch ist schwierig zu lesen, manche Formulierungen gehen einem mit der Zeit schon ein bisschen auf die Nerven (z. B. wird immer wieder irgendein Anführer, ein Heer oder gar ein ganzes Reich „niedergerungen“), aber insgesamt ist das Werk durchaus lesbar, sofern man eine gehörige Portion Konzentration und Durchhaltevermögen aufbringt. Man wird für die Anstrengung mit einem überaus differenzierten Bild einer Epoche belohnt, von der wohl die meisten Menschen – so wie ich – aus ihrer Schulzeit eine viel zu vereinfachende Vorstellung mitbringen.

Das Buch umfasst insgesamt 1530 Seiten, der Text reicht aber nur bis Seite 1103, danach folgen unendliche Mengen von Anmerkungen und ein äußerst umfangreiches Literaturverzeichnis. Solche Stoffmengen zu überblicken und daraus eine gute Gesamtdarstellung zu destillieren, ist eine Meisterleistung.

Mischa Meier: Geschichte der Völkerwanderung. Europa, Asien und Afrika vom 3. bis zum 8. Jahrhundert n. Chr. C. H. Beck, München, 2019. Reihe: Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung. 1530 Seiten, einige Abbildungen.

Bild: Wolfgang Krisai: Das Heidentor bei Petronell. Kohlezeichnung, 2005.

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Wissenschaft und Technik. Die illustrierte Weltgeschichte

Bild: Wolfgang Krisai: Wetterstation Hinterbrühl. 2014. Tuschestift, Bunstifte.

Die Geschichte der Wissenschaft und Technik ist faszinierend. In der Schule lernte ich einiges davon, aber seither hat sich viel getan, daher ist es kein Fehler, sein Wissen gelegentlich aufzufrischen und zu erweitern. Das habe ich jetzt über mehrer Monate mit der Lektüre des großformatigen Bildbandes „Wissenschaft & Technik. Die illustrierte Weltgeschichte“ aus dem Dorling-Kindersley-Verlag getan. 

Gut bebilderte Wissenschafts- und Technikgeschichte

Die DK-Bücher sind heute nicht mehr nur maßgeblich in der Kinder- und Jugendliteratur, sondern inzwischen auch bei Erwachsenen sehr beliebt, die von Kindheit an diese Form der Aufbereitung von Informationen gewohnt waren. Ich gehöre allerdings nicht zu diesem Typus, könnte also gerne weniger in Häppchen zerstückelte Texte lesen. Das DK-Informationsdesign zwingt den Leser nämlich ständig zu Suche, wo der Text weitergeht, und zu Entscheidungen, welches Zusatz-Kasterl oder welche ergänzende Biographie u. Ä. er als nächstes lesen will. Das braucht Zeit, wenn auch pro Entscheidung nur sehr wenig. Insgesamt macht es die Lektüre aber für mich mühsamer. Andererseits gibt es auf dem Markt keine ähnlich gut bebilderte Wissenschafts- und Technikgeschichte für den Laien, also habe ich mich für dieses Buch entschieden.

Mein Wissen erweitert

Ich kann hier nicht im Einzelnen aufzählen, was mir die Lektüre dieses Wälzers gebracht hat. Jedenfalls aber hat er mein Wissen erweitert, und ich hoffe, dass ich vieles davon auch länger im Gedächtnis behalten werden. 

Eines der letzten Kapitel ist jenes über die Entstehung von Epidemien. Das Buch entstand vor Corona, aber was der Welt mit Corona passiert ist, ist für die Wissenschaft ganz offensichtlich keine Überraschung gewesen, nur für die Öffentlichkeit, die dem Erkenntnisstand der Wissenschaft weit hinterherhinkt.

Umfangreiche Basisinformationen im Anhang

Das Buch bietet nach dem geschichtlichen Teil, der bis Seite 419 reicht, einen umfangreichen Anhang mit einer Übersicht über wissenschaftliche Basics, die man kennen sollte: Maßeinheiten, Grundinformationen zu allen möglichen Naturwissenschaften von der Astronomie bis zur Mathematik, und ganz am Schluss gibt es noch Kurzbiographien all jener Wissenschaftler, die im Buch zwar erwähnt, aber nicht durch eine Biographie im Hauptteil gewürdigt wurden.

Eigentlich ist es fast schade, dass ich das Buch jetzt wieder ins Regal stellen muss. Man sollte es als „Coffee-Table-Book“ herumliegen haben und dann und wann einen Blick hinein werfen…

Wissenschaft & Technik. Die illustrierte Weltgeschichte. Hg. v. Adam Hart-Davis. Dorling Kindersley / Penguin Random House, Aktualisierte deutsche Ausgabe, 2018. 512 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Wetterstation Hinterbrühl. 2014. Tuschestift, Bunstifte.

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Wolfgang Petritsch: Epochenwechsel

Bild: Wolfgang Krisai: Aquarell. 1987.

Der auf der politischen Bühne versierte Autor (er war z. B. zwischen 1999 und 2002 UNO-Repräsentant für Bosnien und Herzegowina) behandelt die politischen Veränderungen der letzten Jahre, wofür er bis zum Kalten Krieg ausholt. Vor allem die Zeit nach 1989 wird ausführlich und die Gegenwart besonders genau beschrieben und analysiert. Das Ergebnis ist nicht sehr beruhigend, aber Petritsch betreibt auch keine Panikmache.

China auf dem Weg zur Weltmacht

Er sieht China auf dem Vormarsch zur Weltmacht Nr. 1, und zwar auf wirtschaftlichem Weg, statt auf kriegerischem. Putin wiederum versucht trotz wirtschaftlicher Schwäche seines Landes Russland als Weltmacht wieder zu etablieren und gleichzeitig die EU und die USA zu destabilisieren, indem er subversive Mittel des Digitalzeitalters geschickt ausnützt. So soll Russland seine Finger im US-Wahlkampf genauso wie im Brexit-Votum der Briten drin gehabt haben. Trump und der Brexit sind in Petritschs Augen die größten Fehler der westlichen Welt, denn sie destabilisieren diese in einer Zeit, wo der Westen angesichts der Herausforderungen Türkei, Syrien, China und Russland stark sein müsste.

Digitale Total-Überwachung

Die politischen Auswirkungen von Digitalisierung, Internet und künstlicher Intelligenz seien noch nicht abzusehen, aber jedenfalls nicht so, dass da automatisch ein goldenes, demokratisches Zeitalter heraufdämmern würde. Im Gegenteil, China exerziert gerade vor, wie ein Land das Internet und die digitalen Überwachungsmöglichkeiten aller Art geschickt zur totalen Überwachung und Gängelung der eigenen Bevölkerung einsetzen kann und wird. 

Ein überaus interessantes und lehrreiches Buch.

Wolfgang Petritsch: Epochenwechsel. Unser digital-autoritäres Jahrhundert.  Mitarbeit: Philipp Freund. Brandstätter Verlag, Wien, 2018. 285 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Aquarell. 1987.

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Josef H. Reichholf, Johann Brandstetter: Symbiosen. Das erstaunliche Miteinander in der Natur.

Wolfgang Krisai: Mädchen mit Hund in der Dordogne. Tuschestift, Buntstifte, 2014.

Diesen Band kaufte ich mir – nach den „Haustieren“ –, weil ich vor einigen Jahren im Haus der Natur in Salzburg eine Ausstellung mit den Illustrationen Johann Brandstetters zu diesem Band gesehen habe.

Schön illustriert, aaaber …

Die Ausstellung war großartig, die Bilder sind es ebenfalls. Aaaaber: Die Originale sind etwa A2 groß, abgebildet sind sie jedoch etwa im Format A4. Da die Bilder viel ohnehin schon schwer lesbare Handschrift enthalten, die zu allem Überfluss noch mit Bleistift aufs Papier gehaucht ist, kann man die Schrift auf den Bildern im Buch einfach nicht lesen. Der Verlag hat sich auch nicht die Mühe gemacht, Teilvergrößerungen mit den Schriftpassagen abzubilden. Das ist ein wirklich ärgerlicher, schwerer Mangel dieses ansonsten großartigen Buches.

Im Endeffekt muss daher Reichholfs Text für sich stehen, die Illustrationen dienen nur der Trennung der Kapitel und der ganz, ganz oberflächlichen Hinführung zur jeweils veranschaulicht werden sollenden Symbiose.

Dreißig Symbiosen + eine, die nicht funktioniert

30 Symbiosen stellt Reichholf vor: den Honiganzeiger, der die Menschen für sich arbeiten lässt, „Rehe und Gänse auf weiter Flur“, natürlich „Mensch und Hund“, „Madenhacker, Büffel und Co.“, „Wildschweine und Trüffeln“, „Blüten und Insekten“, Blattschneiderameisen, Bromelienfröschchen (das sind knallrote, winzige Pfeilgiftfröschchen, die ihre Brut in den wassergefüllten Trichtern der Bromelien aufziehen), allerlei fleischfressende Pflanzen, diverse Symbiosen im Meer, die Flechten als Symbiose von Alge und Pilz und zuletzt, als 31., leider derzeit überhaupt nicht funktionierende Symbiose jene von „Stadt und Land“.

Was einem als Durchschnittsmensch der Gegenwart überhaupt nicht bewusst ist, wird in der 31. „Symbiose“ angerissen: Die moderne Argarindustrie (Landwirtschaft kann man das ja überhaupt nicht mehr nennen) ist die größte Bedrohung der Umwelt der Gegenwart. Vergiftung mit Pflanzenschutzgiften, extreme Überdüngung, Massentierhaltung, Rodung der Regenwälder für Sojaproduktion, deren Produkte in Europa an Tiere verfüttert werden, Überproduktion, Vernichtung von Lebensräumen für Wildtiere, usw. usw. usw. Unbemerkt und doch vor aller Augen wird der Planet von der Landwirtschaft ruiniert!

Man lernt und lernt und lernt

Reichholf erzählt über die Symbiosen so interessant und kurzweilig, wie man es sich nur wünschen kann. Man lernt und lernt und lernt dazu. Und genießt gleichzeitig die schöne, von Judith Schalanski gestaltete Aufmachung des Bandes.

Ich vergönne es dem Mattes & Seitz-Verlag, mit der Reihe „Naturkunden“ bis in die Mainstream-Buchhandlungen vorgedrungen zu sein.

Josef H. Reichholf, Johann Brandstetter: Symbiosen. Das erstaunliche Miteinander in der Natur. Reihe: Naturkunden Nr. 35, hg. v. Judith Schalanski, Mattes & Seitz, Berlin, 2016. 298 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Mädchen mit Hund in der Dordogne. Tuschestift, Buntstifte, 2014. – Mensch und Hund, auch das ist eine Symbiose.

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Die Rückkehr der Legion. Römisches Erbe in Oberösterreich. OÖ. Landesausstellung 2018, Katalog

Wolfgang Krisai: Römische Stadt am Magdalensberg, ca. 30. n. Chr. , Bleistift, 1997.

Ausstellungen verlocken oft, sich mit einer Materie näher zu befassen. Man kauft den Katalog – und liest ihn dann nicht. Denn eigentlich hätte man ihn VOR dem Ausstellungsbesuch schon lesen sollen, dann hätte man mehr von der Ausstellung gehabt. 

Ausstellungskatalog schon vor dem Ausstellungsbesuch gelesen

Erstmals habe ich nun tatsächlich einen Katalog bereits vor dem Ausstellungsbesuch gelesen, nämlich den zur oberösterreichischen Landesausstellung 2018 „Die Rückkehr der Legion. Römisches Erbe in Oberösterreich“ in Enns/Lauriacum, Schlögen und Oberranna.

Interessantes Begleitbuch zur Ausstellung

Dieses Buch ist eigentlich kein Katalog, wie man ihn kennt: die erste Hälfte eine Ansammlung staubtrocken geschriebener wissenschaftlicher Artikel, die zweite eine mehr oder weniger gut kommentierte Reproduktionensammlung der Ausstellungsobjekte. Für die Landesausstellung ist man einen bewusst anderen, an der Besucherin bzw. Leserin, am Besucher bzw. Leser orientierten Weg gegangen: Man produzierte ein interessantes, gut bebildertes Sachbuch für interessierte Laien, das Wissenschaft für NichtwissenschaftlerInnen erschließt. (Übrigens ist das Buch auch gar nicht so teuer wie sonst Kataloge von Ausstellungen dieses Kalibers: 18.- €.)

Moderne Archäologie

Was wird erschlossen:

Wie die moderne Archäologie überhaupt zu Ergebnissen kommt, nicht nur durch Grabungen, sondern auch durch verschiedene Formen nichtinvasiver Forschung wie Geomagnetik- und Georadar-Aufnahmen.

Überblicksmäßig erfährt man von der Herrschaft der Römer in Noricum.

Der Limes wird vorgestellt. 2018 hat man bei der UNESCO beantragt, die in Österreich gelegenen Teile des Limes als Weltkulturerbe aufzunehmen.  Das brachte auch der Archäologie großen Schwung, denn die Funde am Limes müssen ordentlich erschlossen sein, damit so ein Antrag fruchtet.

Enns = Lauriacum

In Lauriacum (heute: Enns) war in einem großen Kastell die Legio II. Italica stationiert. Rund um das Kastell gab es zivile Siedlungen und Gräberfelder, wie das auch in Carnuntum der Fall war.

Der Aufbau des Kastells wird genau dargestellt, das Leben darin und rundherum, Essen, Trinken, Baden (für die Römer besonders wichtig), die Haustiere, die Münzfunde, die Grabstelen (häufig sehr aussagekräftig), die Wandmalereien, deren Reste entdeckt wurden, die verschiedenen Handwerke, dabei vor allem die Ziegelhersteller; die Batterie von neun Kalkbrennöfen in unmittelbarer Lagernähe, von denen einer musterhaft ausgegraben wurde.

Schlüsse aus Grabfunden ziehen

Interessant auch, welche Schlüsse man aus Grabfunden ziehen kann und wie in einigen Fällen sogar Enthauptungen feststellbar sind. Ja, sogar aus Resten verbrannter Leichname kann man noch allerlei erschließen.

Relativ wenig erfährt man über die Religion, und das, obwohl in Lauriacum der Heilige Florian sein Martyrium hatte, worauf natürlich schon ausführlich eingegangen wird.

Genau erfahren wir, wie man heutzutage aus Schädelfunden das Aussehen der lebenden Menschen rekonstruieren kann, was am Beispiel einer Frau und eines Mannes gemacht wurde.

(In diesem Kapitel wird von einem Museum in Holland, „Hildes Haus“, berichtet, wo das Museumskonzept auf solchen Rekonstruktionen basiert. Das klingt sehr interessant.)

Schlögen und Oberranna: kleinere Fundstätten

Nach dem ausführlicheren Teil über Lauriacum behandelt das Buch die Fundstätten in Schlögen und Oberranna.

In Schlögen an der berühmten Donauschlinge befand sich ein kleineres römisches Kastell, das ziemlich genau erschlossen und ergraben werden konnte. Daneben gibt es zivile Bauten, wovon vor allem ein kleines römisches Badehaus, eine Mini-Therme gewissermaßen, im Mittelpunkt der jüngsten Forschungen stand. Die Ausgrabungsstätte wurde jetzt mit einem sogenannten Schutzbau überdacht und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Eine römische „Burg“

Das gleiche gilt für die überraschend gut erhaltenen Reste einer römischen „Burg“ mit vier dicken, runden Ecktürmen, dem „Burgus“ von Oberranna. Teile dieses Burgus waren jahrhundertelang der Keller eines Wirtshauses, das jedoch im 20. Jahrhundert zusperren musste und verfiel. Die Gemeinde Engelhartszell, auf deren Gebiet Oberranna liegt, konnte das Grundstück erwerben, das desolate Wirtshaus wurde abgerissen, der römische Unterbau ausgegraben und ebenfalls mit einem Schutzbau überdeckt. 

Blick aufs Umland

Das Buch blickt auch über die „Grenzen“ der Landesausstellung hinaus, indem es auf weitere Fundstätten in Österreich und Südbayern kurz eingeht: die Städte Iuvavum/Salzburg, Ovilava/Wels und Cetium/St. Pölten; auf die zahlreichen Vici (Dörfer) und die ebenso zahlreichen Villae Rusticae (Gutshöfe). Das Leben in römischen Bauernhöfen veranschaulicht übrigens ein ebenfalls erwähntes neues Römermuseum in Altheim.

Den Abschluss des Bandes bildet ein kursorischer Überblick über das heute noch lebendige römische „Erbe“, sei es in der Sprache, in der Architektur, der Literatur, der Badekultur („Thermen“ erfreuen sich heute größter Beliebtheit) oder dem Weinbau.

Die Abbildungen

Während die Texte der Kapitel sehr gelungen und leserfreundlich sind, hat das Buch eine schwache Seite: die Texte zu den Abbildungen. Diese sind manchmal zu knapp und zu ungenau, besonders dann, wenn etwa auf Landkarten verschiedenfärbige Grundrisse eingezeichnet sind – und man die Bedeutung der Farben nur erahnen kann. In einigen Karten ist zumindest die Kartenlegende des Originals mit abgebildet, sodass man mit einer Lupe lesen könnte, was da steht.

Sehr gut hingegen, dass abgebildete Inschriften prinzipiell mit einer die häufigen Abkürzungen vervollständigenden Umschrift und in deutscher Übersetzung versehen sind. Lateinkenntnisse braucht man also keine, obwohl mich die spannende Darstellung der römischen Welt bedauern lässt, dass ich im Lateinunterricht als Jugendlicher nicht besser aufgepasst habe…

Die Abbildungen selbst sind sehr interessant und instruktiv. Besonders anschaulich wird der Forschungsgegenstand durch die abgebildeten Computer-Rekonstruktionen des Bauwerke. Erhellend ist auch, dass immer wieder Fotos von den Grabungs- und sonstigen Forschungsarbeiten eingestreut sind.

Die Rückkehr der Legion. Römisches Erbe in Oberösterreich. OÖ. Landesausstellung 2018. Hrsg. v. Amt der OÖ. Landesreg., Direktion Kultur, Trauner Verlag, Linz, 2018. 263 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Römische Stadt am Magdalensberg, ca. 30. n. Chr. , Bleistift, 1997. Mit einem Bild von der Landesausstellung kann ich noch nicht aufwarten, ich war ja noch nicht dort, dafür habe ich mich selbst einmal als „Archäologe“ betätigt und mir zeichnerisch vorgestellt, wie die Ausgrabungsstätte am Kärntner Magdalensberg zur Römerzeit ausgesehen haben könnte.

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Olivier Kugler: Dem Krieg entronnen. Begegnungen mit Syrern auf der Flucht

Aus: Olivier Kugler: Dem Krieg entronnen. Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Edition Moderne, Zürich.

Ein außergewöhnliches Buch! Eines, das man zu Pflichtlektüre für alle machen will, damit jede/r die Situation syrischer Flüchtlinge besser versteht.

Bekanntschaft mit Betroffenen

Am besten kann man Verständnis wecken, wenn man eine Bekanntschaft mit Betroffenen vermitteln kann. Und genau das macht diese „gezeichnete Reportage“ über syrische Flüchtlinge. Der deutsch Reportagenzeichner (ja, so etwas gibt es!) Kugler fuhr im Auftrag von Ärzte ohne Grenzen in Flüchtlingslager und sprach dort mit Flüchtlingen und Betreuern und macht Fotos, nach denen er später seine Zeichnungen anfertigte.

Gezeichnete Reportage

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Das Buch ist keine Graphic Novel im strengen Sinne, denn es enthält keine mittels Panels erzählten Geschichten, sondern jede Doppelseite ist ein großes Panel, in dem Bild und Text bunt zusammengewürfelt sind. Damit man die Orientierung nicht verliert, geben Nummern, Pfeile und Zeichen die Leserichtung an.

Die Bilder sind zu Teil wie durchsichtig, zum Teil richtig „ausgemalt“ (digital natürlich), zum Teil aber nur mit Farbflächen unterlegt. Das ergibt ein wunderbares Spiel von Farben und Formen.

Aus: Olivier Kugler: Dem Krieg entronnen. Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Edition Moderne, Zürich.

Flüchtlinge im Irak, in Griechenland, Frankreich, England und Deutschland

Der erste, längste Teil, befasst sich mit EinwohnerInnen des Flüchtlingslagers Domiz nördlich von Mossul im kurdischen Teil des Iraks. Kugler stellt zuerst die Mitglieder des psychologischen Teams von „Medicins sans frontières“ (MSF) vor, danach widmet er sich den Flüchtlingen, zum Beispiel dem Imbissbudenbesitzer Muhamad, dem Fernsehtechniker Habib, der jungen Mutter Vian, den Hirten Muhamed und Muhamed, dem Sound-System-Verleiher Djwan. Die Lagerbewohner versuchen ja, obwohl sie unter Slum-ähnlichen Bedingungen wohnen, eine Art „normales Leben“ aufrecht zu erhalten, wo auch manchmal ein Fest gefeiert wird, wofür eine Soundanlage gemietet wird. Jeder aber trägt ein furchtbares Schicksal und erzählt von den Schrecken des Krieges, der Flucht und der Asylsuche. Das ist ergreifend.

Aus: Olivier Kugler: Dem Krieg entronnen. Mit freundlicher Genehmigung des Verlags  Edition Moderne, Zürich.

Nach dem Irak kommt die griechische Insel Kos an die Reihe: mit dem Modedesigner Rezan oder dem Medizinstudenten Omar, der 17jährigen Schülerin Noura oder der jungen Mutter und Physikstudentin Amira.

Auch dem „Dschungel“ von Calais ist ein Kapitel gewidmet, eines, das uns die Jämmerlichkeit und Unmenschlichkeit unserer westlichen Flüchtlingspolitik besonders deutlich vor Augen führt.

Die beiden abschließenden Kapitel befassen sich mit Menschen, die schon Asyl und Unterkunft gefunden haben: eine Familie in Birmingham, die Anästesistin Dr. Waffa in London und eine Familie in Simmozheim im Schwarzwald, wo Olivier Kugler herstammt.

Ein Meisterwerk

Zwischen die großen Kapitel sind Informationsseiten gestellt, die über die heutige Situation in den jeweiligen Orten informieren.

Alles ist sehr eingängig geschrieben, man ist sozusagen mit dabei, wie es sich für eine Reportage gehört. Ein Meisterwerk.

Olivier Kugler: Dem Krieg entronnen. Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Edition Moderne, Zürich.Olivier Kugler: Dem Krieg entronnen. Begegnungen mit Syrern auf der Flucht. Edition Moderne, Zürich, 2017. 80 Seiten. Durchgehend farbig illustriert.

Veröffentlichung der Bilder mit freundlicher Genehmigung des Verlags Edition Moderne, Zürich.

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Walter von Zur Westen: Exlibris

Exlibris des Hieronymus Baumgartner, gestochen von Bartel Beham, Abdruck von der Originalplatte (Kupferstich).

Von einer Kollegin bekam ich das mehr als hundert Jahre alte Buch „Exlibris“ von Walter von Zur Westen geschenkt. Es gibt einen Überblick über die Kultur des Exlibris, die praktisch gleichzeitig mit dem Buchdruck entstand und bis zum Erscheinen dieses Buches 1901 andauerte, wenn auch mit regionalen Unterschieden.

Exlibris Land für Land

Nach einer allgemeinen Einführung behandelt Zur Westen die einzelnen Länder chronologisch, natürlich mit Schwerpunkt auf Deutschland. Österreich wird stiefmütterlich behandelt.

Das Prunkstück

Ein Abzug von der Originalplatte des Exlibris des Hieronymus Baumgartner, gestochen von Bartel Beham im 16. Jahrhundert, ist das Prunkstück des Bandes.

Dass die Exlibris im Normalfall schwarzweiße Kupferstiche oder Holzschnitte waren, kommt der Drucktechnik des Buches sehr entgegen. Dennoch sind einige Farbabbildungen eingestreut.

Im Mittelalter gab es selten Besitzereinträge in Büchern, und wenn, dann handschriftlich.

Wappen, Allegorien, lesende Mädchen

Inhaltlich beliebt sind Exlibris mit dem Wappen des Besitzers, gelegentlich mit einem Porträt, häufig mit allegorischen Darstellungen. Im 18. und 19. Jh. sind auch lesende Mädchenfiguren mit leicht erotischen Einschlag sehr beliebt, was von Zur Westen naserümpfend zur Kenntnis bringt.

Ein Genuss zum Betrachten

Für mich war die Lektüre großteils ein Genuss, vor allem aber das Betrachten der schönen abgedruckten Beispiele. Und die Aufmachung dieser Velhagen & Klasing-Bände liebe ich sowieso.

Walter von Zur Westen: Exlibris (Bucheignerzeichen). Mit 6 Kunstbeilagen und 164 Abbildungen. Bielefeld und Leipzig, Verlag Velhagen & Klasing, 1901. Reihe: Sammlung Illustrierter Monographien 4. 103 Seiten.

Das Bild stammt diesmal nicht von mir, sondern ist eben jenes Prunkstück des Bandes: das Exlibris des Hieronymus Baumgartner, gestochen von Bartel Beham, Abdruck von der Originalplatte (Kupferstich).

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Schatzkammer des Wissens. 650 Jahre Österreichische Nationalbibliothek

Wolfgang Krisai: Prunksaal der Österreichischen Nationalbiliothek. Tuschestift und Buntstift, 2015.

Die Österreichische Nationalbibliothek nimmt als ihr Gründungsjahr das Jahr 1368 an – als das Evangeliar des Johannes von Troppau fertiggestellt wurde (einen wirklichen Gründungsakt gibt es nämlich nicht). Aus diesem Anlass ist im Prunksaal heuer das ganze Jahr lang (vom 26. 1. 2018 bis 13. 1. 2019) die Ausstellung „Schatzkammer des Wissens. 650 Jahre Österreichische Nationalbiliothek“ zu sehen. Ich besuchte sie gleich in den ersten Tagen, kaufte den Ausstellungskatalog und las ihn innerhalb weniger Tage.

Essayistische Beleuchtung von allen Seiten

Eine Reihe von Essays beschreibt einerseits die Entwicklungsschritte der Nationalbibliothek von der Habsburgischen Büchersammlung über die Hofbibliothek bis zur Nationalbilbiothek von heute und der Zukunft, andererseits die verschiedenen Teilinstitutionen wie den Prunksaal, die Kartensammlung, die Papyrussammlung, die Plansprachen-Sammlung oder das Literaturmuseum (der zugehörige Essay hat aber mit dem Museum nichts zu tun, sondern behandelt nur einige Manuskripte von Musil, Doderer, Bachmann und Handke – in meinen Augen der am wenigsten informative Teil des Katalogs). Eigene Kapitel sind dem „Bibliotheksstück“ oder der Zensur gewidmet. Eines befasst sich mit der Bibliothek in und nach der NS-Zeit, wo an die 200000 Bücher und Sammlungsobjekte illegal in die Bibliothek gelangten, von denen bislang rund 50000 wieder an die Erben der damaligen Eigentümer restituiert wurden. Da damals die requirierten Bücher gleich lastwagenweise herangekarrt wurden, konnte und wollte man über die genaue Herkunft meist nicht Buch führen, sodass heute eine Restitution unmöglich ist.

Bedeutende Bibliothekare

Große Persönlichkeiten unter den Bibliothekaren waren:

der erste Bibliothekar Hugo Blotius (1533-1608), der 1575 zum Hofbibliothekar ernannt wurde und gleich neben den über dem damals noch vorhandenen Kreuzgang des Minoritenklosters untergebrachten Buchbeständen wohnte;

Gerard van Swieten und sein Sohn Gottfried in der Zeit Maria Theresias und der Aufklärung;

Josef Bick (1880-1952), der der bedeutendste österreichische Bibliothekar des 20. Jahrhunderts war und die NB von 1923-38 und 1945-49 leitete.

Platzmangel durch die Jahrhunderte

Durch die Jahrhunderte zogen sich die immer gleichen Probleme:

Platzmangel für die Bücher: Das beginnt mit Lächerlichkeiten wie der Tatsache, dass man zu Blotius’ Zeiten gar keinen separaten Eingang in die Bibliothek hatte, sondern entweder durchs Minoritenkloster oder die Privatwohnung des Direktors eintreten musste. Es setzt sich fort mit dem immer gleichen Problem jeder noch so zukunftsweisenden Erweiterung: schon wenige Jahrzehnte nach dem Bau des Prunksaals war dieser für die Bücher zu klein, genauso wie der moderne Tiefspeicher inzwischen auch schon voll ist.

Platzmangel für die Leser: Schon früh wurden die Bestände der Hofbibliothek auch der interessierten (zunächst nur männlichen) Öffentlichkeit zugänglich gemacht, aber es gab keine richtigen Lesesäle, sondern man musste sich mit ungeeigneten Räumlichkeiten behelfen, wo zu wenig Platz für die nötigen Tische war. Allmählich erkämpften sich die Direktoren größere Räume, wovon der Augustiner-Lesesaal der heute noch markanteste ist, wenn man von der gewaltigen Erweiterung in den 1960er-Jahren absieht, wo die NB in die Neue Hofburg „hineinwuchs“ mit den von Theiss, Jaksch & Jaksch adaptierten Räumen und der von Margret Gressenbauer-Scherer eigens designten Inneneinrichtung. Die ganz große Lösung war das nicht. Diese wäre ein völliger Bibliotheksneubau gewesen, wie ihn Werner Theiss entworfen hatte: ein radförmiger Gebäudekomplex mit einem Hochhaus in der Mitte, in dem in den oberen Stockwerken die Bücher gespeichert werden sollten, während in den Speichen die Lesesäle und im Rad selbst alle administrativen Räume untergebracht werden sollten. Das wäre eine Sehenswürdigkeit erster Güte geworden…

Wenig informativer Katalogteil

Seltsam uninformativ ist dann der eigentliche Katalogteil ausgefallen, der sich bescheiden „Anhang“ nennt und kaum mehr als eine Auflistung der Exponate ist. Das ist ärgerlich, denn zu vielen der Exponate hätte ich gerne eine ausführlichere Erläuterung und eine größere Abbildung gehabt.

Objekte des Monats

Eine Besonderheit der Ausstellung sind die „Objekte des Monats“. Diese Kostbarkeiten können im Original nicht während der ganzen einjährigen Ausstellungsdauer gezeigt werden, sondern sind jeweils nur ein Monat zu sehen. Nach dem nur wenige Tage ausgestellten Evangeliar des Johannes von Troppau sind das etwa ein antiker Papyrus, die Tabula Peutingeriana, eine Gutenbergbibel oder ein Aquarell von Jakob Alt. Diese Objekte sind alle im Katalog abgebildet.

Schatzkammer des Wissens. 650 Jahre Österreichische Nationalbibliothek. [Ausstellungskatalog.] Hg. v. Johanna Rachinger. Kremayr & Scheriau, Wien, 2018. 255 Seiten, viele Abbildungen.

Bild: Wolfgang Krisai: Prunksaal der Österreichischen Nationalbiliothek. Tuschestift und Buntstift, 2015.

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Dirk Stichweh, Jörg Machirus, Scott Murphy: NY Skyscrapers

Wolfgang Krisai: Manhattan vom Roosevelt-Island aus. Tuschestift, Buntstift. 2016.

Nach meinem New-York-Aufenthalt im Sommer 2016 kaufte ich mir diesen schönen Bildband über die Hochhäuser der Stadt.

Hochhäuser in Downtown und Midtown

Nach einer kurzen Einführung in die Entwicklung des Hochhausbaus in New York und Chicago, wo die ersten Hochhäuser gebaut wurden, folgt die Beschreibung der wichtigsten Bauten. Im ersten Drittel des Buches werden die Wolkenkratzer im Süden Manhattans betrachtet, wo übrigens sowohl die zerstörten Twin Towers wie auch die Neubebauung des World-Trade-Center-Areals vorgestellt werden.

Die nächsten zwei Drittel widmen sich den Hochhäusern in Midtown. Andere Hochhäuser, etwa in Brooklyn, werden nicht behandelt.

Ganz am Ende gibt es noch eine Doppelseite mit den spektakulärsten Hochhausprojekten der nächsten Jahre.

Dirk Stichweh überfrachtet seine Darstellung nicht mit technischen Details, sondern beschreibt die Aspekte der Bauten, die den Laien interessieren: die epochentypische oder -untypisch Gestalt, die Position im Ranking der höchsten, größten, teuersten oder aufregendsten Bauwerke, eventuelle baurechtliche Probleme, die Nutzung und – vor allem bei den neuesten Bauten wichtig – Fragen der Energieeffizienz und ökologischen Verträglichkeit.

Prächtige Fotos

Flächenmäßig wesentlich umfangreicher als der Text sind die prächtigen Fotos, die die einzelnen Bauten und gelegentlich als eingestreute Doppelseiten ganze Ensembles zeigen. Vorwiegend sieht man Außenansichten, manchmal Details aus dem Inneren. Erfreulicher Weise erheben die Fotos keinen selbstständigen künstlerischen Anspruch, sondern ordnen sich dem Zweck des Buches unter. Also keine großflächigen, monotonen Detailaufnahmen, sondern Gesamtansichten, soweit es bei der Dichte der Bebauung Manhattans überhaupt möglich ist, einen Wolkenkratzer ganz zu sehen. Viele der Bilder dürften auch aus dem Hubschrauber aufgenommen worden sein.

Dirk Stichweh (Text), Jörg Machirus, Scott Murphy (Fotos): NY Skyscrapers. Über den Dächern von New York City. Prestel-Verlag, München, London, New York, 2016. 190 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Manhattan vom Roosevelt-Island aus. Tuschestift, Buntstift. 2016.

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