Archiv der Kategorie: Schweizer Literatur

Franz Hohler: Alt? Gedichte

Wolfgang Krisai: Leser in der Wiener Städtischen Bücherei. Bleistiftskizze, 2015.

Ich muss vorausschicken: Ich habe schon einige Bücher Franz Hohlers mit großem Genuss gelesen (und hier und hier rezensiert) und ihn selbst einmal bei einer Lesung erlebt, wo er – verdientermaßen – den größten Applaus geerntet hat, den ich je bei einer Autorenlesung erlebt habe.

Vor einiger Zeit kam mir sein Buch „Alt? Gedichte“ in einer großen Wiener Buchhandlung unter. Ich las den Anfang des ersten Gedichts, in dem es, wie der Titel schon ankündigt, ums Alt-Sein geht, und schreckte zurück.

Offenbar ging es anderen Leuten auch so, denn vor ein paar Tagen fand ich das Buch in derselben Buchhandlung im Flohmarkt-Kistl. Diesmal nahm ich es. Und las es sofort. Stellte dabei fest, dass nur das erste Gedicht ausschließlich vom Alt-Werden handelt, während die anderen zwar auch die Lebenssituation eines älteren Menschen reflektieren, aber immer um irgendwelche interessanten Themen abseits vom bloßen Alt-Werden kreisen. Zum Beispiel um öffentliche Verkehrsmittel, um ökologische Fragen – oder es sind gar Übersetzungen bekannter Gedichte ins Schwyzerdytsch, was für den Nicht-Schweizer wahrscheinlich noch amüsanter ist als für den, der diese Sprache spricht.

Viele der Gedichte sind von leisem Humor durchzogen, einige wirklich lustig. Späte Erkenntnis also: ein lesenswerter Band.

Franz Hohler: Alt? Gedichte. Luchterhand-Literaturverlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München, 2017. 90 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Leser in der Wiener Städtischen Bücherei. Bleistiftskizze, 2015.

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Franz Hohler: Gleis 4

Wolfgang Krisai: Abstellgleise am Bahnhof Mödling.

Wolfgang Krisai: Abstellgleise am Bahnhof Mödling. 12. 1. 2014.

Kürzlich trat die Zeitschrift „Bücher“ an mich heran, ob ich nicht für die Rubrik „Blogger über Bücher“ eine Rezension schreiben wolle. Ich sagte zu, und im jetzt erschienenen Heft April/Mai 2014 steht auf Seite 43 mein Text. Er durfte nur 1100 Zeichen lang sein. Hier im Blog bin ich nicht auf diese Kürze beschränkt, daher folgt jetzt die „Langfassung“ meiner Rezension von Franz Hohlers Roman „Gleis 4“:

So etwas wie ein Krimi über Waisenkinder

Franz Hohler kann ein zu Lachkrämpfen animierender Humorist sein, dieser Roman aber ist ernst und macht bewusst, unter welch erniedrigenden Umständen auch in der Schweiz noch der Fünfzigerjahre Waisenkinder leben mussten.

Allerdings braucht es lang, bis man hinter dieses Anliegen des Buchs kommt, denn zunächst lässt es sich wie ein Krimi an. Auf dem Zürcher Bahnhof wird die Altenpflegerin Isabelle, die gerade zögert, einen schweren Koffer die Stiegen hinaufzuschleppen, von einem freundlichen Herrn gefragt, ob er ihr den Koffer tragen dürfe. Sie lehnt nicht ab – und damit nimmt eine überraschende Handlung ihren Lauf.

Am oberen Ende der Stiege klappt der Herr nämlich plötzlich zusammen und ist tot. Sein letztes Wort: „Bitte…“. Rettung, Polizei. Einvernahme. Da Isabelle ein wenig verwirrt ist, vergisst sie ganz, der Polizei eine Mappe des Verstorbenen auszuhändigen, die noch auf ihrem Koffer liegt. So gelangt die Mappe in Isabelles Hände, die sie zunächst auf den Flughafen mitnimmt, wo ihr Flugzeug aber schon abgeflogen ist. Kurzerhand bläst sie den ganzen Urlaub ab, zu dem sie aufbrechen wollte, und bleibt zu Hause.

Am Abend läutet ein Handy – in der ominösen Mappe des Fremden. Isabelle lädt es auf, da es fast keinen Akku mehr hat. Als weitere Anrufe kommen, hebt sie ab und hört eine mürrische Männerstimme, sie solle Marcel ausrichten, er solle sich in Nordheim nicht blicken lassen.

Nordheim ist aber der Zürcher Friedhof. Isabelle geht am nächsten Tag hin, zu drei Begräbnissen – und beim dritten wird sie fündig: Ein finsterer Herr fragt sie, was sie da zu suchen habe, und sie sagt, sie sei die Freundin von Marcel, den sie hier vertrete. Es fehlt wenig, dass der Kerl handgreiflich wird.

Von der Polizei erfährt Isabelle, dass der Tote identifiziert wurde, seltsamer Weise als ein Martin Blancpain aus Kanada, und seine Frau Véronique bereits auf dem Weg in die Schweiz sei. Mit dieser trifft sich Isabelle, und die beiden freunden sich ein wenig an. Und machen sich gemeinsam daran, in die Véronique gänzlich unbekannte Vergangenheit Blancpains einzudringen. Isabelles halbafrikanische Tochter Sarah hilft den beiden dabei.

Schritt für Schritt kommt nun eine „dunkle Vergangenheit“ des Toten zu Tage, deren böse Schatten schließlich aber nicht ihn, sondern seine „Brüder“ treffen.

Leise Irritationen

Hohler erzählt alles in knapper, klarer Sprache, die man schnell liest. Die Handlung packt durch ihre leisen Irritationen: Warum gibt Isabelle die Mappe nicht gleich zur Polizei? Warum lässt sie sich auf die Telefonate mit dem fremden Handy ein?

Bald keimt im Leser der Verdacht, dass Isabelle vielleicht doch nicht ganz zufällig mit Marcel zusammengetroffen sei…

Franz Hohler: Gleis 4. Roman. Luchterhand, München, 2013. 220 Seiten.

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Lesung Franz Hohler

Wolfgang Krisai: Skizze Franz Hohler. Bleistift.

Wolfgang Krisai: Skizze Franz Hohler. Bleistift.

Am Mittwoch, dem 24. April, besuchte ich in der Städtischen Bücherei eine Lesung des heuer 70 gewordenen Schweizer Autors Franz Hohler, von dem ich zwei Bücher habe: „Es klopft“ und „52 Wanderungen“.

Die Lesung war ein unglaubliches Vergnügen: Hohler versteht es, seine Geschichten durch einen überaus lebendigen Vortrag in ihrer Qualität und vor allem in ihrem hintergründigen Humor noch zu verstärken, sodass ich buchstäblich Tränen lachen musste. Eine Formulierung besser als die andere. Jede Geschichte strotzt vor skurriler Einfälle. Hohler ist also, mehr als mir das bisher bewusst war, – zumindest auch – ein surrealistischer Humorist.

Nachdem er zwei längere Erzählungen vorgelesen hatte (Zweck der Lesung war ja, den neu erschienen Sammelband „Der Geisterfahrer“ mit seinen „Längeren Erzählungen“ zu promoten), wurde er von einem Ö1-Literaturjournalisten sehr interessant befragt und ließ sich gerne in die Karten schauen.

Während der Lesung fotografierte ich und zeichnete ich fünf Portraitskizzen.

Zum Schluss gab es verdientermaßen den längsten Applaus, den ich je bei einer Dichterlesung erlebt habe. Hohler gab denn auch noch einen kurzen Text als „Draufgabe“ zum besten und erntete nochmals frenetischen Applaus.

Ich ließ meine beiden Bände signieren, schulterte mein Buchpaket und strebte nach Hause…

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