Arno Schmidt: Zettels Traum – erste Hälfte

Arno Schmidts "Zettels Traum" liegt ganz oben auf dem Regal, noch im Überkarton.Jetzt muss ich die Katze endlich einmal aus dem Sack lassen, da ich ja schon seit einigen Wochen in meinen PS von einem großen Leseprojekt rede, das mich derzeit beschäftigt. Es ist: Arno Schmidt: „Zettels Traum“, der umfangreichste Roman, der in meiner Bibliothek steht – bzw. liegt. Denn das riesige Format kann man nicht sinnvoll in ein Regal stellen, zumal ich die alte Studienausgabe in 8 broschierten Heften besitze, die aufrechtes Stehen auf die Dauer nicht aushalten würden. Und ich hasse nichts mehr als vom Stehen schief gewordene Bücher.

Folglich liegt „Zettels Traum“ bei mir seit knapp 30 Jahren ganz oben auf dem Bücherregal, als stiller Vorwurf, warum ich nicht endlich die Lektüre beginne. Ein Lese-Aufschieberitis-Zustand, der nicht länger tragbar war, zumal im Schmidt-Jubiläumsjahr, sodass ich mir vor einigen Wochen, mitten im Matura-Stress, ein Herz genommen und begonnen habe. (Arge Stress-Situationen sind bei mir immer gut für dicke Bücher.) Außerdem bin ich im Titelbild dieses Blogs ja mit einem Heft von „Zettels Traum“ zu sehen. Bisher war das Hochstapelei, was sich nun langsam ändert.

Schmidt, dessen „kleinere Werke“ ich ja schon lange alle gelesen habe, wollte mit dem „Zettel“ wohl den größten Roman der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts schaffen. Was Format, Textmenge und Schwierigkeitsgrad betrifft, ist es ihm gelungen. Inzwischen bin ich etwa in der Mitte der 1330 dreispaltigen A3-Seiten angelangt und kann so ein Urteil schon fällen.

Zettels Traum: DoppelseiteAuffällig ist zunächst die äußere Form: Der Text steht in drei Spalten, eine davon, meist befindet sie sich in der Mitte, ist breiter und enthält die Haupthandlung, die anderen beiden sind schmälere Spalten für Ergänzungen aller Art. Ich lese die mittlere immer, überspringe aber manchmal etwas an den Seiten, muss ich zugeben.

Sieht man näher hin, fällt auf, dass kaum ein Wort in normaler Orthografie geschrieben ist. Das kennt man ja von Arno Schmidts früheren Werken, hier aber ist es zur wortzyklopischen Gewaltleistung angeschwollen, die wohl nicht mehr überboten werden kann. Dabei wird kein einziges Mal eine bedeutungs-lose Veränderung vorgenommen, sondern diese „Verschreibungen“ dienen immer dem Zweck, verborgene Bedeutungen sichtbar zu machen.

Misstrauen gegen traditionelles Erzählen 

Schmidt steht mit diesem Roman ganz im 20. Jahrhundert, dem Jahrhundert des Misstrauens gegenüber dem traditionellen Erzählen. Bei Joyces „Ulysses“ oder Prousts „Recherche“ hatten wir ja schon Produkte, die aus diesem Misstrauen heraus entstanden sind. Über Proust fallen im „Zettel“ nur verächtliche Worte, Joyce hingegen ist Schmidts verehrter Meister. Auffällig ist, dass der „Zettel“ wie der „Ulysses“ an einem einzigen Tag spielen.

Schauplatz ist nicht eine Stadt, sondern – klar autobiographische Reminiszenz – das Dorf „Ödingen“ in einer norddeutschen Heidelandschaft. Dort verbringt die Familie Jacobi (Vater Paul Jacobi, von Beruf Übersetzer und gerade mit einer Edgar-Allan-Poe-Übersetzung beschäftigt, dessen Frau Wilma, eine reichlich scharfe und rundliche Person, und deren 16jährige eher dürre Tochter Franziska) bei ihrem Freund Daniel Pagenstecher den letzten Tag eines mehrtägigen Aufenthalts.

Äußerlich kann sich in dieser Einöde nicht viel abspielen: Man geht durch die Heide zum nächsten Örtchen, spaziert – nachdem man sich dort im Café gestärkt hat (Paul zu Wilmas Ärger mit hochprozentigem Alkohol) – wieder zurück zu Daniels Kleinhäusler-Domizil, kocht etwas zum Essen (das dürfen die Frauen übernehmen), verzehrt das dann; die Damen kümmern sich danach um den Abwasch und sonnen sich ein bisschen, während die Männer einen Verdauungsspaziergang zum nahe gelegenen Badeteich machen, wo es reichlich Weiblichkeit zu betrachten gibt. Vor einem nahenden Gewitter flüchtet man nach Hause, wo zunächst Gurken eingelegt werden und dann im Oberstübchen die Bibliothek Daniels begutachtet wird.

Poe – Poe – Poe – Poe – Poe …

Wie die Dauerberieselung mit Radiomusik an Arbeitsplätzen läuft neben all diesen bescheidenen Vorgängen ein sehr ungleich verteiltes „Gespräch“ über Edgar Allan Poe und seine Werke dahin: Daniel ist nämlich ein mehr als profunder Kenner Poes und aller ihn je möglicherweise beeinflusst habenden Autoren, er ist geradezu ein Poe-Magier, der für alles, was er bespricht, auch gleich die Belegstellen samt Band- und Seitenzahlen auswendig weiß und in seiner Bibliothek selbstverständlich die jeweiligen Quellen-Bände parat hat. An der Überfülle seines Wissens lässt er Paul und Wilma teilhaben, wobei Paul eifrig Notizen macht, während Wilma stereotyp ungläubig auf Daniels Enthüllungen reagiert und alles kritisch hinterfragt.

Zitat aus Zettels Traum.

Die Etym-Methode

Was hat Daniel so Überraschendes zu sagen? Er exerziert vor, dass man praktisch in jedem zweiten Wort Poes einen verhüllten sexuellen Hintersinn entdecken kann. Die Methode hiezu: Man muss die in den Wörtern steckenden „Etyms“ aufspüren, das sind so eine Art „sexualsprachliche Wortwurzeln“, die sich entlarven, wenn man ähnlich klingende Wörter aus der Umgangssprache, der Vulgärsprache und aus allen möglichen Fremdsprachen, derer Daniel kundig ist (neben Englisch zum Beispiel Latein, Französisch, Italienisch, Spanisch, aber ansatzweise noch viele weitere), heranzieht und schaut, ob diese vielleicht irgendeine sexuelle Bedeutung haben.

Ok, es dauert nicht lang, dann ist einem als Leser klar, wie das funktioniert. Und ab diesem Zeitpunkt wird’s problematisch: Wenn man nicht gerade selbst ein Poe-Übersetzer ist, sind die tausenden von weiteren Analysebeispielen, die Daniel in niemals versiegender Fülle anführt, nämlich allmählich ermüdend. Es gibt ja keine nennenswerte Steigerung oder Entwicklung in dieser Analyse, sondern sie rauscht auf immer gleichem Niveau dahin, mal diesen, mal jenen Aspekt in den Vordergrund rückend. Wenn man nun aber bedenkt, dass diese Poe-Passagen rund zwei Drittel des Textes ausmachen, dann weiß man, was die Leserin bzw. der Leser durchzustehen hat.

Machohafte Männerperspektive

Apropos LeserIN: Ich vermute, deren wird es vergleichsweise wenige geben, da der Roman ja aus einer geradezu machohaften Männerperspektive geschrieben ist (die man von Schmidt gewöhnt ist und die er, zeittypisch, überhaupt nicht problematisiert). Die Frauen werden a) als Haushälterinnen und b) als Objekte sexueller Begierde gesehen, während sie sich selbst eher als a) Hausfrauen und b) natürliche Opfer unvermeidlicher sexueller Begierden der Männer sehen. Eine klare, wenn auch unausgewogene Rollenverteilung.

Die aus heutiger Sicht etwas anrüchige „Würze“ in der Geschlechterbeziehung entsteht dadurch, dass der alte Junggeselle Daniel in Franziska verliebt ist – und sie in ihn. Sie spielt eine Lolita-Rolle, auch wenn sie bereits 16 ist. Die beiden – und das ist neben der Poe-Geschichte die zweite Hauptsache des Romans – flirten ununterbrochen miteinander, sofern sie in Sicht- oder Hörweite sind. Was Daniel empört, ist Wilmas Vorhaben, Franziska aus der Schule zu nehmen und als Verkäuferin in einem Schuhgeschäft unterzubringen. Dort werde sie als erstes vom Inhaber missbraucht werden, ist er sicher, und davor will er sie bewahren. Ob ihm das gelingt, wird sich in der zweiten Hälfte vielleicht zeigen.

Wichtig: ein Lesepult

So weit ein Zwischenbericht. Hoffentlich geht mir nicht die Energie aus, den Rest auch noch zu lesen. Wichtig sind jedenfalls viel grüner Tee oder andere Aufputschmittel, um über die Poe-Ebenen hinwegzukommen. Und: mein bewährtes Lesepult.

Arno Schmidt: Zettels Traum. Faksimile-Wiedergabe der einseitig beschriebenen, 1334 Blätter umfassenden Manuskripts der Werkes „Zettels Traum“ von Arno Schmidt. Studienausgabe in 8 Heften. 2. Auflage 1986, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main.

Erste Auflage: 1970, Goverts Krüger Stahlberg Verlag, Stuttgart.

Inzwischen gibt es eine gesetzte Ausgabe im Suhrkamp-Verlag, deren vierbändige Studienausgabe übrigens 2014, im Schmidt-Jubiläumsjahr (100. Geburtstag!) signifikant preisgesenkt ist.

 

29 Kommentare

Eingeordnet unter Deutsche Literatur

29 Antworten zu “Arno Schmidt: Zettels Traum – erste Hälfte

  1. mickzwo

    Ich kenne das mit den „stillen Vorwürfen“. Die sind hartnäckig, auch weil wir es ja oft selbst sind, von denen dieser „Vorwurf“ ausgeht. Ich wünsche Dir viel Stehvermögen und – natürlich – auch Glück bei Deinem Projekt.
    Ich bin gespannt! LG mick

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  2. Schöner Text! Viel Spaß beim weiteren Durcharbeiten. So eine Lektüre schafft man wohl nur in kleinen Einheiten.

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    • Vielen Dank! Kleine Einheiten, das stimmt leider, da ich meist nach drei bis fünf Seiten vom Schlaf übermannt werde, was, zugegebenermaßen, nicht allein des Zettels Schuld ist.
      lg, Wolfgang / buchwolf

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  3. Salz in meinen Wunden. 30 Jahre liegen meine beiden ZT-Ausgaben (das Reprint-Taschenbuch und die gesetzte Studienausgabe) zwar noch nicht hier, aber die Bücher sind schon seit Jahren ein andauernder Dorn in meinem Bücherregal, der regelmäßig „Trau dich doch!“ ruft.
    Seit ein paar Wochen überlege ich schon, wenn ich demnächst Johnsons Jahrestage zu Ende gelesen habe, endlich mal wieder zu Schmidt zu greifen, allerdings ist auch der Abend mit Goldrand hier noch ungelesen.

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    • Lieber Doc!
      Ich weiß nicht, ob ich in den Chor der „Trau dich doch“-Rufer einstimmen soll. Es gibt für Bücher auch so etwas wie einen „Kairos“, einen richtigen Zeitpunkt, und den kann man nicht einfach erzwingen. Wenn man ihn nicht erwischt, dann bleibt die Lektüre „tot“ und bringt nichts außer Zeitverlust. Ich denke, man spürt irgendwie, wann es so weit ist, und dann allerdings sollte man beginnen.
      Die „Jahrestage“ sind ja auch so ein Mammutbuch der deutschen Literatur. Mein Glück ist in diesem Fall, dass sie bei mir noch nicht herumstehen. (Dafür aber manches andere Lange, das ich nach dem Zettel in Angriff nehmen möchte.)
      Alles Gute für die richtige Entscheidung!
      Wolfgang / buchwolf

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      • Richtig, ich betrachte Bücher ja auch wie Wein: Manche sind so spritzig und erfrischend, dass sie am besten sofort konsumiert werden. Andere müssen ruhen, bis sie den Höhepunkt ihres Geschmacks erreicht haben.
        Deshalb pflege ich seit längerem eine Zweiteilung: spritzige Bücher für die Pendelei in der Bahn und vollmundige Bücher für die konzentrierte Lektüre zu Hause.

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      • Geniale Aufteilung. Allerdings gibt es natürlich auch dermaßen spritzige Bücher, dass sie dann auch zu Hause weitergelesen werden, weil man nicht mehr aufhören kann.

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  4. snah rellor

    Zwar bin ich Schmidtianer, halte aber „Zettels Traum“ für sein verhältnismäßig langweiligstes Werk. Alle anderen Bücher von ihm begeistern mich. So What?

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    • Ja, dieser Auffassung kann ich nach 600 Seiten schon einiges abgewinnen. Bücher müssen zwar nicht unbedingt „spannend“ sein, aber langweilig sollten sie natürlich auch nicht sein. Der „Zettel“ wirkt wie das, was herauskommt, wenn einer, der auf einem speziellen Gebiet extrem viel weiß, mal so richtig loslegt – ohne Rücksicht aufs Publikum. Solche Bücher haben dann aber zumindest eine unfehlbare und damit zu abendlicher Stunde durchaus nützliche Wirkung: Sie sind ein Schlafmittel. Trotzdem: Ich beiße mich durch. Das bin ich meinem Onkel schuldig, der mir einst dieses Buch auf meinen Wunsch zum Sponsionsgeschenk gemacht hat, ohne mit der finanztechnischen Wimper zu zucken.
      lg, Wolfgang / buchwolf

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    • Da kann ich nur zustimmen! Im Spätwerk etwa ist AmG weentlich lustiger und handlungsreicher. Was ZT angeht. Der lag bei mir auch jahre- und jahrzehntelang im Regal. Die getippten Großseiten mit den handschriftlichen Korrekturen waren mir zu unhandlich und augenpulverig. Mit der gesetzten Ausgabe wurde es leichter (obwohl auch die nicht wirklich handlich ist). ZT ist leichter zu lesen, aber immer noch nicht lesbar.
      Ich halte es mit Bernd Rauschenbach von der Schmidt-Stiftung:
      Man muss die „Stellen“ suchen. Die Passagen, wo Schmidt prall, saftig und derb erzählt. Die gibt es sehr wohl, neben all dem Poe- und Etym-Geklingel. Komplett lesen werde ich ZT (erstmal) nicht.
      Hut ab daher vor buchwolf, der es diszipliniert zumindest versucht.

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      • Lieber Herr Kienbaum!
        Danke für diesen erhellenden Kommentar. Da liege ich mit meiner Einschätzung ja nicht völlig daneben. Mir geht es übrigens ähnlich wie mit dem „Ulysses“: Ich gewöhne mich an die Anstrengung und das Lesen wird angenehmer. Andere machen andere verrückte Dinge und „verschwenden“ dafür Zeit – warum sollte man nicht auch den „Zettel“ lesen? Empfehlen kann ich allerdings die Rauschenbach-Methode, sofern man den nötigen Instinkt zum Auffinden der saftigen Stellen entwickelt. Ansonsten: Aufgabe vielleicht für Kenner Rauschenbach: „The Essential AS“ in 1 volume – wie es ähnliche Bände zumindest früher auf Englisch gab. AS hatte, glaube ich, einen solchen Joyce-Band.
        lg, Wolfgang / buchwolf

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      • Lieber Wolfgang,
        so einen „Essential Schmidt“ gibt es tatsächlich. Genau genommen sogar zweimal. Dünn und einbändig & dick und zweibändig. In aller Bescheidenheit verweise ich Sie auf einen älteren Beitrag von mir (http://lustauflesen.de/100-jahre-arno-schmidt-ii/).
        Was die Stellen in ZT betrifft: da ist die kleine Broschüre zum „Gesetzten Zettel“ hilfreich. Über die von Susanne Fischer verfassten Inhaltsangaben zu den einzelnen Büchern lassen sich die prallen Erzählstücke schnell finden. Die Broschüre erhalten Sie frei als PDF unter: http://arno-schmidt-stiftung.de/content/Archiv/ZettelsTraum/ZT-Prospekt.pdf

        Ihnen einen schönen Sonntag – Liebe Grüße

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      • Vielen Dank für die Hinweise! Die ZT-Broschüre hilft tatsächlich, ich habe sie zum Glück zu Hause. Und was den Essential AS betrifft: An das „Lesebuch“ habe ich gar nicht gedacht. Im deutschen Sprachraum liebt man in dieser Hinsicht eben das Understatement und nennt so etwas nur „Lesebuch“. (Ein Buchtyp, gegen den ich wahrscheinlich berufsbedingt eine gewisse Abneigung habe 😉
        Schönen Sonntag! Wolfgang / buchwolf

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  5. Bravo, tolle Leistung! Viel Spaß beim restlichen Teil – und vor allem: viel Durchhaltevermögen!
    Liebe Grüße
    Linda

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  6. Das stimmt, manchmal kann ich das Spritzige zu Hause nicht für den Folgetag weglegen, sondern möchte gleich wissen, wie es weitergeht. 😉

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  7. Das möchte ich auch noch eines Tages angehen, zum Glück hab ich mir den riesigen Traum noch nicht gekauft, so kann er mich auch nicht vorwurfsvoll ankucken ; ) Danke für den sehr interessanten Beitrag, lieber Wolfgang!

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    • Liebe Petra! Danke für deinen netten Kommentar. – Bin gespannt, ob du dir einmal „Zettels Traum“ zumuten wirst. Aufgrund der Reaktionen auf meinen Beitrag weiß ich ja inzwischen, dass nicht nur ich ein eher ambivalentes Verhältnis zu diesem megalomanischen Buch habe. Daher kann man auch nicht rundheraus empfehlen, sich darauf einzulassen. Was nicht heißen soll, dass ein Leseprofi wie du sich nicht trotzdem dranwagen wird.
      Herzliche Grüße, Wolfgang / buchwolf

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  8. Der Titel hört sich so gemütlich nach Zettelkasten oder so an. Allerdings gibt es in mir kein noch so kleines Motivierfünkchen, dieses Werk zu lesen- außer vielleicht nach saftdeftigen Stellen zu suchen. – Besonders ansprechend fand ich es auch nie, wie der schrullige Autor seine Gattin „gehalten“ hat! Ämusant fand ich den Roman „Freitisch“ von Uwe Timm, darin besonders die Annäherungsversuche an das Idol der Freitischler in der Heide, im Umfeld von Arno Schmidt…
    Ihre kleine Rezension habe ich gerne gelesen!

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    • Liebe Wildgans!
      Wenn ich den „Zettel“ lese und darüber schreibe, könnte das im Sinne einer bloggerischen Arbeitsteilung ja Ihre eigene Lektüre entbehrlich machen. In diesem Fall wäre das noch dazu ein deutlicher Zeitgewinn für andere Lektüren. Meine Frau und ich, wir haben auch so eine lektüremäßige Arbeitsteilung und erzählen uns, was wir gelesen haben. Ist sehr praktisch.
      Ihre Einwände bzgl. Arno Schmidt verstehe ich völlig. Und Uwe Timm: da muss ich mich informieren.
      lg, Wolfgang / buchwolf

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  9. Vielen Dank für Ihren Beitrag – den ich nach diesem Kommentar erst lesen werde, damit nichts durcheinanderkommt. Ich wünsche Ihnen viel Freude mit ZT.
    Bei mir steht noch der alte A3 Raubdruck von anno dunnemals. Bisher ungelesen versteht sich – das einzige Werk von AS, das ich lediglich angeblättert habe – häppchenweise. Mein Lieblingstyposkript ist nach wie vor Abend mit Goldrand (u.a. weil lesbar). Vielleicht hält mich auch die viele Sekundärliteratur im Regal von ZT ab, alles angelesen, allein das Komplettieren fehlt bzw. wird hinausgeschoben… Mal sehen wie das weitergeht.
    Aber nun zu Ihrem Beitrag…
    Abendschöne Grüsse vom Schwarzen Berg

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  10. Nu aber: mir gefällt, wie Sie ZT-Lektüre und das Buch an sich beschreiben. Die entscheidenden Aspekte und Facetten beleuchten. Meine alten Schmidtschätzchen sind alle in Lummerland verstaut, einzig die halbpergamentene Bargelder Ausgabe ist handgreifbar. Vielleicht werde ich ZT doch nie lesen dachte ich eben, des Wortes von AS gedenkend, dass die zu lesenden Bücher angesichts der Lebenszeit sorgfältig ausgewählt werden müssten. Lieber wieder einmal Kaff, Caliban oder den Abend. Und den in der ungesetzen Ausgabe..
    Ihnen einen gedigenen Abend, Herr Ärmel

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  11. mes

    Ach, der Arno. Ich habe vor einigen Jahren angefangen Schmidts erzählerisches Werk chronologisch zu lesen, nachdem ich vor noch einigeren Jahren mal den Caliban über Setebos angefangen, nichts verstanden und Schmidt daraufhin für einen überbewerteten Kryptiker gehalten habe. Aber ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, zumindest den sogenannten großen Autoren (bzw. denen, die man dafür hält) mindestens zwei Chancen zu geben. Also schlug ich den ersten Band der Bargfelder Ausgabe auf. Und war gefesselt. Diese chronologische Schmidtodyssee war eine der besten und reichsten Leseerfahrungen meines bisherigen Lebens (darüber steht nur Proust und der wird diesen Thron auch nicht mehr räumen, denke ich). Der virtuose Stil, der großartige Humor, die Intertextualität, die Welthaltigkeit, all das hat mich ziemlich umgehauen. Definitiv einer der großen Autoren.
    Vor einigen Wochen fing ich dann endlich Zettels Traum an. Ach, der Arno. Ich halte das Werk für eine gigantische Fehlentwicklung. Man sieht hier was passiert, wenn jemand sich in geistige und soziale Vollisolation begibt und nur noch in seiner eigenen Traumwelt gärt. Von Welthaltigkeit keine Spur mehr. All die Schmidtschen Exzentrizitäten, die man in den früheren Werken ertragen hat, weil sie eben nur EINEN Teil des Ganzen ausmachten, weil sie Eigenschaften eines Charakters waren, der sich einer Welt zu stellen hatte, sind hier in monomanischer Konsequenz zu Ende gedacht. Zettels Traum ist reine Exzentrik. In allen Werken Schmidts wird eine egomane Selbstinszenierung betrieben, hier jedoch gibt es nichts anderes mehr. Dan Pagenstecher, der große Poeinterpret, der Alleswisser, der Über-Allem-Schwebende. Die anderen? Bloße Stichwortgeber, man kann sie nichtmal Figuren nennen. Franziska ist reine Altherrenphantasie. Und dann dieses Etymgedöns. Ja, wenn Schmidt es vernünftig angewandt hätte, wenn er nicht dummerweise Freud entdeckt hätte, dann wäre das vielleicht erträglich geworden. Man hätte eine neue Sprachebene einführen, mit lauter Zwischentönen arbeiten können, Doppel- und Hintersinnigkeiten, Assoziationen, Konsonanzen, Dissonanzen, etc., etc. Aber was macht er daraus? Öd verstaubte Sexualkalauer. Es ermüdet schon nach ein paar Seiten. Und die ganze Poeinterpretation befindet sich auf einem ähnlichen Niveau. Wie kam er bloß auf die Idee daraus ein derart riesiges Buch zu zimmern? Eine kleine Erzählung vielleicht, mehr aber auch nicht. Aber er wollte ja den nächsten Ulysses schreiben. Natürlich, manchmal glänzt er noch, manchmal findet man noch den Schmidt der früheren Werke. Aber leider zu selten, um sich durch das ganze Buch quälen zu wollen.
    Ich werde Zettels Traum also nicht mehr weiterlesen. Vielleicht blätter ich ab und an mal durch um ein paar schöne Ecken darin zu finden. Ich lese nun lieber nochmal die früheren Werke. Aber ich muss feststellen, dass ich auch ganz allgemein einen Widerwillen gegen Schmidt gefasst habe. Ich lese ihn immer noch sehr gern, aber eben sehr viel argwöhnischer, was ja nichts schlechtes ist. Der Argwohn betrifft z.B. sein Bildungsgeprotze. Am Anfang denkt man ja noch: meine Güte, was der alles weiß! Aber wenn man mehr liest, merkt man, dass vieles davon einfach Halbbildung ist, dass Schmidt sich, als echter Kleinbürger, eben die ganze Zeit aufbläht, dass er den großen Mann performt, ständig, andauernd. Er hat ja z.B. die natur- und geisteswissenschaftlichen Erzeugnisse seiner Zeit überhaupt nicht mehr wahrgenommen. Der Argwohn betrifft natürlich auch sein Frauenbild, seine undifferenzierten politischen/gesellschaftlichen Ansichten, aber auch seine Literaturvorstellungen. Das alles schmälert natürlich nicht seine schriftstellerische Größe, denn das sind alles sekundäre Dinge, aber ich merke doch, dass ich gegen all diese Dinge anlesen muss. Und Zettels Traum ist in dieser Beziehung einfach eine unüberwindliche Hürde.
    Ich lese übrigens gerade auch die Tagebücher von Alice Schmidt, die sehr interessant sind. Es ist ein Wunder, dass diese Frau ihn so lange erduldet hat. Bei Schmidts herrschte eben noch ein völlig altmodisches Rollenbild. Die Schriftstellergattin hatte den Haushalt zu machen, dafür bekam sie dann ein bißchen Taschengeld. Allein in die Stadt gehen durfte sie aber dennoch nicht. Dafür hat sie ihn ständig beim Schach niedergemacht. Trotz (bzw. natürlich dann doch eher wegen) seiner großen 1.b4-Eröffnung.
    Aber trotzdem noch viel Freude beim Lesen von Zettels Traum, vielleicht liest man sich ja nach einer Weile tatsächlich so ein, dass es Freude machen kann.

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    • Vielen Dank für diesen ausführlichen Kommentar. Unglaublich treffend, genauso sehe ich das auch. Allerdings muss ich sagen, dass die Lektüre nach ein paar Hundert Seiten tatsächlich leichter wird, man ahnt schneller, was eher zu überfliegen oder was genauer zu lesen ist. Es ist wie beim Bergsteigen, man hat sich auf einen Berg kapriziert und steigt jetzt eisern weiter, auch wenn er sich als nicht sooo toll erwiesen hat wie erhofft. Bin nur gespannt, wie dann die Aussicht vom Gipfel ist;-)
      lg, buchwolf

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    • Da wären wir dann schon zu Dritt. Auch ich finde, dass ZT masslos überschätzt wird. Ebenso wie sich AS mit zunehmendem Alter masslos überschätzt hat…
      Vielen Dank für den Kommentar und mittäglichdrückendheisse Grüsse vom Schwarzen Berg – Herr Ärmel

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    • Schiebe hier verspätet noch etwas nach. Ein interessanter Bericht über Deine Schmidt-Lese-Erfahrung, der ich in vielen Details nur lautstark zustimmen kann. Nebenbei: Schmidts Briefe sind auch sehr lesenswert und natürlich die bislang erschienenen Tagebuch-Bände von Ehefrau und Leidensgenossin Alice.

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      • Sehr erfreulich ist für mich zu lesen, dass es Zustimmung zu meiner Einschätzung von ZT gibt. Vielen Dank dafür, dass Sie sie nicht für sich behalten haben. – Von Schmidts Briefen kenne ich den Briefwechsel mit Wilhelm Michels. Der Briefband bietet im Kommentar ja Schmidts parallele Tagebuchaufzeichnungen (oder stammen sie von Alice, da bin ich mir jetzt nicht sicher), die oft gegenüber dem in den Briefen freundlich behandelten Michels geradezu gehässig und verächtlich sind. Das mag zwar menschlich verständlich sein (homo homini…), erfreulich ist es nicht. Die Briefe an Eberhard Schlotter sind dagegen sozusagen „ehrlicher“, sozusagen von Künstler zu Künstler auch „auf Augenhöhe“, wie man heute sagt. Danke auch für die Anregung, Alice Schmidts Tagebücher zu lesen. Das muss ich wirklich einmal tun.
        lg, buchwolf

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