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Eugen Semrau: Österreichs Spuren in Venedig

Wolfgang Krisai: Via Giuseppe Garibaldi, Venedig. 2015. Tuschestift, Buntstift, z. T. mit Wasser vermalt.Ein historischer Abschnitt, der wenig in das heroische Geschichtsbild Venedigs und der Republik Italien passen will, ist die österreichische Herrschaft in Venetien in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die Eugen Semrau in einem schön gestalteten Band darstellt.

Eine österreichische Provinzhauptstadt

Tatsächlich merkt der Venedig-Tourist heute kaum etwas davon, dass vor 200 Jahren Venedig eine österreichische Provinzhauptstadt war. Wer zum Beispiel beim Besuch der Biennale auf dem Weg vom Arsenal zu den Giardini die Via Garibaldi quert, wird sich nicht bewusst sein, dass diese ungewöhnlich breite Straße während der österreichischen Herrschaft angelegt wurde, indem der dortige Rio zugeschüttet wurde. Die Giardini selbst stammen ebenfalls aus dieser Zeit. Auch die höchstens für venezianische Briefträger durchschaubare Hausnummerierung und der Brauch, dass vor den Cafés am Markusplatz Musikkapellen aufspielen, stammen aus dem frühen 19. Jahrhundert.

Positiv zu vermerken sind die denkmalschützerischen Maßnahmen der österreichischen Behörden, die manche venezianische Kirche vor dem Verfall bewahrten. Österreich bemühte sich außerdem, aus dem im Grunde noch immer mittelalterlich regierten Venedig eine moderne Stadt zu machen.

Politische Tauschhändel

Insgesamt allerdings war die österreichische Herrschaft nicht gerade die glorreichste in der Geschichte der Stadt. Das beginnt schon mit dem Erwerb: Venedig wurde Österreich von Napoleon 1798 im Tausch gegen niederländische Gebiete zugeschanzt. 1797 hatte ja der letzte Doge abgedankt, die Franzosen rückten ein und machten sich bei den Venezianern unbeliebt, sodass diese den Wechsel zu Österreich als „kleineres Übel“ sahen.

Drei Perioden österreichischer Herrschaft

Die österreichische Herrschaft gliedert sich in drei Perioden: 1798-1806, danach fiel Venedig wieder an Frankreich; 1814-1848, danach gab es revolutionsbedingt eineinhalb Jahre eine Republik Venedig, 1849-1866, danach wurde Venedig Teil des neuen Königreichs Italien, und zwar wieder als Ergebnis eines Schachers: Österreich hatte als Verlierer der Schlacht von Königgrätz 1866 Venetien an Frankreich abzutreten, das das Gebiet aber dem neuen Königreich Italien überließ.

Chancen nicht genützt

Die Chancen, die der Besitz Venedigs vielleicht geboten hätte, nützte Österreich allerdings während der 60 Jahre seiner Herrschaft nicht. Weder die seefahrerischen Stärken noch die Handelserfahrung Venedigs konnten sich neu entfalten, die Schiffsproduktion im Arsenal dümpelte vor sich hin, die Flotte schrumpfte auf Mini-Format, in der Stadt kam es zu keinem wie auch immer gearteten Boom, höchstens in Sachen Zensur und Bürokratie, wo die Österreicher den Italienern damals nicht nachstanden.

Der Band enthält neben Semraus ausführlicher Darstellung ein Vorwort von Miguel Herz-Kestranek und eine längere historische Einführung von Antonio A. Rizzoli. Zahlreiche Fotos und Farbabbildungen ergänzen den Text. Der Zugehörigkeit zur Reihe „styria premium“ ist die Fadenheftung zu verdanken.

Eugen Semrau: Österreichs Spuren in Venedig. styria premium. Styria-Verlag, Wien u. a., 2010. 156 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Via Giuseppe Garibaldi, Venedig. 2015. Tuschestift, Buntstift, z. T. mit Wasser vermalt.

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Goethes Venedig

Wolfgang Krisai: Piazza San Marco, Venezia. Tuschestift. 2003.Auf dem Umschlag dieses Insel-Bücherei-Bändchens sieht man die von Canaletto gemalte Kirche Santa Maria della Salute, meine Lieblingskirche in Venedig. Ich las es als Vorbereitung für eine kurze sommerliche Venedigreise.

Der Band enthält lauter kurze Texte bzw. Textausschnitte Goethes, die sich mit Venedig befassen, dazu Abbildungen von Zeichnungen Goethes und Veduten, Gemälden und Kupferstichen anderer Meister.

Ein Sehnsuchtsort Goethes

Goethe ist von Venedig begeistert, da die Stadt seit seiner Jugend, wo er vom Vater ein Modell einer Gondel geschenkt bekommen hat, einer seiner Sehnsuchtsorte war. Zweimal ist es ihm vergönnt, die Stadt mit eigenen Augen zu sehen: zu Beginn seiner Italienischen Reise im Jahr 1786 und vier Jahre später noch einmal.

Goethe schreibt über die Stadt nicht nur Briefe und Tagebucheinträge, sondern auch die witzigen Venezianischen Epigramme, von denen eine Reihe in den Band aufgenommen sind. In einem davon vergleicht er die venezianischen Mädchen mit Eidechsen, die, kaum hat man sie erblickt, blitzschnell wieder verschwinden. Und, eilt man ihnen nach, einen vielleicht in eine dubiose Spelunke locken.

Theater und Literatur

Goethe interessiert nicht nur die Kunst der Stadt, sondern auch das Theater. Er sieht sich eine Aufführung einer Goldoni-Komödie an, in der das einfache Volk von Chioggia aufs Treffendste erfasst ist. Seine Sprachkenntnisse reichen aus, um das Stück genießen zu könne, auch wenn er, wie er zugibt, nicht jede Pointe mitbekommt.

Er engagiert zwei Gondolieri, die ihm auf charakteristische Weise den „Orlando furioso“ des Ariost vorsingen sollen und das auch tun: in einem Wechsel-Singsang, von einem Kanal-Ufer zum anderen hin und her.

Er beobachtet den Dogen, der an einem feierlichen Ritual teilnehmen muss und für Goethe, im Gegensatz zum typischen Habitus deutscher Fürsten, als ein ganz friedlicher Herrscher auftritt.

Müllentsorgung und Hochwasserschutz

Er wundert sich über den lässigen Umgang der Venetianer mit ihrem Müll. In die Kanäle dürfen sie nichts werfen, aber sie werfen den Müll auf die Gassen, und sobald ein Regen kommt, landet doch alles in den Kanälen…

Er interessiert sich für die Hochwasserschutzbauten am Lido, zeichnet und erklärt einen Querschnitt durch den Schutzdamm und beobachtet den auf dem Damm stattfindenden Wettlauf der Taschenkrebse mit den Muscheln, die sich immer im letzten Augenblick noch am Stein festsaugen, bevor die Krebsscheren zubeißen können.

Ein nettes Bändchen, das man schnell gelesen hat und das einem die Vielseitigkeit von Goethes Interessen wieder einmal vor Augen führt.

Goethes Venedig. Hg. v. Mathias Mayer. Mit zahlreichen Abbildungen. Insel-Verlag, Berlin 2015. Insel-Bücherei Nr. 1404. 86 Seiten.

Wolfgang Krisai: Piazza San Marco, Venezia. Tuschestift. 2003.

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