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Die Rückkehr der Legion. Römisches Erbe in Oberösterreich. OÖ. Landesausstellung 2018, Katalog

Wolfgang Krisai: Römische Stadt am Magdalensberg, ca. 30. n. Chr. , Bleistift, 1997.

Ausstellungen verlocken oft, sich mit einer Materie näher zu befassen. Man kauft den Katalog – und liest ihn dann nicht. Denn eigentlich hätte man ihn VOR dem Ausstellungsbesuch schon lesen sollen, dann hätte man mehr von der Ausstellung gehabt. 

Ausstellungskatalog schon vor dem Ausstellungsbesuch gelesen

Erstmals habe ich nun tatsächlich einen Katalog bereits vor dem Ausstellungsbesuch gelesen, nämlich den zur oberösterreichischen Landesausstellung 2018 „Die Rückkehr der Legion. Römisches Erbe in Oberösterreich“ in Enns/Lauriacum, Schlögen und Oberranna.

Interessantes Begleitbuch zur Ausstellung

Dieses Buch ist eigentlich kein Katalog, wie man ihn kennt: die erste Hälfte eine Ansammlung staubtrocken geschriebener wissenschaftlicher Artikel, die zweite eine mehr oder weniger gut kommentierte Reproduktionensammlung der Ausstellungsobjekte. Für die Landesausstellung ist man einen bewusst anderen, an der Besucherin bzw. Leserin, am Besucher bzw. Leser orientierten Weg gegangen: Man produzierte ein interessantes, gut bebildertes Sachbuch für interessierte Laien, das Wissenschaft für NichtwissenschaftlerInnen erschließt. (Übrigens ist das Buch auch gar nicht so teuer wie sonst Kataloge von Ausstellungen dieses Kalibers: 18.- €.)

Moderne Archäologie

Was wird erschlossen:

Wie die moderne Archäologie überhaupt zu Ergebnissen kommt, nicht nur durch Grabungen, sondern auch durch verschiedene Formen nichtinvasiver Forschung wie Geomagnetik- und Georadar-Aufnahmen.

Überblicksmäßig erfährt man von der Herrschaft der Römer in Noricum.

Der Limes wird vorgestellt. 2018 hat man bei der UNESCO beantragt, die in Österreich gelegenen Teile des Limes als Weltkulturerbe aufzunehmen.  Das brachte auch der Archäologie großen Schwung, denn die Funde am Limes müssen ordentlich erschlossen sein, damit so ein Antrag fruchtet.

Enns = Lauriacum

In Lauriacum (heute: Enns) war in einem großen Kastell die Legio II. Italica stationiert. Rund um das Kastell gab es zivile Siedlungen und Gräberfelder, wie das auch in Carnuntum der Fall war.

Der Aufbau des Kastells wird genau dargestellt, das Leben darin und rundherum, Essen, Trinken, Baden (für die Römer besonders wichtig), die Haustiere, die Münzfunde, die Grabstelen (häufig sehr aussagekräftig), die Wandmalereien, deren Reste entdeckt wurden, die verschiedenen Handwerke, dabei vor allem die Ziegelhersteller; die Batterie von neun Kalkbrennöfen in unmittelbarer Lagernähe, von denen einer musterhaft ausgegraben wurde.

Schlüsse aus Grabfunden ziehen

Interessant auch, welche Schlüsse man aus Grabfunden ziehen kann und wie in einigen Fällen sogar Enthauptungen feststellbar sind. Ja, sogar aus Resten verbrannter Leichname kann man noch allerlei erschließen.

Relativ wenig erfährt man über die Religion, und das, obwohl in Lauriacum der Heilige Florian sein Martyrium hatte, worauf natürlich schon ausführlich eingegangen wird.

Genau erfahren wir, wie man heutzutage aus Schädelfunden das Aussehen der lebenden Menschen rekonstruieren kann, was am Beispiel einer Frau und eines Mannes gemacht wurde.

(In diesem Kapitel wird von einem Museum in Holland, „Hildes Haus“, berichtet, wo das Museumskonzept auf solchen Rekonstruktionen basiert. Das klingt sehr interessant.)

Schlögen und Oberranna: kleinere Fundstätten

Nach dem ausführlicheren Teil über Lauriacum behandelt das Buch die Fundstätten in Schlögen und Oberranna.

In Schlögen an der berühmten Donauschlinge befand sich ein kleineres römisches Kastell, das ziemlich genau erschlossen und ergraben werden konnte. Daneben gibt es zivile Bauten, wovon vor allem ein kleines römisches Badehaus, eine Mini-Therme gewissermaßen, im Mittelpunkt der jüngsten Forschungen stand. Die Ausgrabungsstätte wurde jetzt mit einem sogenannten Schutzbau überdacht und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Eine römische „Burg“

Das gleiche gilt für die überraschend gut erhaltenen Reste einer römischen „Burg“ mit vier dicken, runden Ecktürmen, dem „Burgus“ von Oberranna. Teile dieses Burgus waren jahrhundertelang der Keller eines Wirtshauses, das jedoch im 20. Jahrhundert zusperren musste und verfiel. Die Gemeinde Engelhartszell, auf deren Gebiet Oberranna liegt, konnte das Grundstück erwerben, das desolate Wirtshaus wurde abgerissen, der römische Unterbau ausgegraben und ebenfalls mit einem Schutzbau überdeckt. 

Blick aufs Umland

Das Buch blickt auch über die „Grenzen“ der Landesausstellung hinaus, indem es auf weitere Fundstätten in Österreich und Südbayern kurz eingeht: die Städte Iuvavum/Salzburg, Ovilava/Wels und Cetium/St. Pölten; auf die zahlreichen Vici (Dörfer) und die ebenso zahlreichen Villae Rusticae (Gutshöfe). Das Leben in römischen Bauernhöfen veranschaulicht übrigens ein ebenfalls erwähntes neues Römermuseum in Altheim.

Den Abschluss des Bandes bildet ein kursorischer Überblick über das heute noch lebendige römische „Erbe“, sei es in der Sprache, in der Architektur, der Literatur, der Badekultur („Thermen“ erfreuen sich heute größter Beliebtheit) oder dem Weinbau.

Die Abbildungen

Während die Texte der Kapitel sehr gelungen und leserfreundlich sind, hat das Buch eine schwache Seite: die Texte zu den Abbildungen. Diese sind manchmal zu knapp und zu ungenau, besonders dann, wenn etwa auf Landkarten verschiedenfärbige Grundrisse eingezeichnet sind – und man die Bedeutung der Farben nur erahnen kann. In einigen Karten ist zumindest die Kartenlegende des Originals mit abgebildet, sodass man mit einer Lupe lesen könnte, was da steht.

Sehr gut hingegen, dass abgebildete Inschriften prinzipiell mit einer die häufigen Abkürzungen vervollständigenden Umschrift und in deutscher Übersetzung versehen sind. Lateinkenntnisse braucht man also keine, obwohl mich die spannende Darstellung der römischen Welt bedauern lässt, dass ich im Lateinunterricht als Jugendlicher nicht besser aufgepasst habe…

Die Abbildungen selbst sind sehr interessant und instruktiv. Besonders anschaulich wird der Forschungsgegenstand durch die abgebildeten Computer-Rekonstruktionen des Bauwerke. Erhellend ist auch, dass immer wieder Fotos von den Grabungs- und sonstigen Forschungsarbeiten eingestreut sind.

Die Rückkehr der Legion. Römisches Erbe in Oberösterreich. OÖ. Landesausstellung 2018. Hrsg. v. Amt der OÖ. Landesreg., Direktion Kultur, Trauner Verlag, Linz, 2018. 263 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Römische Stadt am Magdalensberg, ca. 30. n. Chr. , Bleistift, 1997. Mit einem Bild von der Landesausstellung kann ich noch nicht aufwarten, ich war ja noch nicht dort, dafür habe ich mich selbst einmal als „Archäologe“ betätigt und mir zeichnerisch vorgestellt, wie die Ausgrabungsstätte am Kärntner Magdalensberg zur Römerzeit ausgesehen haben könnte.

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Eugen Semrau: Österreichs Spuren in Venedig

Wolfgang Krisai: Via Giuseppe Garibaldi, Venedig. 2015. Tuschestift, Buntstift, z. T. mit Wasser vermalt.Ein historischer Abschnitt, der wenig in das heroische Geschichtsbild Venedigs und der Republik Italien passen will, ist die österreichische Herrschaft in Venetien in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die Eugen Semrau in einem schön gestalteten Band darstellt.

Eine österreichische Provinzhauptstadt

Tatsächlich merkt der Venedig-Tourist heute kaum etwas davon, dass vor 200 Jahren Venedig eine österreichische Provinzhauptstadt war. Wer zum Beispiel beim Besuch der Biennale auf dem Weg vom Arsenal zu den Giardini die Via Garibaldi quert, wird sich nicht bewusst sein, dass diese ungewöhnlich breite Straße während der österreichischen Herrschaft angelegt wurde, indem der dortige Rio zugeschüttet wurde. Die Giardini selbst stammen ebenfalls aus dieser Zeit. Auch die höchstens für venezianische Briefträger durchschaubare Hausnummerierung und der Brauch, dass vor den Cafés am Markusplatz Musikkapellen aufspielen, stammen aus dem frühen 19. Jahrhundert.

Positiv zu vermerken sind die denkmalschützerischen Maßnahmen der österreichischen Behörden, die manche venezianische Kirche vor dem Verfall bewahrten. Österreich bemühte sich außerdem, aus dem im Grunde noch immer mittelalterlich regierten Venedig eine moderne Stadt zu machen.

Politische Tauschhändel

Insgesamt allerdings war die österreichische Herrschaft nicht gerade die glorreichste in der Geschichte der Stadt. Das beginnt schon mit dem Erwerb: Venedig wurde Österreich von Napoleon 1798 im Tausch gegen niederländische Gebiete zugeschanzt. 1797 hatte ja der letzte Doge abgedankt, die Franzosen rückten ein und machten sich bei den Venezianern unbeliebt, sodass diese den Wechsel zu Österreich als „kleineres Übel“ sahen.

Drei Perioden österreichischer Herrschaft

Die österreichische Herrschaft gliedert sich in drei Perioden: 1798-1806, danach fiel Venedig wieder an Frankreich; 1814-1848, danach gab es revolutionsbedingt eineinhalb Jahre eine Republik Venedig, 1849-1866, danach wurde Venedig Teil des neuen Königreichs Italien, und zwar wieder als Ergebnis eines Schachers: Österreich hatte als Verlierer der Schlacht von Königgrätz 1866 Venetien an Frankreich abzutreten, das das Gebiet aber dem neuen Königreich Italien überließ.

Chancen nicht genützt

Die Chancen, die der Besitz Venedigs vielleicht geboten hätte, nützte Österreich allerdings während der 60 Jahre seiner Herrschaft nicht. Weder die seefahrerischen Stärken noch die Handelserfahrung Venedigs konnten sich neu entfalten, die Schiffsproduktion im Arsenal dümpelte vor sich hin, die Flotte schrumpfte auf Mini-Format, in der Stadt kam es zu keinem wie auch immer gearteten Boom, höchstens in Sachen Zensur und Bürokratie, wo die Österreicher den Italienern damals nicht nachstanden.

Der Band enthält neben Semraus ausführlicher Darstellung ein Vorwort von Miguel Herz-Kestranek und eine längere historische Einführung von Antonio A. Rizzoli. Zahlreiche Fotos und Farbabbildungen ergänzen den Text. Der Zugehörigkeit zur Reihe „styria premium“ ist die Fadenheftung zu verdanken.

Eugen Semrau: Österreichs Spuren in Venedig. styria premium. Styria-Verlag, Wien u. a., 2010. 156 Seiten.

Bild: Wolfgang Krisai: Via Giuseppe Garibaldi, Venedig. 2015. Tuschestift, Buntstift, z. T. mit Wasser vermalt.

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Hans Adler: Das Städtchen

Wolfgang Krisai: Mödling am Abend. 2008. Ölpastell auf schwarzem Papier.

Auf diesen Autor und diesen Roman wurde ich durch den Podcast „Büchermarkt“ des Deutschlandradios aufmerksam, schon vor längerer Zeit. Nun habe ich den Roman gelesen, und das mit Begeisterung. Adler schreibt in einer wuchtigen, farbigen Sprache, die die Tristesse einer kleinen Provinzstadt auf fast expressionistische Weise einfängt.

Worum geht’s?

Um das Leben in einer österreichischen Provinzstadt (Vorbild war möglicherweise Waidhofen an der Thaya, da einmal Pfaffenschlag als nahe gelegener Ort erwähnt wird). Adler beleuchtet vor allem die erotischen Verwirrungen, die sich da ergeben, wo eine kleine Gesellschaft von Bürgern, Offizieren und Beamten um sich selbst kreist.

Im Mittelpunkt steht der Zeichenlehrer Titus Quitek, der eigentlich nach Paris gehen und dort als freischaffender Künstler berühmt werden wollte, es aber nur zum Zeichenlehrer am lokalen Gymnasium gebracht hat.

Er haust bei einer jungen Witwe namens Mona, die sich zunächst Hoffnungen auf eine Ehe mit ihm macht, bald aber davon Abstand nimmt. Eines Abends liest Quitek auf der Straße ein verstörtes 14jähriges Mädchen auf, Lisa, deren Vater gerade seine Lebensgefährtin Hanna mit einem Eisenhaken niedergeschlagen hat und festgenommen worden ist. Quitek lässt Lisa bei sich übernachten und bringt sie dann in ein Salzburger Mädchenpensionat, wo sie für zwei Jahre – bis zum Ende ihrer Schulzeit – bleibt, das Schulgeld bezahlt Quitek vom Erlös zahlreicher kitschiger Heiligenbilder, die er malt. Mit 16 kommt Lisa zurück, Quitek muss sie bei sich einquartieren, vergreift sich aber – wider erwarten – nicht an ihr. Doch in der Stadt meint man, er leben nun in einem doppelten Verhältnis und entlässt ihn daher unehrenhaft aus dem Dienst. Einige Zeit kann er sich noch so recht und schlecht von Erspartem durchschlagen, dann erlöst ihn ein schneller Tod. Damit endet der Roman.

In die Quitek-Handlung sind mehrere andere Handlungsstränge hineinverwoben, etwa jener über seinen Schulkameraden Seylatz, der als junger Jurist an die Bezirkshauptmannschaft berufen wird, nebenbei dichtet und sich im zynischen Ausnutzen der kleinstädtischen Situation hervortut. Gegen Ende des Romans wird er der Liebhaber Lisas, bis ihm der Bezirkshauptmann nahelegt, mit der Familie des einstigen Schulfreunds nicht mehr zu verkehren. Lisa überlebt’s, und zwar mit Hilfe ihrer Freundin Louisi, die aus dem gleichen Arbeitermilieu kommt und sich bis zur Sekretärin (und Geliebten) des Bürgermeisters emporgearbeitet hat.

Der Leser kann auch noch mitverfolgen, was sich im Hause des Bürgermeisters so tut, wie sich das Verhältnis von dessen Tochter Anny mit dem amerikanischen Tenor und Gesanglehrer Milan entwickelt, wie der Betrieb im städtischen Bordell von Frau Gießkann läuft, usw.

Das alles wird in 15 Kapiteln dargelegt, in einer nicht immer ganz stimmigen Zeitstruktur (will mir scheinen), aber immer eindringlich und schnoddrig formuliert, so als wären Erich Kästners Gedichte Prosa geworden.

Aus dem Nachwort erfährt man, dass Adler in erster Linie Kabarettist und Librettist war, auf den viele bekannte Libretti und Songs zurückgehen.

Sein Roman ist es jedenfalls wert, dass er ausgegraben wurde.

Buchdaten:

Adler, Hans: Das Städtchen.

Roman

Lilienfeld-Verlag, 2009.

329 Seiten.

Erstmals erschienen: 1926.

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